Thyssenkrupp-Stahlwerk in Rio: Showdown diese Woche

Wieder einmal: Diese Woche könnte sich das Schicksal des umstrittenen Stahlwerks TKCSA von Thyssenkrupp in Rio de Janeiro entscheiden.
| von Christian Russau
Thyssenkrupp-Stahlwerk in Rio: Showdown diese Woche
Text der Gerichtsentscheidung

Am 28. September läuft die 60-Tage-Frist der  provisorischen Betriebsumweltgenehmigung Autorização Ambiental de Funcionamento (AAF) aus. Daher hatte das Landesumweltkontrollamt CECA für den 22. September zu einer ausserordentlichen Sitzung einberufen, um in dieser Frage eine Entscheidung zu treffen. Anwohner*innen des Stahlwerks, die seit Jahren gegen die Staubbelastung durch das Stahlwerk protestieren, befürchten, dass die Umweltbehörden die staatlichen Auflagen im Sinne Thyssenkrupps Spielräume nutzend auslegen und dem Werk die definitive Betriebsgenehmigung erteilen, obwohl noch immer nicht alle seit 2012 staatlich geforderten 134 Auflagen zum Betriebsablauf und zu den Produktionsbedingungen von den Stahlwerkbetreibern erfüllt wurden. Doch am 20. September untersagte das Landesgericht von Rio de Janeiro den Landesumweltbehörden und der Landesregierung von Rio de Janeiro dem Stahlwerk die Betriebsgenehmigung zu erteilen. Damit folgte die Justiz dem Antrag der Landesstaatsanwaltschaft, die die Erteilung der Betriebsgenehmigung wegen der laufenden Zivil- und Umweltklagen gegen das Stahlwerk nicht gestatten will. Beobachter*innen gehen aber davon aus, dass Thyssenkrupp, seit April alleiniger Besitzer des TKCSA-Stahlwerks in Santa Cruz, rund 70 Kilometer westlich des Stadtzentrums von Rio gelegen, seine Anwält*innen einschalten wird, um diese Gerichtsentscheidung wieder aufzuheben. Es bleibt spannend in Rio.


Sechs Jahre in Betrieb – ohne es zu schaffen, von den Behörden die endgültige Betriebsgenehmigung zu erhalten
Das im Juni 2010 eröffnete Thyssenkrupp-Stahlwerk TKCSA läuft seit sechs Jahren ohne definitive Betriebsgenehmigung. Bis 2012 hatte TKCSA eine Niederlassungsgenehmigung („Licença de Instalação“). Diese lief aber im April 2012 aus, da Niederlassungsgenehmigungen in Brasilien generell maximal sechs Jahre gelten. Erteilt worden war diese Genehmigung 2006. Auf die Niederlassungs- muss die endgültige Betriebsgenehmigung folgen, die versucht Thyssenkrupp aber seit etlichen Jahren zu erhalten, was von den Behörden wegen der Nichteinhaltung der Umweltvorschriften bisher verweigert worden war. Da aber die Politik vor der Schliessung des Werks zurückschreckte, einigten sich die Behörden mit Thyssenkrupp 2012 auf die Unterzeichnung eines so genannten „Termo de Ajuste de Conduta“ – kurz TAC-Vertrag genannt. Diese TAC-Verträge erfreuen sich bei brasilianischen Behörden seit 2008 großer Beliebtheit. Wo wegen Umweltbestimmungen einem industriellen Großprojekt so schnell keine endgültige Betriebsgenehmigung erteilt werden kann, werden die Bau- und Umweltgenehmigungen für Großprojekte durch diese TAC-Verträge dahingehend flexibilisiert, dass die Firmen bei Nichteinhaltung von Auflagen und Verstreichen von Fristen mit den Landesbehörden die Umsetzung der Auflagen zeitlich strecken können. Vom Typus her Fast-Food-Umweltgenehmigungen, schimpfen die Kritiker*innen in Brasilien das.

Im März 2012 bei Auslaufen der Niederlassungsgenehmigung war den Behörden und der Firma klar, dass die definitive Betriebsgenehmigung noch in weiter Ferne war. Also einigten sich Behörden und TKCSA auf diesen Termo de Ajuste de Conduta, also die Unterzeichnung einer Durchführungsbestimmung über die Produktionsabläufe im Hüttenwerk, das an seiner nächsten Stelle 250 Meter vom nächsten Wohnhaus liegt. Im TAC-Vertrag zwischen dem Umweltamt und TKCSA wurden 134 behördliche Auflagen akribisch festgehalten, welche Umbauten und technologischen Änderungen die Firma binnen zwei Jahren umzusetzen habe. Sollten diese nicht umgesetzt werden, werde das Werk geschlossen, so die gesetzliche Bestimmung.

Zwei Jahre vergingen, mithin auch zwei weitere Aktionärsversammlungen in Bochum, wo der Thyssenkrupp-Vorstand auf die Fragen stets antwortete, sie würden Fortschritte bei der Umsetzung der 134 Auflagen erzielen und Thyssenkrupp sei sich sicher, gegen Ende des gültigen TAC-Vertrags die endgültige Betriebsgenehmigung von den Behörden zu erhalten. Skepsis war schon damals allenthalben zu spüren.

Was könnte eine „ergänzte behördliche Vereinbarung“ sein?
Doch im März 2014 musste der TAC-Vertrag noch einmal um zwei Jahre verlängert werden. Thyssenkrupp war dies augenscheinlich mittlerweile selbst peinlich, hieß es doch im Jahresbericht 2014 schon nicht mehr wie in den Jahren zuvor „vorläufige Betriebsgenehmigung“. Nein, dort war dann schon die Rede von der „ergänzten behördlichen Vereinbarung.“ Da blieb nur zu fragen, was die Herren von Thyssenkrupp – vor dem Hintergrund der brasilianischen Gesetzgebung – denn nun für einen Unterschied verstünden zwischen „behördlicher Vereinbarung“ und „ergänzter behördlicher Vereinbarung“? Wer ergänzt da was? Das eine wäre legal, eine behördliche Vereinbarung eben, das andere aber schrappt scharf an der Rechtsstaatlichkeit vorbei, wie der Name schon sagt, eine „ergänzte behördliche Vereinbarung“. Eben ein TAC-Vertrag. Im Jahresbericht 2014 umschrieb ThyssenKrupp dies verbrämend: „Mit den brasilianischen Umweltbehörden wurde eine ergänzte behördliche Vereinbarung zur Betriebserlaubnis unterzeichnet, die eine Laufzeit von 24 Monaten hat. In dieser Zeit werden von den Behörden empfohlene Maßnahmen und Verbesserungsvorschläge unabhängiger Prüfer umgesetzt.“ Interessant, wie Firmenterminologie die Realität anpasst. Es handelt sich nicht um „empfohlene Maßnahmen und Verbesserungsvorschläge“, sondern um klare Auflagen der Behörden, bei deren Nichtbefolgung die Schliessung des Werk droht.

Bleischwer lastet das Stahlwerk — auf wem?
Der Vorstandsvorsitzende der Thyssenkrupp AG, Heinrich Hiesinger, sagte auf der Aktionärsversammlung im Januar 2014: „Das Stahlwerk TKCSA in Rio de Janeiro lastet bleischwer auf dem Konzern.“ Mit Blei kennt sich ja Thyssenkrupp bestens aus. Aber auf wem das Stahlwerk TKCSA in Rio de Janeiro „bleischwer“ lastet, das sind die AnwohnerInnen des Stahlwerks. Auf diese geht der Stahlwerkstaub täglich auf sie nieder. Und die betroffenen Menschen sagen, dieser Staub mache sie krank.

Denn was die gegen das Thyssenkrupp-Stahlwerk protestierenden AnwohnerInnen schon lange behaupten und der Konzern aus Essen immer wieder heftig bestritt, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt: Das Stahlwerk emittiert schwermetallhaltigen Staub in die Umgebung. In dem Stahlwerkstaub findet sich nicht, wie von Thyssenkrupp wiederholt behauptet, „nur Graphit“, sondern auch: „Zink, Silizium, Natrium, Mangan, Potassium, Kalzium, Aluminium, Vanadium, Titan, Schwefel, Phosphor, Nickel, Magnesium, Kupfer, Chrom, Kadmium, Blei.“ Auf wem lastet dieses Stahlwerk also bleischwer?

Diese Daten entstammen der Analyse des Landesumweltministerium Secretaria de Estado do Ambiente (SEA), das 2012 die Datenanalyse des Stahlwerkstaubs vorgenommen hatte. Das SEA bestätigte zudem, dass das ausgestoßene Pulver toxisch ist und dass das Pulver Asthma, Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Missbildungen und vorzeitiges Ableben bewirken könnte. Der SEA-Bericht fährt fort und deutet an, dass im Umfeld der Firma „ein Anstieg zu verzeichnen ist an Beschwerden in Bezug auf Atemwegserkrankungen (Asthma, Bronchitis, Lungenerkrankungen), in Bezug auf Hauterkrankungen (Ekzeme, Dermatitis und Dermatosen), auf Augenerkrankungen (Bindehautentzündungen) sowie auf Erschöpfungszustände, Stress sowie Verschärfung „bei Fällen von Bluthochdrucks oder auch Diabetes‘ infolge des Ausgesetztseins des Staubpartikelmaterials“.

Da drängt sich doch die Frage auf: Wann endlich wird gesetzlich geregelt, dass Vorstände und Aufsichtsräte der Konzerne, die solche Werke betreiben, mit ihren Familien selbst im direkten Fall-Out-Gebiet ihres Stahlwerkstaubs leben müssen? Warum trifft so etwas immer nur die anderen, die, die sich nicht wehren können, die, die arm sind, die, die von der gesellschaftlichen Teilhabe und Macht ausgeschlossen sind, die, die weit weg von den Konzernzentralen dieser Welt leben?