Brasilien: Das kleine Stadtviertel Vila Nazaré im Widerstand
Ein Haufen an Brettern, blau gestrichene und naturhölzern, Unmengen an Ziegelsteinen, ein alter Herd, unbrauchbar geworden, Kleidungsstücke, zerrissen und zerfasert von Wind und Wetter und herumstreunenden Tieren auf der Suche nach Nahrung, und ein Stuhl obenauf krönt diese letzte Erinnung an ein Haus, das einer Familie über Jahrzehnte Heim und Hof war, mit eigener Hühnerzucht und wo im Hof und auf der Straße vor dem Haus die Kinder und Enkelkinder tagein, tagaus spielten. Alles niedergewalzt durch das schwere Gerät der Abrissbagger, die im Auftrag der Firma aus Deutschland kamen und die das kleine, direkt an den Flughafen angrenzende Stadtviertel Vila Nazaré von der Landkarte streichen will. Nur die Trümmerhaufen der Backsteine und Bretter erinnern an die Geschichte der Familie, die hier, nachdem sie so viele Jahren dort friedlich gelebt und gearbeitet und ihre Kinder und Enkelkinder großgezogen haben, infolge des Drucks weggezogen ist, weg aus der Vila Nazaré. Weil die Vila Nazaré im Weg steht.
Ausbau der Landebahn, weg mit den Bewohnerinnen und Bewohnern
Die Vila Nazaré grenzt direkt an den Kopf der Landebahn des Flughafens Salgado Filho der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre an. Die Landebahn soll ausgebaut werden, um genau 920 Meter erweitert werden, dann wäre die Start- und Landebahn mit 3,2 Kilometern aus sicherheitstechnischen Gründen lang genug für auch größere Flugzeuge, sagt die Stadtverwaltung, und das sagt auch die deutsche Firma, Fraport aus Frankfurt, die seit Januar 2018 die Konzession für den Flughafen übernommen hat und die nun den Flughafenausbau – ein deutlich ausgebauter Terminal mit schicken Einkaufsläden, Boutiquen und Gourmetrestaurants, viele neue Parkplätze und eben die Landebahnerweiterung – durchziehen muss, wie es der über 25 Jahre gültige Komzessionsvertrag vorsieht. Fraport und die Stadtverwaltung sagen: Die Bewohnerinnen und Bewohner würden dort illegal wohnen, weil ihre Häuser sich im Sicherheitsbereich, wie ihn die brasilianische Luftaufsichtsbehörde Anac definiert, befinden.
Daniel Alex da Silva Dutra, 44 Jahre, steht auf dem Trümmerhaufen mit den Ziegelsteinen und dem Bretterwerk, schaut von dieser Erhebung über die Mauer, die das Wohngebiet der Vila Nazaré abtrennt vom Flughafengelände, und kann es immer noch nicht fassen. „Illegal! So eine Lüge! Die Gemeinde hier besteht seit nahezu 60 Jahren, mehr als ein halbes Jahrhundert! Wie können die aus Frankfurt, die von der Firma Fraport, das so einfach ungestraft behaupten? Das ist eine glatte Lüge!“, erbost sich Alex, wie ihn, den Elektriker hier aus der Vila Nazaré und Leiter des gemeinnützigen Instituts Criança Feliz Nazaré („Institut Glückliches Kind Nazaré“), alle nennen.
Gezielte Lügen oder fahrlässig schlechte Informationskultur
In der Tat war es entweder eine gezielte Lüge – oder aber eine fahrlässig schlechte Informationskultur in der Firma Fraport. Auf der Aktionärsversammlung im Mai 2018 hatte der Fraport-Vorstandsvorsitzende Stefan Schulte vor den anwesenden Aktionärinnen und Aktionären gesagt, die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré lebten dort „illegal“. Und ignorierte damit die Realitäten Brasiliens. Artikel 183 der Brasilianischen Verfassung von 1988 definiert die Rechtslage unmißverständlich: „Wer fünf Jahre lang ununterbrochen und ohne Widerspruch bis zu zweihundertfünfzig Quadratmeter Wohnraum in einem städtischen Gebiet besitzt und es für seine Wohnung oder seine Familie nutzt, erhält den Besitz, so er nicht schon Eigentümer eines anderen städtischen oder ländlichen Eigentums ist.“ Der in Brasilien lei usucapião – also in etwa Gewohnheitsrecht – genannte Rechtsgrundsatz gibt den seit Jahrzehnten in der Vila Nazaré wohnenden Bewohnerinnen und Bewohner auf Basis der Brasilianischen Verfassung also in der Tat garantierte Rechtstitel. Daraus ergibt sich der Rechtsanspruch auf angemessene Entschädigungen und voller Rechtsschutz. Von „illegal“ kann hier also keine Rede sein. So ist dann auch zu verstehen, warum der Staat im Lauf der Jahrezehnte in der Vila Nazaré eine Schule für die Bewohnerinnen und Bewohner errichtete, einen öffentlichen Gesundheitsposten unterhielt, die Müllabfuhr regelmäßig kam, – weil die Siedlung Vila Nazaré von Rechts wegen her staatlich anerkannt war. Auf der Aktionärsversammlung 2019 hat sich der Fraport-Chef Schulte dann auch bereits vorsichtiger geäußert. Von „Illegalen“ war dann keine Rede mehr, aber er wies die Verantwortung für die Zwangsumsiedlungen der Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré weit weg von seiner Firma, die entsprechende Entscheidung sei bereits im Jahre 2010 getroffen worden, von den zuständigen Behörden, also Jahre bevor Fraport überhaupt anfing zu überlegen, sich für den Konzessionsertrag zu bemühen. Fraport habe mit der Umsiedlungsmaßnahme nichts zu tun, so der Fraport-Chef.
Agilität im Räumungsprozeß und Druck der Militärpolizei
Aber auch diesem widersprechen die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré vehement: „Es ist Fraport, die die Firma Itazi beauftragt hat, hier die Befragung der Bewohner der Vila Nazaré durchzuführen“, echauffiert sich Alex. Itazi macht die Bestandsaufnahme über wie viele Menschen in der Vila Nazaré leben, um daraus zu errechnen, wie viel Anspruch auf Entschädigung sie haben. Jedes Haus, das zwangsgeräumt werden soll, bekommt eine Nummer und hinter die Zahl ein „R“. „R“ steht für „Reza“, so heißt hier in der Vila Nazaré die direkt in der Einflugschneise liegende Zone. „R“, so sagen die Bewohnerinnen und Bewohner, stehe aber vielmehr für „remoção“ („Räumung“).
Itazi, die Firma der Zensuserfassung, rechnet merkwürdig, findet Alex – und seine Nachbarn, die um ihn herum stehen, wenn er auf dem Hügel aus Schutt und Trümmern steht und spricht, nicken beifällig. „Sie zählen nach Wohneinheiten – und errechnen dies aus der Anzahl der Badezimmer. Eine Toilette, dann steht dir in einem der beiden Neubaugebiete eine Wohneinheit zu. Das ignoriert aber völlig, dass es ärmere Familien gibt, die sich das Badezimmer teilen, und wer hier im gleichen Haus, beispielsweise im oberen Stockwerk wohnt und im unteren seine kleine Werkstatt oder den Krämerladen zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Familie hat, aber im Gebäude nur eine Toilette hat, dem steht nur eine Wohneinheit zu. Also keine Entschädigung für sein Gewerbe. Wovon soll der dann leben?“ Die Menschen um Alex herum empören sich aufs Neue über diese Ungerechtigkeit. „Diese miese deutsche Firma und diese hinterhältige Stadtverwaltung“, raunt einer. Zustimmender, deutlich empörter Beifall der Anwesenden.
Die Firma Itazi hat in den ärmeren Stadtvierteln des Großraums Porto Alegre keinen sonderlich guten Ruf, betonen einige der Anwesenden. Die Itazi-Mitarbeiter kam in die Vila Nazaré nur in Begleitung schwerbewaffneter Militärpolizisten, um die Menschen zu befragen. Dabei wurden die Bewohner auch nach ihrer möglicherweise kriminellen Vergangenheit befragt, eine Frage, die auf den Erfassungsbögen offiziell gar nicht auftauchte.
Itazi selbst rühmt sich für die Arbeit, die sie bei Großprojekten leistet. Die wirbt auf ihrer Webseite nämlich mit ihrem Service, bewirbt sich dort selbst für ihre „Agilität, die sie im Rahmen des Prozesses der Enteignung zum Zwecke der Freimachung des Geländes für den Baubeginn einzusetzen vermag“. „Agilität“, um eine Gelände von Bewohnerinnen und Bewohner freizumachen? „Dann kommen die da mit den Militärpolizisten“, beschwert sich Alex. „Zu Dutzenden. Wer wäre da nicht eingeschüchtert?“ Ist das die Agilität, die die Firma meint?
Eine Bewohnerin, die ihren Namen aus Angst vor Repressalien nicht nennen wollte, äußert Angstzustände, die sie jedesmal habe, wenn sich schwerbewaffnete Militärpolizisten nähern. Dies bestätigt auch Fernando Costa von der Bewegung der obdachlosen Arbeiterinnen und Arbeiter MTST im Bundesstaat Rio Grande do Sul. „Die Militärpolizei verdingt sich de facto als Privatsicherheitsdienst und Handlanger der Firma Fraport. Und setzt die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré unter Druck, damit diese schnellstmöglich ihre Häuser verlassen“, so Fernando Costa. „Wir bitten jetzt hier niemanden, aus Sicherheitsgründen, eine Aussage zu machen, aber die entsprechenden Vorkommnisse wurden bereits bei den entsprechenden Stellen zur Anzeige gebracht. Wir haben es hier mit einem militarisierten Territorium zu tun, alles im Sinne dieser deutschen Firma, und damit setzen sie die Familien noch mehr unter Druck.“ Die Anwohner berichten hinter vorgehaltener Hand von Repression durch Militärpolizisten und von Prügel. Eine Strategie von Druck, geschürter Angst und Einschüchterung.
Wohin, wer entscheidet und wer trägt die Kosten
Was die Bewohnerinnen und Bewohner am meisten aufbringt, sind die Umsiedlungspläne. Fraport will die Arbeiterfamilien aus der Vila Nazaré an zwei verschiedene Standorte zwangsumsiedeln, an Standorte, die weit weg liegen, wo es für die Bewohnerinnen und Bewohner keine Jobs gibt und wo die Kriminalität sehr hoch ist. 15 Prozent der Betroffenen sollen in das Stadtviertel Nosso Senhor do Bom Fim zwangsumgesiedelt werden. 85 Prozent der 5.000 Menschen, also 4.250 Menschen, sollen in das Stadtviertel Irmãos Maristas, in der Region Timbaúva, zwangsumgesiedelt werden.
Eines der schwerwiegenden Probleme dabei: Die Stadtverwaldung sowie die Behörde für Wohnungsfragen Demhab gehen von maximal 1.200 Familien aus, die sagten die Zahlen des Zensus von 2010 aus. Fraport sprach noch im Mai dieses Jahres von „exakt 932 Familien“, dies seien die Zahlen, die Itazi ermittelt habe. Anhand der Anzahl der Toiletten. Die Bewohner der Vila Nazaré und die beiden diese unterstützenden Organisatioenn der obdachlosen Arbeiter MTST und Amigos da Terra, Mitglied im internationalen Netzwerk Friends of the Earth, gehen von 2.000 Familien aus, also rund 5.000 Menschen. Der im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprogramms „Minha Casa, minha Vida“ für die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré geschaffenen Wohnraum in den beiden Stadtvierteln Nosso Senhor do Bom Fim und in Irmãos Maristas, in der Region Timbaúva, reicht also allem Anschein nicht aus für die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner.
Dies scheinen aber auch die zuständigen Behörden und Fraport erkannt zu haben. „Warum sonst müssten sie nun eine Lotterie machen, wer nach Nosso Senhor do Bom Fim zieht?“, empört sich Alex aufs Neue. „Wir wollen nicht aufgeteilt werden, wir wollen alle zusammen wohnen bleiben!“.
Alex dreht sich und zeigt in Richtung jenseits des Flughafens. Dort gibt es ein großes Gelände, ein Brachgelände, das will die Stadt erschließen, um dort Tausende von neuen Wohnungen der Mittelklasse hinzusetzen. Warum sollen wir da nicht hin? Wir könnten alle zusammenbleiben, genug Platz für alle ist das auf jeden Fall. Aber die Stadt und die Eliten denken nur an ihren eigenen Profit“, schimpft Alex. Die Vila Nazaré sei zwar von jeher eine Armengegend, aber die Menschen kennen sich, grüßen sich, helfen einander nachbarschaftlich. In den Neubaublöcken wird es das wohl nicht mehr geben, befürchten die Bewohnerinnen und Bewohner.
Und dann gibt es noch Streit um die Kosten. Fraport will den Umzug zahlen, also die Kosten für den Transport und einige weitere Kosten tragen. Das sieht aber die Bundesstaatsanwaltschaft ganz anders. Anfang Juni schrieben die Bundesanwaltschaft (MPF) und die staatliche Bundes-Ombudsstelle (DPU) der Firma Fraport Brasil eine Mitteilung, in der brasilianischen Tochterfirma der Fraport mitgeteilt wird, dass Fraport Brasil für die kompletten Kosten der Umsiedlung der Familien der Vila Nazaré in Porto Alegre verantwortlich sei. Das Schreiben der Bundesstaatsanwaltschaft und der staatlichen Ombudsstelle informierte Fraport Brasil „über seine Verantwortung und Verpflichtung für die Umsiedlung [...], auch in Bezug auf die Kosten, die in einer Vorstudie der Bundesregierung auf ca. 140 Mio. R$ geschätzt wurden“. Zudem wurde Fraport mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass es zu keiner Zwangsräumung oder zu einer Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner gegen deren Willen kommen dürfte.
Das Unternehmen wurde des Weiteren darüber informiert, dass jede freiwillige Umsiedlung der betroffenen Familien der Vila Nazaré in die mit Bundesmitteln im Bau befindlichen Wohnprojekte des „Minha Casa, Minha Vida“-Programms in den Stadtvierteln Irmãos Maristas und Senhor do Bonfim die Firma Fraport nicht von ihrer Verpflichtung und Verantwortung entbinde, den Gegenwert dieser Wohnungen zu tragen, sprich: die Baukosten dem Wohnungsbauprogramm im nachhinein zu erstatten, „da der Konzessionär allein die Gesamtverantwortung der gesamten Umsiedlung, einschließlich der Kosten“ obliege, so die Mitteilung der Behörden an die Firma Fraport. Zudem verwies die Bundesstaatsanwaltschaft mit Nachdruck auf die Pflicht der Firma zur „vollständigen Einhaltung der verfassungsrechtlichen und rechtlichen Parameter“ im Zusammenhang mit der Umsiedlung der Menschen.
Das sieht Fraport freilich ganz anders. „Die Dokumente sind diesbezüglich sehr klar“, sagte Fraport-Brasil-CEO Andrea Pal. Und setzt sich nun juristisch dagegen zur Wehr. Eine erste Anhörung vor Gericht am 8. Augsut hat diesbezüglich keine Klarheit bringen können, so dass es nun zum Prozess kommt.
Dabei sind die Dokumente eigentlich recht eindeutig: Im Konzessionsvertrag zwischen der brasilianischen Luftfahrtbehörde Anac und Fraport steht unter Artikel 2.5: „Mögliche Räumungen von Flächen auf dem Flughafengelände, die sich im Besitz oder in Nutzung durch Dritte befinden, seien sie vor oder nach der Unterzeichnung des Vertrags zustandegekommen, stehen in voller Verantwortung der Konzessionärin." Artikel 2.5 des Konzessionsvertrag deckt sich also auf den ersten Blick mit der Aussage des Fraport-Sprechers in Porto Alegre, Leonardo Carnielle: „Es existiert die Verpflichtung, das Flughafengelände freizuräumen“. Was aber ist nun mit dem an den Flughafen angrenzenden Gebiet wie der Vila Nazaré, die im Sicherheitsbereich der Anac liegt? Artikel 3.1.50 im Kapitel VIII – „Über die Verpflichtungen“ führt den Punkt der Freimachung des Geländes noch einmal weiter aus: „Die Gesamtheit des Flughafenbereichs zu wahren, einschließlich der Durchführung der für die Räumung Dritter des Flughafengeländes notwendigen Maßnahmen" ist integrale Verpflichtung der Konzessionärin, also Fraport. Bei gutem Willen könnte man meinen, die Fraport-Verantwortlichen hätten nur bis dahin gelesen und gingen deshalb davon aus, dass die ganze Geschichte nicht so teuer für sie werden würde. Nur gibt es noch im Kapitel II – „Von den Risiken der Konzessionärin“ den Artikel 5.4.24.: zu den Risiken der Konzessionärin zählen demnach unter anderem auch die „Kosten, die sich aus den Räumungen auf dem Flughafengelände gemäß Artikel 3.1.50 ergeben, sowie mögliche Umsiedlungen und Verlagerungen". Da die Vila Nazaré im von der Anac als zum Sicherheitsbereich des Flughafen gehöriges Gebiet zählt, müsste demnach Fraport eben auch die gesamten Kosten – einschließlich Neubau der Häuser – tragen. Und „Kosten tragen“ heißt in dem Fall ein Betrag in Höhe von 146 Millionen Reais, derzeit umgerechnet rund 32 Millionen Euro.
„Timbaúva nein!“
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré haben sich an diesem Samstag Nachmittag zu einer Versammlung zusammen gefunden. Es ist Winter im Süden von Brasilien, kaum 14 Grad in der fahlen Nachmittagssonne. Die Stimmung aber unter den Bewohnern kocht hoch. Und ihre Wut ist groß. „Timbaúva nein! Dahin ziehe ich nie und nimmer!“, ertönt es von rechts und links, von vorne und hinten aus der Menge.
Etwas mehr als hundert Familien haben ihren Umzug bisher akzeptiert. Einhundert von rund zweitausend. Es waren diejenigen, die per Losentscheid für den Neubau im Viertel Nosso Senhor do Bom Fim ausgewählt wurden. Die Häuser in Nosso Senhor do Bom Fim sind weitestgehend baugleich mit denen in Irmãos Maristas, in der Region Timbaúva. Aber es gibt einige gewichtige Unterschiede. Das Viertel Nosso Senhor do Bom Fim liegt nicht ganz so weit weg wie Irmãos Maristas, und, noch viel wichtiger, in der Region um Nosso Senhor do Bom Fim gibt es weniger Bandenkriminalität. In der Region um Timbaúva, so berichten mehrere Bewohner, allerdings nur nach der Zusage, sie nicht mit Namen zu nennen und sie auch nicht zu photographieren, sei das anders. „Die dortigen Drogengangs haben angekündigt, jeden, aber wirklich jeden, der aus der Vila Nazaré nach Timbaúva kommt, direkt zu erschießen. Da macht niemand einen Unterschied, ob man unbescholten ist, gar nicht mit irgendwas Kriminellen zu tun hat oder nicht. Für die Drogengangs da aus der Timbaúva-Region macht das keinen Unterschied. Wer aus der Vila Nazaré kommt, so deren Drohung, wird erschossen“, so ein älterer Herr, der sich darüber zu reden traut, aber ebenfalls seinen Namen nicht nennen möchte. Die Angst ist bei allen zu spüren.
Und wie sieht das der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Stefan Schulte, auf der Aktionärsversammlung im Mai 2019 im frühlingsdurchfluteten Frankfurt, angesprochen auf die Frage nach Drogenbanden und Bedrohungslagen in der Region Timbaúva? „Nach allem, was wir wissen, was wir auch von unseren brasilianischen Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wissen, wir sind ja auch selbst regelmäßig vor Ort, ist die Bewertungssituation, die allgemeine Situation, die Kriminalität, in der Gegend nicht anders als in der Vila Nazaré heute auch.“
Alex, der Elektriker, als ihm davon berichtet wird, kann es nicht fassen.Und die Menge in der fahlen Nachmittagssonne ist sich schnell einig, man hat die Lösung gefunden. „Sollen die Fraport-Chefs doch nach Timbaúva ziehen, und wir da in ihre Villen in Deutschland“. Das Gelächter allerdings klingt verbittert und verstummt auch bald.
Aber in einem einig sind sie sich alle. „Widerstand! Wir müssen Demos machen, Lärm machen, denen da oben richtig die Meinung zeigen, sonst macht hier keiner was für uns“, so Alex. „Vielleicht erreicht das ja sogar die Verantwortlichen in Deutschland. Ich habe gehört, der deutsche Staat ist Miteigentümer der Firma Fraport. Kann da nicht das Parlament was machen?“
Dem Land Hessen gehören 31,31 Prozent an der Fraport AG, und die im Besitz der Stadt Frankfurt befindlichen Stadtwerke Frankfurt am Main Holding GmbH halten 20,16 Prozent an der börsennotierten Firma Fraport, die sich in der Vila Nazaré in Porto Alegre gerade keine Freunde zu machen scheint.