Mob und Miliz, Polizei und Pistoleiros
Von Christian Russau
Was von Menschenrechtsaktivist*innen seit einigen Monaten als Horrrorszenario befürchtet worden war, ist in Brasilien am 28. Oktober eingetreten. Jair Bolsonaro hat den zweiten und entscheidenden Wahlgang zur brasilianischen Präsidentschaft mit 55,13 Prozent der abgegebenen, gültigen Stimmen klar für sich entscheiden können. 57,8 Millionen Brasilianer*innen stimmten für den Ex-Militär, den Hauptmann der Reserve, während rund zehn Millionen weniger (44,87 Prozent) für den Kandidaten der Arbeiterpartei PT, den Universitätsprofessor Fernando Haddad, stimmten. Elf Millionen Stimmen (9,6 Prozent) wurden für ungültig erklärt, während 31,3 Millionen Wähler*innen (21,3 Prozent) trotz Wahlpflicht in Südamerikas größtem Land an der Präsidentschaftswahl nicht teilnahmen. Damit wird der ehemalige Fallschirmspringer und politisch extreme Hardliner Jair Messias Bolsonaro am 1. Januar 2018 der neue Staatspräsident Brasiliens sein.
Was wird von einer Regierung Bolsonaro in Sachen Menschenrechten zu erwarten sein? Misst man ihn an dem, was er in den vergangenen Jahren und erst vor Kurzem im Wahlkampf gesagt hat, so steht das Schlimmste zu befürchten.
Ein Faschist ist ein Faschist ist ein Faschist
Zahlreiche Äußerungen Bolsonaros zeigen seine faschistische Gesinnung. „Wenn ich gewählt werde, da gibt es keinen Zweifel, würde ich am selben Tag putschen. Es ist ja der Präsident, der entscheidet, also soll man gleich eine Diktatur errichten“, sagte Jair Bolsonaro im Mai 1999 im TV Bandeirantes. „Mit Wahlen ändert man in diesem Land hier nichts. Es wird sich leider nur etwas ändern, wenn wir in den Bürgerkrieg ziehen. Und den Job zu Ende bringen, den die Militärdiktatur nicht gemacht hat: 30.000 dieser Marginalen umbringen“, fuhr er fort, um dann zu erklären: „Ich bin für die Folter.“ Doch es geht bei Bolsonaro immer noch einen Zacken extremer. Im Juli 2016 erklärte er: „Der Fehler der Diktatur war, dass sie gefoltert und nicht getötet haben.“ Und: „Das Erschießen ist für gewisse Personen sogar noch eine Ehre.“ Und: „Ein Polizist, der nicht tötet, ist kein Polizist.“ Über die Favela Rocinha sagte er bei einer nicht-öffentlichen Veranstaltung, er werde einen Helikopter über der Favela Flugzettel abwerfen lassen, die den Bewohner*innen sechs Stunden Zeit gäben, die Favela zu verlassen, dann werde das Maschinengewehrfeuer flächendeckend eingesetzt, – eine Äußerung, die er nach einem späteren Pressebericht bestritt.
Dieses faschistische Weltbild gesellt sich zu Bolsonaros unzähligen Äußerungen, die vor Rassismus, Indigenenfeindlichkeit, vor Sexismus und Frauenfeindlichkeit, vor Schwulen-, Lesben- und Trans*feindlichkeit nur so triefen. Quilombolas seien nur fett und taugten nicht zur Fortpflanzung, überhaupt werde es unter ihm als Präsidenten keinen einzigen Zentimeter mehr für indigene Territorien und dergleichen geben.
Chronik einer angekündigten „Säuberung“
Eine Woche vor seinem Wahlsieg hielt er vor Anhänger*innen eine Rede, deren martialische Sprache vollends mit dem erschreckenden Inhalt harmonierte: „Die Säuberung wird nun noch umfassender sein“, erklärte er in klarer historischer Anspielung auf die Vergangenheit Brasiliens, das Kolonialismus, Sklaverei und Militärdiktatur erlebte. Implizit deutet er also an, dass diese Verbrechen gegen die Menschheit im Vergleich zu dem, was er plant, nicht umfassend genug waren.
Wie er sich diese „Säuberung“ vorstellt, legte er auch gleich dar: „Wenn diese Leute [die Linken, Anm.d.A.] hierbleiben will, werden sie sich unter unser Gesetz stellen müssen“ – gemeint sind offenkundig weniger die Gesetze der brasilianischen Verfassung, sondern das „Gesetz“ derjenigen, die seiner politischen Meinung sind. Soziale Bewegungen wie die Landlosenbewegung MST und die Obdachlosenbewegung will er dieser Logik folgend zu terroristischen Organisationen erklären. „Banditen von MST, Banditen des MTST, eure Aktionen werden als Terrorismus eingestuft werden“, um ihnen sogleich Gefängnis anzudrohen.
Doch bleibt ein Bolsonaro in seinen Reden natürlich nicht beim Gefängnis stehen. Denn er schob in seiner Rede gleich hinterher: „Wenn diese Truppe hier bleiben will, müssen sie sich unter unser Gesetz stellen, oder sie gehen ins Ausland oder in den Knast. Diese roten Asozialen werden aus unserem Land verbannt werden.“ Direkt gemünzt auf alle Linken ergänzte er: „Ihr kommt alle an die Spitze des Strandes, für euch haben wir keinen Platz hier in unserem Vaterland.“ Die Spitze des Strandes, die sogenannte Ponta da Praia, ist zweierlei zu verstehen: Einerseits befinden sich dort meistens die Marinemilitär-Forts, in denen zur Zeiten der Militärdiktatur Menschen gefoltert und ermordet wurden. Eine klare Ansage zum Mord. Andererseits steht die Sprachwendung auch für die zwangsweise Massendeportation von Menschen, die eine andere politische Meinung haben.
Nur martialischer, rechtsradikaler Maulheld?
Zugleich gibt es vor allem in Brasilien nicht wenige Stimmen, vor allem auffallend oft jene, die Bolsonaro ihre Stimme gegeben haben, dass sie seine martialischen Reden nicht so ernst nehmen, dass er sich halt als Maulheld darstellen müsste, um genug Aufmerksamkeit und eben so die Wahlen zu gewinnen. Was ihm zweifellos gelang.
Es wäre wohl eines der wenigen Male, dass ein Politiker demnach von vielen dafür gewählt wurde, dass er später nicht das tut, was er angekündigt hat. Dieser Ansicht nach wäre er ein rechtsradikaler Maulheld, dessen spätere (Un-)Taten nicht das erschreckende Niveau erreichen würden. Selbstverständlich kann das erst mit Gewissheit gesagt werden, wenn er seinen Regierungsposten angetreten hat.
Von Mob und Miliz, Polizei und Pistoleiros
Die bereits wenige Tage vor und nach dem zweiten Wahlgang stetig anschwellenden Welle von rechtsradikaler Gewalt in Brasilien, die sich gegen Linke, Indigene, Quilombolas, LGBTI*, gegen Frauen und Kleinbauern richtet, offenbart ein erschreckendes Klima der Gewalt, mit Gewaltakten bis hin zu Mord, bei denen die Täter nicht selten mit dem Wahlsieg ihres „Hauptmanns“ auf den Lippen ihre Taten legitimieren und begründen.
Angesichts seines Rückhalts in der Militärpolizei ist auch das schon jetzt skandalöse Vorgehen der Polizeikräfte bei Einsätzen in den Favelas und den Peripherien der Großstädte mit 5.000 durch die Polizei getöteten, meist schwarzen Jugendlichen vielleicht nur ein bitterer Vorgeschmack auf das, was droht, wenn eine Polizei per präsidialer Rückendeckung einen Blankoschein fürs wahllose Töten in Favela und Peripherie erhält.
Hinzu gesellen sich die mafiösen Milizen, die sich aus Polizisten und Ex-Polizisten zusammensetzen und vor allem in Rio de Janeiro ganze Stadtteile bereits de facto unter ihre Kontrolle gebracht haben, die das wirtschaftliche, private bis hin zum politischen Leben der von ihnen beherrschten Stadtteile diktieren und dabei die ganze Palette von Drohung und Einschüchterung, von Gewalt und Mord anwenden und denen seit Jahren enge Beziehungen zu Teilen der politischen Klasse nachgesagt werden, von denen nicht wenige nun wieder mit vielen Stimmen ins Parlament von Rio de Janeiro gewählt wurden.
Auf dem Land finden sich derzeit die Pistoleiros und Capangas der Großgrundbesitzer*innen offensichtlich ebenso zu roher Gewaltanwendung gegen unliebsame Gegner wie Indigene, Quilombolas, Landlose oder Kleinbauern animiert wie der LGTBI*-feindliche Mob auf den Straßen der Städte.
So gesehen, braucht es angesichts einer drohenden Flut von unzähligen „spontanen“ Gewaltakten seiner nun durchdrehenden Anhänger keinen direkten unterschriebenen Befehl des künftigen Präsidenten, die „Säuberung“ im Lande anzustoßen. Auch die Generäle der letzten brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) hatten es stets tunlichst vermieden, schriftliche Belege für Mord, Folter und Verschwindenlassen zu hinterlassen. Der Faschist an der Macht muss nicht alles selbst anordnen und durchführen. Ein Mob, ein Pistoleiro, eine Milizenmafia findet sich immer.
Wenn sich in solch einem Klima dann zu solch einem Präsidenten noch ein Militär als Vize-Präsident gesellt wie Hamilton Morão, der sagt, „wenn sie Gewalt anwenden wollen, die Profis in Sachen Gewalt sind wir“, und der designierte Verteidigungsminister, Ex-General Augusto Heleno wörtlich sagt, „Menschenrechte sind grundsätzlich für rechtschaffene Menschen da“, und im besonderen Kontext von Rio de Janeiro der gerade gewählte Wilson Witzel ankündigt, unter seiner Regierung sollten mutmaßliche Kriminelle besser gleich durch ausgebildete Scharfschützen der Polizei erschossen werden, den Polizisten werde dafür ein Blankoscheck der Straffreiheit ausgesprochen und grundsätzlich sollten Kriminelle am besten gleich einfach „weggekeult“ werden, so als ginge es um Schlachtvieh, dann ist das nicht mehr nur Diskurs, der „nur“ ein Klima der Gewalt befördert, sondern die gewollte Faschisierung staatlichen Handelns - und somit von Staat und Gesellschaft.