Investitionsschutzvertrag als „Light Modell“?

Brasilien und Mosambik unterzeichnen Vertrag über Zusammenarbeit und Förderung von Investitionen. Ein "neues Modell"?
| von Christian Russau

Brasilien und Mosambik unterzeichnen in Maputo einen bilateralen Investitionsschutzvertrag und bezeichnen den Vertrag als „neues Modell“, da die klassischen Inhalte bilateraler Investitionsverträge wie Streitschlichtungsmechanismen vor internationalen Schiedstribunalen neu und anders formuliert seien.

Brasilien und Mosambik haben am 30. März 2015 in Maputo den Vertrag über Zusammenarbeit und Förderung von Investitionen unterzeichnet. Der Vertrag „Acordo Brasil-Moçambique de Cooperação e Facilitação de Investimentos (ACFI)“ wurde laut Mitteilung des Itamaratys „in Abstimmung mit dem Privatsektor“ erarbeitet und ist vor allem vor dem Hintergrund von brasilianischen Auslandsinvestitionen in Mosambik in Höhe von 9,5 Milliarden US-Dollar zu sehen. Brasilien stellt somit in Mosambik einen erheblichen Anteil der gesamten ausländischen Direktinvestitionen: Laut Weltbankdaten hat sich der Zufluss ausländischer Direktinvestitionen nach Mosambik in den Jahren von 2010 bis 2013 von 1,2 Mrd. US-Dollar auf 6,7 Mrd. US-Dollar mehr als verfünffacht.

Um welche und wessen Investitionen geht es?

Brasilianische Konzerne sind in Mosambik vor allem im Bereich der Energie, Bauwirtschaft, Infrastruktur und Kohleförderung tätig: Allein Brasiliens Bergbauriese Vale fördert in den Minen von Moatize seit 2011 Kohle und sieht das Potential der dortigen Mine bei 18-22 Millionen Tonnen Kohle jährlich. Damit ist Moatize eine der größten Kohleminen weltweit. Die brasilianischen Baufirmen Camargo Corrêa und Odebrecht bauen an mosambikanischen Staudämmen, Straßen und dem Ausbau des Zugnetzes mit.

Aber auch die Landwirtschaft Mosambiks steht im Fokus brasilianischer Investitionen. So hat Brasilien, gemeinsam mit Japan, mit Mosambik eine sogenannte Trilaterale Kooperation unter dem Namen ProSavana gegründet, die die Landwirtschaft im Norden Mosambiks „wettbewerbsfähig und nachhaltig“ machen soll, ganz nach dem Vorbild der Agrarindustrie in der klimatisch vergleichbaren Region der brasilianischen Trockensavanne des Cerrado. Und dazu soll auch die brasilianische Privatwirtschaft, also die Farmer der industrialisierten Landwirtschaft von Brasiliens Mittleren Westen, nach Mosambik gelockt werden – und auch für diese ist der neue Investitionsschutzvertrag zwischen Brasilien und Mosambik gedacht.

Der Vertrag selbst will, laut Artikel 1, „die Kooperation zwischen den Vertragsparteien erleichtern und dadurch die gegenseitigen Investitionen fördern“. Doch wie es in den bilateralen Investitionsschutzverträgen des BIT-Weltmeisters Deutschland mit seinen weit über 100 BITs historisch schon immer der Fall war, gehen solche gegenseitigen Willensbekundungen oft an der Realität vorbei. So wie Deutschland historisch seine ausländischen Direktinvestitionen im Ausland durch BIT schützen wollte, während die anderen Vertragsparteien selbst meist so gut wie keine Investitionen „zum Schützen“ in Deutschland hatten, so hat auch Mosambik derzeit kaum Investitionen in Brasilien, die es zu schützen gelte.

Was ist neu und anders an dem Vertrag zwischen Brasilien und Mosambik?

Zentraler Punkt des nun zwischen Brasilien und Mosambik geschlossenen BITs sind aber zwei Dinge: Erstens die weitreichenden Entscheidungsbefugnisse des Gemeinsamen Komitee („Comitê Conjunto“) und zweitens die besondere Art des internationalen Streitschlichtungsmechanismus. Dort liegt das „Neue“ - wohingegen die in Artikel 9 festgelegten Entschädigungsmodalitäten im Falle einer im öffentlichen Interesse des host state liegenden Enteignung sich weiterhin an Marktpreisen orientieren sollen und von daher weiterhin den klassischen BITs entsprechen. Südafrika beispielsweise mit seinem neuen Entwurf für ein Investitionsgesetz war da schon deutlich weiter, wenn es bei den Entschädigungen die „ausgewogene Balance zwischen öffentlichem Interesse und dem des Betroffenen“ einfordert.

Beim Vertrag zwischen Brasilien und Südafrika konzentriert sich das „Neue“ zunächst an dem Gemeinsamen Komitee. Alle gegenseitige Investitionen betreffenden Sachverhalte, die von den einzurichtenden Ombudsstellen nicht geklärt werden können, werden in dem „Comitê Conjunto “ besprochen und alle eventuellen Konflikte um Investitionen werden ausschließlich dort verhandelt. Erst wenn dieses Gremium zu keiner Einigung gelangt, dann greifen sogenannte internationale Schiedsgremien. Und hier liegt das „Neue“ an dem „Neuen Modell von Investitionsschutzverträgen“ – oder, wie die brasilianische Wirtschaftszeitung Valor Econômico es umschrieb: das Light Modell“.

Denn Artikel 15 des Vertrags zur Streitschlichtung sieht unter Punkt 6 vor: „Falls es nicht möglich sei, den Streit zu schlichten, können die Vertragspartner auf Streitschlichtungstribunale zwischen Staaten zurückgreifen“. Aber diese Tribunal können nur solche sein, „die von dem Gemeinsamen Komitee selbst eingesetzt und von allen Vertragsparteien akzeptiert wurden“. Damit bleiben die Internationalen Streitschlichtungstribunale wie die Weltbanktochter ICSID, der London Court of International Arbitration oder die International Chamber of Commerce in Paris außen vor – und auch deren Intransparenz und nahezu ausschließlich auf Wirtschaftsschutz bedachten Regularien und Grundsätze – zum Wohle der transnationalen Konzerne und deren „Rechtsschutz“.

Stattdessen sieht der Vertrag zwischen Mosambik und Brasilien vor, eben nicht eine “Investor-to-State“-Klagemöglichkeit, sondern – wie bei den WTO-Streitschlichtungsmechanismen – einen internationalen Streitschlichtungsmechanismus, der von und zwischen den Staaten geschaffen werde, wo die klagende Vertragspartei, also der Staat, dessen Investor sich diskriminiert fühlt, dessen Partei ergreift und für diesen gegen den host-state Klage führt. Der Investor kann also anders als bei den „klassischen“ BITs nicht autonom klagen, sondern muss erst „seine“ Regierung überzeugen. Brasiliens Außenministerium, das dieses „neue“ Light-Modell im Auftrag der Brasilianischen Regierung erarbeitet hat, preist es als eine neue Generation von internationalen Investitionsschutzverträgen.

Brasilien verhandelt seit geraumer Zeit mit einer Reihe von Staaten seine „neue Generation“ von internationalen Investitionsschutzverträgen: Dazu zählen Südafrika, Angola, Algerien, Malawi, Marokko und Tunesien.

Brasiliens bisherige Verweigerung von bilateralen Investitionsschutzabkommen

Mit dem am 30. März 2015 in Maputo geschlossenen Vertrag mit Mosambik hat Brasilien den ersten Investitionsfragen betreffenden internationalen Vertrag seit 20 Jahren unterzeichnet. Mosambik hingegen hat damit seinen zwei Dutzend Bilateralen Investitionsschutzabkommen ein weiteres hinzugefügt. Brasilien seinerseits bildet einen der wenigen Sonderfälle weltweit: Denn das Brasilien ist eines der wenigen Länder, dass noch keines dieser sogenannten Bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) ratifiziert hat. In den Jahren 1994-1999 hatte die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (Präsident Brasilien Januar 1995 bis Dezember 2002) 14 BITs unterzeichnet, aber der Kongress hat nie eines dieser BITs ratifiziert.

Dies aus gutem Grund: BITs sind meistens (neben einigen Freihandelsabkommen mit entsprechenden Investor-to-State-“Schutz”-Bestimmungen wie dem geplanten TTIP) die Basis für die Klagemöglichkeit ausländischer Investoren vor internationalen Schiedsgerichten wegen „diskriminierenden“ oder „enteignenden“ oder „Enteignung ähnelnden“ Verhaltens. Und für die damals noch in der Opposition befindliche Arbeiterpartei PT war klar, dass ein BIT aus zwei Gründen abzulehnen sei. Erstens verstoße ein solcher bilateraler Investitionsschutzvertrag gegen Artikel 1 der Brasilianischen Verfassung, der die Souveränität des Landes definiere, und zweitens diskriminiere ein BIT mit seinen Bestimmungen über ausländische Schiedsgerichte, die nur den ausländischen Investoren, aber nicht den inländischen zur Verfügung stünden, den inländischen Investor und verstoße gegen das Gleichheitsgebot und sei von daher als diskriminierend zu werten. Letztlich, so die PT damals, bestünde durch diese BITs die Gefahr einer Aushöhlung der Demokratie.

Der Arbeiterpartei PT gelang es Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre mehrmals, im Kongress die Mehrheiten für die Ratifizierung dieser 14 BITs zu unterbinden. Denn laut brasilianischer Verfassung Art. 49 fällt die Ratifizierung aller internationalen Verträge, die Brasilien schließt, dem brasilianischen Kongress – zunächst der Abgeordnetenkammer und dann dem Senat – zu, bevor sie dann präsidentiell als letztgültig ratifiziert verkündet werden können.

Ein „neues Modell“ – und die Hintertürchen der Konzerne

Nun aber sieht Brasiliens Regierung, deren Präsidentin von der Arbeiterpartei PT gestellt wird, die Sache offenbar anders: Schließlich müssen ja die Investitionen der brasilianischen Konzerne in Mosambik „geschützt“ werden. Da sich Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und das Außenministerium Itamaraty dieser Kritik an den „klassischen“ BITs durchaus bewusst sind, hatte das Itamaraty in langjähriger Arbeit nun dieses sogenannte „Light Modell“ der Bilateralen Investitionsschutzabkommen erarbeitet, denn noch Alt-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte ein „neues Modell“ von Investitionsschutzabkommen angekündigt.

Ob nun die Ersetzung der „klassischen“ Investor-to-State“-Klagemöglichkeit vor internationalen Schiedsgerichten wie dem ICSID durch ein internationales, aber eben zwischen und von den zwei Vertragsparteien einzurichtendes Tribunal sowie die Parteiname des einen Staates für „seine“ Investoren“ gegen den anderen Staat und dessen potentielle Interessen nun als „Light Modell“ im Vergleich zu den klassischen Bilateralen Investitionsschutzverträgen einen Fortschritt darstelle, ist fraglich: Vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste von mosambikanischen Anwohnern gegen den brasilianischen Multi Vale, dessen Kohleabbau ihnen ihre Lebensgrundlage vor Ort entzieht, oder vor dem Hintergrund der Befürchtung mosambikanischer Kleinbauern, durch das ProSavana-Projekt verlören sie ihr Land, bleiben erhebliche Zweifel bestehen, ob nicht doch wieder die Investorenrechte als höherwertig angesehen werden, als die Rechte der lokalen Anwohnerinnen und Anwohner. Zudem bleibt weiterhin unklar, was geschieht, wenn sich zwar die beiden Vertragsparteien Brasilien und Mosambik im Streitfall eines Investors in dem gemeinsamen Streitschlichtungstribunal einigen, der Investor damit aber nicht zufrieden zu stellen sein wird. Denn für solche Fragen haben international agierende Konzerne eben doch immer noch die (nicht nur) als letztes Drohmittel fungierenden „klassischen“ Internationalen Streitschlichtungstribunale wie die Weltbanktochter ICSID, den London Court of International Arbitration oder die International Chamber of Commerce in Paris. Wie das sein kann und warum es im konkreten Fall nur Mosambik, aber eben nicht Brasilien treffen könnte? Dies erhellt ein kurzer Rückblick auf das Jahr 2006 und nach Bolivien.

Boliviens Präsident Evo Morales verabschiedete das Dekret 29122, das dem Staatskonzern Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos die Monopolstellung garantierte und was infolge Druck auf den brasilianischen Erdölriesen Petrobras und Brasiliens Regierung ausübte. Bolivien kündigte an, die Petrobras-Liegenschaften in Bolivien aufzukaufen, während Petrobras drohte, sich gegen die „gefühlte“ Enteignung durch einen zu niedrigen Kaufpreis zur Wehr zu setzen. Brasiliens damaliger Präsident Lula vermittelte, und Bolivien und Petrobras einigten sich letztlich auf einen etwas höheren Kaufpreis, da Lula im Gegenzug dafür einen etwas höheren Preis für das Gas akzeptierte, das Brasilien von Bolivien importiert. Aber Petrobras hatte bei dem Ganzen einen Trumpf in der Hand, der sowohl Evo als auch Lula durchaus bewusst war: Wäre es zu einer „diskriminierenden“ Enteignung oder Teilenteignung von Petrobras in Bolivien gekommen, hätte Petrobras Bolivien vor ein internationales Schiedstribunal wie das ICSID zerren können. Zwar hat Brasilien selbst eben keinen bilateralen Investitionsschutzvertrag ratifiziert, aber Bolivien hat das. Und zwar unter anderem mit den Niederlanden. Und ihre bolivianischen Niederlassungen hatte die Petrobras schon vor Jahren einer ihrer eigenen Tochtergesellschaften in den Niederlanden überschrieben. Und Mosambik hat gleich wie Bolivien bilaterale Investitionsschutzverträge ratifiziert, darunter befinden sich auch die Niederlande. Und sowohl Vale, als auch Camargo Corrêa und Odebrecht besitzen Tochtergesellschaften in den Niederlanden, die zudem mit niedrigen Steuersätzen locken. Bleibt abzuwarten, wann die ersten brasilianischen Farmgesellschaften die landwirtschaftlichen Flächen in Mosambik über ihre beispielsweise niederländischen Tochtergesellschaften registrieren lassen, wenn ProSavana dann so richtig losgeht.

 

Nachtrag vom 9.4.2015:

Am 1. April 2015 haben Brasil und Angola ebenfalls einen Vertrag zur Kooperation und Förderung von Investitionen geschlossen. Die beiden Vertragsparteien unterzeichneten in Luanda das Abkommen “Acordo de Cooperação e Facilitação de Investimentos entre o Brasil e Angola“.  Wie beim Vertrag mit Mosambik wird das Abkommen als eines der “neuen Generation” von Investitionsschutzabkommen von den Vertragsparteien gefeiert. Bei potentiellen Streitfragen zwischen Investor und Staat sollen zunächst die Ombudsstellen, dann das gemeinsame Komitee des Comité Conjunto und bei Nichteinigung ein internationales “Tribunal zwischen den Staaten” den Streit schlichten. Wie beim Mosambik-Vertrag wird also der Investor-to-State-Klagemechanismus auf einen Klagemechanismus zwischen Staaten ummodelliert, die Entschädigungen bei Enteignungen sollen sich ebenfalls an Marktwerten orientieren. Angola hat bisher acht Bilaterale Investitionsschutzabkommen unterzeichnet, davon sind derzeit ratifiziert und in Kraft die mit Deutschland, den Kapverden, Italien und Russland. Angolas Auslandsinvestitionen in Brasilien summierten sich zwischen 2001 und 2010 auf 114 Mio. US-Dollar, im Jahr 2011 investierten angolanische Firmen 128 Mio. US-Dollar in Brasilien, vor allem im Öl- und Gasbereich. Brasiliens Direktinvestitionen in Angola erfolgten vor allem im Bereich Infrastruktur- und Energie, aber auch im Bereich Bildung oder Ethanol. Größter Einzelinvestor Brasiliens in Angola ist die brasilianische Baufirma Odebrecht. Genaue Zahlen über die Höhe der brasilianischen Auslandsinvestitionen in Angola sind dem Autor zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt (sachdienliche Hinweise hierzu sind immer willkommen).