Proteste gegen FRAPORT wegen drohender Zwangsumsiedlung in Porto Alegre
In drei Videos dokumentieren die BewohnerInnen selbst, warum die Vila Nazaré ihre Heimat ist und es auch bleiben soll.
NAZARÉ UNIDA NA LUTA - capítulo I
NAZARÉ UNIDA NA LUTA - capítulo II
NAZARÉ UNIDA NA LUTA - capítulo III
Die BewohnerInnen der Vila Nazaré haben sich in der AnwohnerInnengemeinschaft AMOVIN zusammengeschlossen und gemeinsam mit Amigos da Terra Brasil (Friends of the Earth Brazil) und der Bewegung der obdachlosen Arbeiter MTST diese drei Videos produziert.
Amovin, Amigos da Terra Brasil und MTST haben im Vorfeld der Jahreshauptversammlung der Aktionäre der FRAPORT AG mehrere Organisationen und Gruppen hierzulande kontaktiert, um die Proteste der BewohnerInnen der Vila Nazaré auch in Deutschland bekannt zu machen und auf das angestammte Recht auf Wohnen der Vila Nazaré hinzuweisen. Als erstes Ergebnis der gemeinsamen Aktionen dokumentieren wir hier die zwei Gegenanträge, die der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre stellvertretend bei FRAPORT eingereicht hat und der seit heute auf der Seite der Internetpräsenz von FRAPORT selbst online ist.
Gegenanträge des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zur Hauptversammlung der FRAPORT AG am 29. Mai 2018:
Zu Tagesordnungspunkt 3. Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2017
Den Mitgliedern des Vorstandes wird die Entlastung für das Geschäftsjahr 2017 verweigert.
Begründung: Intransparente Zwangsumsiedlungen in einem Klima von Drohungen in Brasilien
FRAPORT Brasil als 100%ige FRAPORT-Tochter hat zum 2.1.2018 den Betrieb des brasilianischen Flughafens Salgado Filho in Porto Alegre für die Dauer von 25 Jahren übernommen. 2.100 Familien der angrenzenden Vila Nazaré droht wegen der geplanten Landebahnerweiterung die Zwangsumsiedlung. Die BewohnerInnen lehnen diese Zwangsumsiedlung strikt ab und werfen FRAPORT und der Lokalregierung vor, in einem Klima von Drohungen und Einschüchterungen die Rechte der dort lebenden Arbeiterfamilien zu mißachten, die Räumungsandrohungen ohne zureichende Informationen und in einer besorgniserregenden Intransparenz durchführen zu wollen.
Derzeit gehen Mitarbeiter der von FRAPORT unter Vertrag genommenen privaten Firma Itazi in Polizeibegleitung durch das Viertel, klopfen an die Haustüren, vermessen die Grundstücks- und Wohnungsgröße, zwingen die BewohnerInnen einen Fragebogen zu ihrer sozialen und finanziellen Lage auszufüllen und erfragen stigmatisierend nach evtl. krimineller Vergangenheit der BewohnerInnen. Zuvor hatten die BewohnerInnen nur übers Fernsehen oder Radio oder von einem Nachbar von der künftigen Zwangsumsiedlung gehört. Auf diese Art und Weise erfahren die Familien der Vila Nazaré in der Nordzone von Porto Alegre im Süden Brasiliens davon, dass sie ihre Häuser verlieren werden und dass sie in andere Stadtteile zwangsverfrachtet werden sollen, noch weiter weg von ihren Arbeitsplätzen, noch weiter weg von dem, was ihre Heimat ist. Alles für den Ausbau der Pisten. In der Wahl zwischen Flugzeugen und Menschen, wird klar, was für FRAPORT Priorität hat: die Flugzeuge.
In der Vila Nazaré leben heute 2.100 Familien. Es sind Arbeiterfamilien, vom Staat im Stich gelassen, die sich die hohen Mieten in anderen Vierteln nicht leisten können und deshalb vor vielen Jahren dieses brachliegende Stück Land besetzt hatten und dort ihre Häuser gebaut haben. So entstanden dort in den letzten 50 Jahren Wohnhäuser, kleine Ladengeschäfte, haben sich familiäre Bindungen, Freundschaften und gute Nachbarschaft gebildet. So haben sie das verbriefte Recht von Staats wegen auf dieses Land erwirkt.
Die Pistenausbaupläne aber sollen die Community dort von der Landkarte tilgen. Und das Schlimmste dabei: die Umsiedlung wird willkürlich, autoritär und ohne irgendwelche Garantien für die betroffenen Familien durchgeführt. Der Mangel an Information und Transparenz ist besorgniserregend: Zu keinem Moment wurde wer von den BewohnerInnen angehört, um überhaupt in Erfahrung zu bringen, was die BewohnerInnen selbst wollen. Die Stadtregierung von Porto Alegre will die Community spalten und die Familien in zwei verschiedene und zudem weit entfernte und obendrein sehr gefährliche Stadtviertel umsiedeln. Eines dieser Viertel ist Irmãos Maristas-Timbaúva, im Norden an der Stadtgrenze gelegen: Dahin zu ziehen, weigern sich die Familien! Und FRAPORT schaut sich diesen Konflikt von der Seitenlinie an und bietet den Betroffenen keinerlei Unterstützung. Schlimmer noch: FRAPORT mahnt zur Eile mit der Räumung der Häuser, um den eigenen Zeitplan (und den eigenen Gewinn) nicht zu gefährden.
Die Taktik zur Umsiedlung der Leute der Vila Nazaré ist offensichtlich: Zuerst werden die öffentlichen Dienste eingestellt: keine Asphaltierungen mehr, nur Sandpisten vor Ort und die Schulen und staatlichen Gesundheitsposten wurden dort geschlossen. Und wer das Wort zu erheben wagt, wird durch die Militärpolizei eingeschüchtert. Die BewohnerInnen berichten von täglichem Polizeiterror in der Gemeinde; aus Polizeiwagen schauen vermummte Polizisten heraus und machen die Gestik des Auf-die-Kinder-Schiessens, so die uns vorliegenden Erfahrensberichte aus der Vila Nazaré. BewohnerInnen wurden von Polizisten verprügelt und es soll zu Fällen von Folter durch die Polizei gekommen sein. Wenn also solche Polizisten die Interviewer der Firma Itazi zur Befragung der Bewohnerinnen begleiten, so wird klar, wieso die Menschen eingeschüchtert sind.
Die BewohnerInnen wollen trotz aller Angst dort wohnen bleiben, wo sie schon immer gewohnt haben. Bis heute wurde der Community keine Studie vorgelegt, die die Notwendigkeit der Zwangsumsiedlung erklärt. Den Familien wurden keinerlei Informationen gegeben. Die Lokalregierung und FRAPORT ignorieren laut den BewohnerInnen alle ihre Rufe nach stadtplanerischer Urbanisierung ihrer Gemeinde, nach Verbesserung der Lebensumstände, was es den Familien ermöglichen würde, dort in Würde wohnen zu bleiben und die städtische Grundversorgung zu genießen.
Laut den BewohnerInnen gibt es keinerlei Dialog, keine Transparenz, sondern nur Räumungsandrohungen, autoritäres Gebaren und Desinformation.
Daher verweigern wir dem Vorstand die Entlastung.
Gegenantrag zu Tagesordnungspunkt 4. Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2017
Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, die Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2017 nicht zu entlasten.
Begründung:
Der Aufsichtsrat der Fraport AG hat es versäumt, den Vorstand anzuweisen, Prozesse im Unternehmen zu etablieren, die sicherstellen, dass solch skandalöse Vorgänge wie derzeit bei den BewohnerInnen der Vila Nazaré in Porto Alegre, denen durch den von FRAPORT vorangetriebenen Flugpistenausbau ihr Menschenrecht auf Wohnen verletzt wird, von vorneherein kategorisch ausgeschlossen werden. Der Aufsichtsrat hat es demnach seiner eigenen Untätigkeit zu verdanken, dass sich die 2.100 Familien Vila Nazaré gegen ihre Zwangsräumung zur Wehr setzen und von FRAPORT verlangen, dass die Firma endlich Verantwortung für die Verletzung des Menschenrechts auf Wohnen übernehme und dass schließlich ein Alternativplan vorgelegt wird, der den Flughafenausbau so konzipiert, dass die Umsiedlung der dort seit über 50 Jahren lebenden Familien unnötig wird. Nur dies würde die Rechte und die Würde der BewohnerInnen garantieren. Die BewohnerInnen fordern zudem, dass alle Informationen mit der Gemeinde und den sie unterstützenden Organisationen geteilt werden müssen.
Solange FRAPORT diese Schritte nicht überzeugend und für die BewohnerInnen der Vila Nazaré nicht in zufriedenstellender Weise einleitet, solange sind wir gezwungen, dem Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.