"Nichts damit zu tun?"?
Quelle: Amigos da Terra, Brasilien, Übersetzung: Christian Russau
"Nichts damit zu tun?"? Fraport muss seine Verantwortung für die Umsiedlung der Vila Nazaré übernehmen!
Auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung der Fraport AG offenbarte der Vorstandsvorsitzende der Firma, Stefan Schulte, seine Unkenntnis der Realität der Vila Nazaré, die für die Bauarbeiten am Flughafen Salgado Filho umgesiedelt werden sollen. Fraport ist für die Bauarbeiten verantwortlich, behauptet aber, mit den Räumungen nicht zu schaffen zu haben.
"Wir als FRAPORT haben mit der Entscheidung [zur Umsiedlung] nichts zu tun. Die Entscheidung zur Umsiedlung war eine der Vorbedingungen der Vertragsunterzeichnung zwischen den Behörden und der Firma". So gefühllos fasst der Vorstandsvorsitzende der Fraport, Stefan Schulte, die schwerwiegende Situation der in der Vila Nazaré lebenden Familien zusammen, die dort seit 60 Jahren leben und nun einen äußerst verstörenden Zwangsumsiedlungsprozess durchleben. Das Motiv für die Zwangsumsiedlung: der Ausbau der Start- und Landebahn des Flughafens Salgado Filho. Fraport ist verantwortlich für die Bauarbeiten: seit 2018 betreibt sie den Flughafen, nachdem sie die Ausschreibung des Flughafenbetriebs für die Dauer von 25 Jahren gewonnen hatte. Dennoch leugnet die deutsche Firma, mit der Zwangsumsiedlung der Familien etwas zu tun zu haben: Auf der Jahreshauptversammlung der Aktionärinnen und Aktionäre am vergangenen Dienstag, 28. Mai, behauptete Schulte, mit dem Fall "nichts zu tun zu haben"; im Jahr 2018 hatten sich bereits Mitarbeiter der Firma Fraport in Porto Alegre geweigert, aktiv an der Öffentlichen Anhörung zur Debatte über die Situation der Vila Nazaré teilzunehmen. Während die im voll gefüllten Saal der Schule Ana Nery anwesenden Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré dringend auf Antworten und konkrete Informatiomnen über ihr weiteres Schicksal in der sehr nahen Zukunft warteten, weigerten sich die Mitarbeiter der Fraport auf die Fragen zu antworten. Diese Art von Desinformation scheint von Beginn an die gewählte Taktik der Firma zu sein: viele Personen erfuhren davon, dass sie ihre Häuser verlieren würden mittels der Nachrichten im Radio und Fernsehen. Dies zeigt, dass niemand von den direkt Betroffenen der Gemeinde jemals an den Verhandlungen über die Zukunft der Vila beteiligt wurde.
Die Absicht der Bürgermeisterei von Porto Alegre ist, die Vila Nazaré zu spalten: ein Teil der Bewohnerinnen und Bewohner soll in das nähergelegene Stadtviertel Nosso Senhor do Bom Fim umziehen, der andere Teil in den Bezirk Timbaúva, in das Viertel Irmãos Marista, weit entfernt abgelegen, ohne nahegelegene Zugänge zu öffentlicher Grundversorgung in Gesundheit, Schulen, und öffentlichem Verkehr, am Stadtrand von Porto Alegre an der Grenze zur Stadt Alvorada. Die Familien haben sich schon klar und deutlich gegen eine Umsiedlung nach Timbaúva ausgesprochen. Im Stadtviertel Nosso Senhor do Bom Fim sind es 364 Wohneinheiten, in der Vila Nazaré leben aber rund 2.000 Familien, was bedeutet, dass der Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner gegen seinen Willen in das Stadtviertel Timbaúva abgeschoben werden würde. Hinzu kommt, dass alle Kleingewerbebetriebe der Vila Nazaré im Umsiedlungsprozess gar nicht berücksichtigt wurden und die betroffenen Familien dementsprechend ihren Lebensunterhalt komplett verlieren würden.
In seiner Antwortrede auf die die Vorgänge in Porto Alegre kritisch durchleuchtenden Nachfragen des Vertreters des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, verteidigte der Fraport-CEO Stefan Schulte obendrein das Vorgehen der Firma Itazi, die von Fraport unter Vertrag genommen wurde, um den Vorgang der Erfassung und der schnelleren Umsiedlung der Familien der Vila Nazaré in die Wege zu leiten. Auf seiner Webseite bewirbt sich Itazi selbst mit der "Agilität, die sie im Rahmen des Prozesses der Enteignung zum Zwecke der Freimachung des Geländes für den Baubeginn einzusetzen vermag". Die Kadastererfassung wird nicht frei von Gewalt und unter demonstrativer Mitwirkung der Militärpolizei durchgeführt, dabei werden die Bewohnerinnen und Bewohner eingeschüchtert: neben der völlig unangemessenen und einschüchternden Anwesenheit der Militärpolizei bei den Befragungen, werden unangemessene und stigmatisierende Fragen gestellt, die mit dem Vorgang der Umsiedlung rein gar nichts zu tun haben – so zum Beispiel wird auch nach krimineller Aktivitäten in der Vergangenheit gefragt.
Eine Sache ist allerdings kurios: wenn Fraport sagt, sie haben mit der Umsiedlung der Familien nichts zu tun, warum haben sie dann eine Firma unter Vertrag genommen, um den "Prozess der Enteignung zum Zwecke der Freimachung des Geländes für den Baubeginn" zu beschleunigen? Stefan Schulte offenbart zudem seine vollständige Unkenntnis über die Lebensrealität der Vila Nazaré: die Firma Itazi hat die Kadastrierung nur eines Teils der Gemeinde vorgenommen, die sich direkt am Kopfende der Start- und Landebahn befindet, die als erste zwangsumgesiedelt werden soll. Die von der Firma im Lokalzensus erhobenen Betroffenenzahlen (siehe die Komplettantwort von Herrn Stefan Schulte am Ende des Textes) geben nur einen Bruchteil der Realiät wieder. Merkwürdigerweise veröffentlichen weder Itazi noch Fraport die Zahl der von ihnen kadastrierten Bewohnerinnen und Bewohner. Eine weitere Illegalität im Vorgehen des gesamten Prozesses ist, dass die Demhab (die munizipale Behörde für Wohnungsfragen) als zuständiges Organ der Regierung von Porto Alegre die Umsiedlung der Familien an deren Einkommen koppelt, so dass dergestalt diejenigen Familien mit einem Monatseinkommen über 3.000 Reais (derzeit umgerechnet 680 Euro/Monat) von Entschädigung- und Ausgleichsmaßnahmen kategorisch ausgeschlossen werden. Mit anderen Worten: viele Familien werden ihre Häuser verlieren und gar nichts dafür bekommen und auf der Straße landen.
Der multinational agierende Konzern Fraport muss seine Verantwortung für die Umsiedlung der Vila Nazaré übernehmen, einer Gemeinde, die dort seit sechs Jahrzehnten lebt, und die nun dort zwangsgeräumt wird, um den Wirtschaftsinteressen der Firma, die den Flughafen erweitern will, zu entsprechen. Es gibt in direkter Nachbarschaft der Vila Nazaré Baugrundstücke – auch welche im Besitz der öffentlichen Hand – , wo für die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré gebaut werden könnte. Die Frage ist also nicht der Mangel an geeignetem Bauland. Denn dort auf diesem in direkter Nachbarschaft der Vila Mazaré gelegenen Baugrundstück soll nun ein Wohnkomplex für fast 40.000 Menschen gebaut werden; aber die 2.000 Familien der Vila Nazaré sollen von dort vertrieben werden, wo sie gelebt haben, ihre sozialen und familiären Beziehungen über Jahrzehnte geknüpft und gelebt haben, wo ihre Heimat ist. Fraport ist mitverantwortlich für diese Verletzung des Grundrechts auf Wohnen und läuft somit sowohl der Brasilianischen Verfassung als auch allen internationalen Verträgen, die Brasilien unterzeichnet und ratifiziert hat, zuwieder.
Lesen Sie hier die Antworten von Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender der FRAPORT AG: Es war eine Entscheidung der Behörden von Rio Grande do Sul, die Bewohner der Vila Nazaré umzusiedeln, diese Entscheidung wurde bereits 2010 getroffen, aus Gründen der Sicherheit und Gesundheit. Mit der damaligen Entscheidung hat Fraport also nichts zu tun. Die Umsiedlung der Bewohner war also eine der Vorbedingungen der Vertragsunterzeichnung zwischen den Behörden und der Firma. Wir denken nicht, dass es um 5.000 Bewohner geht, die Erhebung hat ergeben, dass es sich um 932 Familien handelt, um also auf die [genannte Zahl von] 5.000 zu kommen, müssten es schon sechs Personen je Familie sein. Über die Umsiedlung, mehr als einhundert Familien haben dies bereits akzeptiert, und die öffentliche Hand hat die notwendigen Häuser bereits errichtet, damit die Menschen umziehen können, sie müssen es nur tun. Über den Umsiedlungsprozess und den Zensus vor Ort, ist zu sagen, dass die Firma Itazi auf Recht und Gesetz agiert, das von Herrn Russau genannte Zitat gibt nur einen Teil wieder dessen, was auf der Webseite der Firma steht. Was zählt ist, dass alles nach Recht und Gesetz vorsichgeht. Und das geschieht. Über das Stadtviertel Irmãos Marista kann ich Ihnen sagen, das sagen mir meine brasilianischen Kollegen, sind die Lebenssituation und -qualität sowier die Fragen öffentlicher Sicherheit durchaus vergleichbar mit der der Vila Nazaré."