Die langen Schatten von Diktatur und Autoritarismus

Aufarbeitung und Erinnerungskultur in Brasilien und Deutschland
Die langen Schatten von Diktatur und Autoritarismus
Brasiliens erste Gedenkstätte für die Opfer der Militärdiktatur in Recife, Pernambuco. © Sara Fremberg
  • Wann 21.01.2025 von 18:00 bis 19:30 (Europe/Berlin / UTC100)
  • Wo Heinrich-Böll-Stiftung - Bundesstiftung Berlin Schumannstr. 8 10117 Berlin und Livestream: https://www.youtube.com/live/5ILzQDkTqmg
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Deutschland und Brasilien haben in ihrer Geschichte unterschiedliche Formen diktatorisch-autoritärer Regime erlebt. Auch deren juristische wie gesellschaftspolitische Aufarbeitung unterscheidet sich in beiden Ländern. Was jedoch hier wie dort gilt: Trotz des jahrzehntelangen Einsatzes, handlungsorientierende Erinnerungskulturen zu etablieren, fehlt der Konsens beim Blick auf die diktatorische Vergangenheit. In Deutschland gilt das in Bezug auf die NS-Diktatur (1933-1945), in Brasilien mit Blick auf den Militärputsch von 1964 und die sich anschließende, bis 1985 andauernde Militärdiktatur. Mehr noch: In beiden Ländern droht die Erosion einer gesamtgesellschaftlich verbindenden Erinnerungskultur an Diktatur und Menschenrechtsverletzungen. Diese als Grundlage einer menschenrechtsorientierten und demokratisch verfassten Gesellschaft zu erkämpfen, bleibt eine enorm wichtige Aufgabe.

In Brasilien war die Überwindung der Militärdiktatur und die Demokratisierung ein langer Prozess. Obgleich es drei Kommissionen zur historischen Aufarbeitung gab, fehlt bis heute die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur. Die Erinnerung an die Militärdiktatur in Brasilien bleibt bis heute äußerst widersprüchlich. Für die Militärs bedeutet der Putsch von 1964 eine „Revolution“, die Brasilien vor dem Kommunismus retten sollte. Eine juristische Aufarbeitung fand auch nach 1985 nicht durch die zivilen Regierungen statt. Sie achteten darauf, die Militärs nicht durch eine andere Auslegung des Putsches zu provozieren und erwarteten im Gegenzug von den Militärs, dass diese die demokratischen Institutionen respektieren. Der Wahlsieg von Jair Bolsonaro im Jahr 2018 zeigte jedoch, dass diese Arrangements überaus brüchig waren. Bolsonaro integrierte Militärs in seine Regierung, die sich offen antidemokratisch und rechtsradikal zeigten. In 2024 wurde bekannt, dass führende Militärs nach dem Wahlsieg des aktuellen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva im Oktober 2022 bereit waren, zu putschen. Brasilien entging nur knapp einem erneuten Militärputsch.

Anders sah der Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland aus: In den vergangenen 70 Jahren entstanden Gedenkstätten und Museen zur Erinnerung und historischen Aufarbeitung der NS-Zeit und des Holocaust. Wissenschaftliche Begleitung der Aufarbeitungsprozesse ermöglichte über Jahrzehnte veränderte Perspektiven, etwa auf Reparationszahlungen und Zeitzeug*innengespräche.

Derzeit aber droht sowohl in Deutschland als auch in Brasilien eine grundsätzliche Umschreibung der geschichtlichen Erinnerung und eine Verklärung der diktatorischen Vergangenheit durch rechte und rechtsradikale Akteure. In Deutschland häufen sich seit einiger Zeit rechtsradikale Angriffe auf Gedenkstätten. Die rechtspopulistische AfD, unter deren Vertretern einige offen NS-Verherrlichung betreiben und geschichtsrevisionistische Aussagen tätigen, gewann bei den letzten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg fast ein Drittel der Stimmen. In den aktuellen Umfragen vor der im Februar stattfindenden Bundestagswahl liegt die Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist,  bei knapp 20 Prozent. In Brasilien konnte die Wiederwahl des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro, der die Diktatur verherrlicht, 2022 nur knapp verhindert werden. Der „Bolsonarismo“ und sein Gedankengut bleiben jedoch fester Bestandteil im brasilianischen gesellschaftlich-politischem Spektrum."

Über diese Entwicklungen in beiden Ländern möchten wir gemeinsam mit Janaina Teles und Paula Santana diskutieren. Die Begrüßung erfolgt durch Thomas Fatheuer. 

Dabei soll es unter anderem um folgende Fragen gehen:

  • Welche Bedeutung hat die Erinnerung für aktuelle politische Auseinandersetzungen?
  • Welche Rolle spielen Orte der Erinnerung für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, wie wurden dabei Opfer eingebunden?
  • Wie kann die Erinnerung aktuell gehalten werden, wenn immer mehr Zeitzeug*innen von uns gehen?
  • Wie können Orte der Erinnerung dazu beitragen, der Verherrlichung von Diktaturen entgegen zu wirken?
  • Was können Brasilien und Deutschland jeweils voneinander lernen für die Erinnerungsarbeit und Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen?

Kurzprofile:

Janaina Teles ist Historikerin aus Brasilien und Professorin für brasilianische Geschichte an der Universidade do Estado de Minas Gerais (UEMG). Sie und ihre Familie spielen eine wichtige Rolle in der Aufarbeitung der brasilianischen Militärdiktatur. Ihre Eltern kämpften im Untergrund, wurden verhaftet und gefoltert. Die Schwester ihrer Mutter, Crimeia Schmidt de Almeida, kämpfte in der Guerillabewegung von Araguaia. Sie selbst wurde im Alter von fünf Jahren in ein Militärgefängnis verschleppt und musste dort ihre gefolterten Eltern ansehen. Die Familie Teles ging gegen ihren Folterer Carlos Ustra vor Gericht und gewann mit der Begründung, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Seitdem dürfen sie ihn einen Folterer nennen.

Paula Santana ist pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen und studierte Holocaust Studien, internationale Beziehungen sowie Lateinamerikastudien in Berlin und Bogotá, Kolumbien. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Erinnerungskultur, NS-Geschichte, Lateinamerikaforschung und Gender-Studien.

Dr. Thomas Fatheuer ist Sozialwissenschaftler, Vorstandsmitglied von Kobra und Mitarbeitender des FDCL.

Moderation: Mareike Bödefeld, Referentin im Lateinamerika Referat. Studierte Regionalstudien Lateinamerika (B.A.) an der Universität zu Köln und Universidad de Antioquia in Medellín, Kolumbien sowie Friedens- und Konfliktforschung (M.A.) an der Philipps-Universität Marburg. Sie hat Zusatzqualifikationen als Internationale Prozessbeobachterin des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse, verschiedene absolvierte Kurse im Themenbereich Vergangenheitsaufarbeitung, Konflikttransformation und Mediation und befasste sich in ihrer Masterarbeit mit der Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien. 

 

Zeit: 21. Januar 2025, 18:00-19:30 Uhr (MEZ), mit anschließendem kleinen Empfang

Veranstaltet von: Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Kooperation Brasilien e.V. (KoBra) mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung

» Teilnahme vor Ort
im Konferenzzentrum der Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin

Bitte melden Sie sich an. Die Anzahl der Plätze ist leider begrenzt. Sollte die Raumkapazität erschöpft sein, übertragen wir die Konferenz per Video in andere Räume. Wir weisen darauf hin, dass kein Anspruch auf einen Platz im Saal besteht.

» Livestream
Alternativ können Sie der Veranstaltung auch ohne Anmeldung im Livestream folgen.
Livestream auf Deutsch
Livestream auf Portugiesisch

As longas sombras da ditadura e do autoritarismo
Reconhecendo o passado e a cultura da memória no Brasil e na Alemanha

Evento presencial com tradução simultânea: alemão >< português

A Alemanha e o Brasil passaram por diferentes formas de regimes ditatoriais-autoritários em sua história. As abordagens jurídicas e sociopolíticas para lidar com esses regimes também diferem em ambos os países. No entanto, o que vale para os dois países é que, apesar de décadas de esforços para estabelecer culturas de memória, há ainda uma falta de consenso quando se trata de analisar o passado ditatorial. Na Alemanha, isso se aplica à ditadura nazista (1933-1945), no Brasil, ao golpe militar de 1964 e à subsequente ditadura militar que durou até 1985. Além disso, em ambos os países existe a ameaça de erosão de uma cultura de memória da ditadura e das violações dos direitos humanos que une a sociedade como um todo. Continua sendo uma tarefa extremamente importante de uma sociedade baseada nos direitos humanos e democraticamente constituída, lutar contra essa erosão da cultura de memória.

No Brasil, a superação da ditadura militar e a democratização foram um longo processo. Apesar da criação de três comissões de reavaliação histórica, ainda não houve uma revisaõ legal das violações dos direitos humanos durante a ditadura militar. A memória desse período no Brasil permanece extremamente contraditória até os dias de hoje. Para os militares, o golpe de 1964 foi uma “revolução” que deveria salvar o Brasil do comunismo. Mesmo depois de 1985,não houve uma revisão legal por parte dos governos civis. Eles tiveram o cuidado de não provocar os militares com uma interpretação diferente do ocorrido e, em troca, esperavam que os militares respeitassem as instituições democráticas. No entanto, a vitória eleitoral de Jair Messias Bolsonaro em 2018 mostrou que esses arranjos eram extremamente frágeis. Bolsonaro incorporou oficiais militares em seu governo que eram abertamente antidemocráticos e alinhados à extrema de direita. Em 2024, soube-se que as principais figuras militares estavam preparadas para dar um golpe após a vitória eleitoral do atual presidente Luiz Inácio Lula da Silva em outubro de 2022. O Brasil escapou por pouco de um novo golpe militar.

O tratamento do passado na Alemanha seguiu um caminho diferente: Nos últimos 70 anos, foram criados memoriais e museus dedicados à memória à revisão historica da era nazista e do Holocausto. O acompanhamento acadêmico dos processos de reconciliação com o passado possibilitou a mudança de perspectivas ao longo das décadas, por exemplo, sobre pagamentos de indenizações e entrevistas com testemunhas contemporâneas.

No entanto, tanto na Alemanha quanto no Brasil, existe uma ameaça iminente de uma reescrita fundamental da memória histórica e de uma glorificação do passado ditatorial promovida por atores de direita e de direita radical. Na Alemanha, os ataques de extremistas de direita a memoriais têm se tornado mais frequente. O partido populista de direita AfD, cujos membros incluem representantes que glorificam abertamente os nazistas e fazem declarações revisionistas históricas, obteve quase um terço dos votos nas últimas eleições estaduais na Turíngia, Saxônia e Brandemburgo. Nas pesquisas atuais antes das eleições federais de fevereiro, o partido AfD, classificado pelo Serviço de Proteção à Constituição como suspeito de extremismo de direita, aparece com pouco menos de 20% das intenções de voto. No Brasil, a reeleição do ex-presidente Jair Bolsonaro, que costuma glorificar a ditadura, foi evitada por pouco em 2022. No entanto, o “bolsonarismo” e suas ideias continuam sendo parte integrante do espectro sociopolítico brasileiro.”

Gostaríamos de discutir esses desenvolvimentos em ambos os países junto com Janaina Teles e Paula Santana. Thomas Fatheuer dará as boas-vindas aos participantes. Entre outros temas, serão abordadas as seguintes questões:

– Qual é o significado da memória para os debates políticos atuais?
– Qual é o papel dos lugares de memória na reconciliação com as violações dos direitos humanos e como as vítimas foram envolvidas?
– Como a memória pode ser mantida atualizada quando cada vez mais testemunhas contemporâneas estão falecendo?
– Como os locais de memória podem contribuir para combater a glorificação das ditaduras?
– O que o Brasil e a Alemanha podem aprender um com o outro em termos de trabalho de memória e de aceitação de graves violações de direitos humanos?

Perfil resumido:

Janaina Teles é uma historiadora brasileira e professora de História do Brasil na Universidade do Estado de Minas Gerais (UEMG). Ela e sua família desempenham um papel importante na compreensão da ditadura militar brasileira. Seus pais fizeram parte da resistência clandestina, foram presos e torturados. A irmã de sua mãe, Crimeia Schmidt de Almeida, lutou no movimento guerrilheiro do Araguaia. Ela mesma foi levada para uma prisão militar aos cinco anos de idade e teve de assistir à tortura de seus pais. A família Teles levou seu torturador Carlos Ustra ao tribunal e ganhou com base no fato de que os crimes contra a humanidade não prescrevem. Desde então, eles têm permissão para chamá-lo de torturador.

Paula Santana é assistente educacional no Memorial de Sachsenhausen e estudou Estudos sobre o Holocausto, Relações Internacionais e Estudos Latino-Americanos em Berlim e Bogotá, Colômbia. Trabalha há muitos anos com a cultura da memória, história nazista, estudos latino-americanos e estudos de gênero.

Dr. Thomas Fatheuer é cientista social, membro da diretoria da Kobra e membro do FDCL.

Moderação: Mareike Bödefeld, coordenadora no Departamento de América Latina. Estudou Estudos Regionais da América Latina (B.A.) na Universidade de Colônia e na Universidad de Antioquia em Medellín, Colômbia, bem como Estudos de Paz e Conflitos (M.A.) na Philipps University Marburg. Ela possui qualificações adicionais como observadora de julgamentos internacionais do Centro de Pesquisa e Documentação para Julgamentos de Crimes de Guerra, concluiu vários cursos sobre como lidar com o passado, transformação e mediação de conflitos e escreveu sua tese de mestrado sobre a ditadura militar no Brasil.

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