Gefeiertem Zisternenprogramm als wirksamer Maßnahme gegen Desertifikation wird Finanzierung verweigert
Das Zisternen-Programm ist ein politisches Instrument der öffentlichen Hand, das Familien im ländlichen semiariden Raum (im Nordosten Brasiliens) Wasserzugang ermöglicht. Dieses Programm wurde nun als weltweit zweitwichtigste Initiative im Kampf gegen Trockenheit und Dürre (Desertifikation) gewürdigt. Die Anerkennung erfolgt in Form des "Preises für Zukunftspolitik 2017", der einzigartig politisches Handeln anstelle von persönlichen Leistungen auszeichnet. Die Verleihung des Preises wird am 11. September im Rahmen der 13. Konferenz der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Desertifikation in China stattfinden.
Die Auszeichnung geht auf den Welt-Zukunfts-Rat zurück, der dieses Jahr mit der Konvention der Vereinten Nationen im Kampf gegen Desertifikation (UNCCD) zusammenarbeitet. Er beurteilt die Aktivitäten der Convivência com o semiárido (angepasste Lebens- und Wirtschaftsweise im semiariden Klima) als sehr wirksam. Das politische Instrument habe das Potential, der Bodendegradation entgegenzuwirken, die den Anbau von Nahrungsmitteln verhindere und die lokale Bevölkerung zum Abwandern zwinge. Hunger und Elend könne damit entgegengewirkt werden. In Brasilien betrifft das Problem der Desertifikation 58% der Fläche im semiariden Raum, wo 11,8% der Brasilianer*innen in teils extremer Armut leben.
Alleinstellungsmerkmal des Zisternenprogramms ist die Tatsache, dass es aus den Erfahrungen der Zivilgesellschaft hervorgegangen ist. Organisationen, die unter dem Dach von ASA im semiariden Raum aktiv waren, haben den Vorschlag in die Politik getragen, die das Programm dann umsetzte. Die gemeinwesenorientierte Politik wurde durch den Nationalrat für Ernährungssicherung (Consea) umgesetzt. Unterschiedliche Regierungen haben mit ihm zusammengearbeitet: Die Regierung Fernando Henrique Cardoso, in besonderer Weise die Regierungen Lula da Silva und Dilma Rousseff, sowie aktuell die Regierung Michel Temer.
Dank von sozialen Bewegungen integrierte Brasilien das Zisternenprogramm in seine Politik und ermöglichte durch den Bau von einer Million Zisternen die Wasserversorgung für den täglichen Bedarf von Millionen Menschen, die im ländlichen semiariden Raum leben. Der Bau von einer Million Zisternen wurde 2014 als wichtiges Ziel erreicht. Außerdem wurden durch Weiterbildungen 250.000 Methoden der Wassergewinnung (häufig für die Landwirtschaft) vermittelt und tausende Zisternen an Schulen gebaut. Inzwischen verlassen deutlich weniger Menschen die Region, um vor der Trockenheit zu fliehen. Untersuchungen belegen, dass selbst 2012, als die Region mit einer der schwersten Trockenperioden seit Aufzeichnung zu kämpfen hatte, die früher üblichen Folgen wie Kindersterblichkeit , Hunger und Massenabwanderung ausblieben. Dies bescheinigt der Text zur Preisverleihung dem zukunktsweisenden Programm.
Im Sertao von Araripe in Pernambuco zeigt die Geschichte von Luiz Pereira Caldas (58) und seiner Frau Nilza de Oliveira Caldas (60), beispielhaft den gegenläufigen Rückzug in die Region, nachdem dort die Politik der Koexistenz mi dem semiariden Klima eingeführt und umgesetzt worden war. Nach zwei Jahrzehnten im Bundesstaat Sao Paulo kehrten sie in ihre Geburtsstadt im Munizip Granito zurück. Einer der Hauptgründe für die Rückkehr waren die verbesserten landwirtschaftlichen Bedingungen auf dem mütterlichen Hof. Dort war eine so genannte barreira-trincheira gebaut worden. In dem ausgehobenen Lehmloch können bis zu 500.000 Liter Wasser gesammelt werden. Wird das Loch eng und tief angelegt, verhindert dies die Verdunstung, da kaum Wind und Sonnenkontakt zugelassen werden.
Nach ihrer Rückkehr auf den Venceslau-Hof, auf dem sie groß geworden waren, pflanzten Luiz und Nilza in die Nähe des Wasserspeichers Bohnen, Kürbis, Maniok, Tomaten, Maracuja, Banane sowie lokale Obst- und Gemüsesorten wie Acerola, Macaxeira und Andu. Luiz lernte außerdem in Fortbildungen das Bauen von Zisternen und konnte damit das Familieneinkommen verbessern. 2015 baute die Familien nach einer anderen Technik eine zweite Zisterne, die so genannte cisterna calcadao. Sie wird genutzt, um wasserintensive Kulturen im Bauerngarten anzubauen, die gleichzeitig vor zu starker Sonneneinstrahlung geschützt werden müssen.
Mit den erworbenen Kenntnissen im Wasser- und Bodenmanagement können die kleinbäuerlichen Familien alles anbauen. Gleichzeitig gewinnen sie Saatgut von heimischen Pflanzen, die an die besonderen Erfordernisse des Klimaraums angepasst sind und tragen damit zu dessen Erhaltung bei. Im semiariden Klimaraum gibt es die Biome Caatinga und Cerrado. Beide sind durch den Einfluss des Menschen in Form von Viehzucht, der Ausweitung von Monokulturen und dem Raubbau an Hölzern stark degradiert und geschädigt.
"Als ich dieses Stück Land erworben habe, gab es hier keinen einzigen gepflanzten Baum. Nicht mal einen Stock, um ein Stück Fleisch zum Braten aufzuspießen. Also habe ich Umburana, Sabiá, Catingueira, Craibera und andere Baumarten gepflanzt. In ihre Mitte habe ich Palmen gesetzt und heute kann ich meine Bienenstöcke dort aufstellen." berichtet der Bauer Francisco de Assis da Silva, den man Preguinho nennt, aus dem Dorf Sao Luiz, im Munizip Maravilha, Bundesstaat Alagoas. Mit agrarökologischen Methoden hat er gute Ergebnisse erzielt und seine Böden von unfruchtbarem Grund zu neuer Fruchtbarkeit zurückgeführt. Mit dieser Wirtschaftsweise kann er sogar in Dürrezeiten produzieren. Der Bauer wendet dafür unter anderem nachhaltige und bodenschonende Techniken wie Mulchen, natürliche Schädlingsbekämpfung, Brache, Fruchtwechsel und Mischkulturen an. "Wenn ich Agrargifte/Pestizide/Dünger verwenden würde, würde ich den Boden, die Nahrungsmittel und meinen Körper vergiften. Die Bienen würden keinen Qualitätshonig mehr herstellen." Neben heimischem Saatgut, Futter und Gemüseanbau hält Bauer Francisco Geflügel, Schafe und Bienen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen (UNCCD) ist weltweit 40% der Erdoberfläche von Desertifikation betroffen. Klimatisch kann dies aride, semiaride und subhumide Trockengebiete umfassen. Fortschreitende Desertifikationsprozesse lassen sich in fast allen Teilen des semiariden Raums feststellen. An einigen Orten in Brasilien sind sie so dramatisch, dass man von Kernzonen der Desertifikation spricht: Seridó (RN/PB), Cariris Velho (PB), Inhamuns (CE), Gilbués (PI), Certao Central (PE), Sertao do Sao Francisco (BA).
Nach Angaben von ASA und IRPAA, die beide das Zisternenprogramm umsetzen, sieht der Etat des öffentlichen Haushalts der Regierung Temer von 2017 für 2018 eine Kürzung von 92% der Finanzmittel für das erfolgreiche Programm vor. Als Referenz für die Kürzung dient bereits das Budget von 2017, das nur noch ein Viertel der Projektmittel von 2012 umfasst. Damit würde ein sinnvolles Programm beerdigt, das im semiariden Raum Brasiliens, der immerhin die Flächengröße von Deutschland und Frankreich gemeinsam hat, 5 Millionen Menschen in der Nähe ihrer Häuser einen Trinkwasserzugang ermöglicht hat.