Die Firma Thyssen-Krupp richtet in Rio de Janeiro schwere soziale und ökologische Schäden an
Diesen Ereignissen und Erkenntnissen gesellt sich noch das unverantwortliche Verhalten der brasilianischen Bundesregierung hinzu, ein solches Projekt, das dem Land schwere soziale und ökologische Schäden zufügt, nicht nur zu genehmigen, sondern auch noch zu finanzieren.
Das Projekt entsteht auf einer Fläche von 9 km² am Ufer der Sepetiba-Bucht am Atlantik, im Distrikt Santa Cruz im Westen des Bundesstaates und trägt die Bezeichnung CSA – Companhia Siderúrgica do Atlântico, Stahlwerk Atlantik.
Hier entsteht ein Industriekomplex mit eigener Hafenanlage und einer Produktionskapazität von 5,5 Millionen Stahl im Jahr. Davon sollen 60% in die Vereinigten Staaten und 40% nach Deutschland exportiert werden.
Zu diesem gigantischen Projekt gehört auch ein eigenes Wärmekraftwerk mit einer Leistung von 490 Megawatt, ein Hafen mit zwei Anlegern und einem Pier von 700 Metern Länge sowie eine Brücke von 4.000 Metern Länge, um den Zugang zu der Anlage zu ermöglichen. Die Bauarbeiten begannen Anfang 2006. Die Aufnahme der Produktion ist für Dezember 2009 geplant.
Die CSA ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Thyssen-Krupp mit einer 90%igen Beteiligung und der Companhia Vale do Rio Doce, CVRD, mit den restlichen 10%. Die gesamten Investitionen sollen sich auf 4,5 Mrd Euro belaufen. Zu den finanzierenden Banken gehört die brasilianische Entwicklungsbank BNDES, die bereits 1,48 Mrd Reais ausgezahlt hat. Die Summe kann sich jedoch auf 18% des gesamten Wertes erhöhen, da die Beteiligung von der Regierung Brasiliens als „Kreditlinie im Rahmen eines internationalen Wettbewerbes“ bewilligt wurde. Außerdem wurde der gesamte Standort von der Regierung des Bundesstaates Rio de Janeiro kostenlos zur Verfügung gestellt. Hinzu wird die Befreiung von bundesstaatlichen Steuern für die Zeit von 12 Jahren kommen. Das Unternehmen wird während fünf Jahren keine kommunalen Steuern bezahlen. Von Fachleuten werden die Steuergeschenke auf etwa 150 Mio US$ geschätzt.
„Das ist genau das Entwicklungsmodell für Brasilien, das wir immer kritisiert haben. Die Regierung gewährt alle nur denkbaren Anreize, räumt ausländischen Projekten die Finanzierung über die BNDES ein, regionale Arbeitskräfte werden nicht gebraucht, andererseits entstehen nicht mehr wieder gut zu machende Schäden an der Umwelt und für die Gemeinden der Region. Die Erzeugnisse sind Halbfertigprodukte mit niedrigen Preisen, ausschließlich für den Export bestimmt, die später als fertige Industrieprodukte mit hohem Mehrwert nach Brasilien zurückkehren. Für uns bleiben die sehr hohen sozialen und ökologischen Kosten“. Zu dieser Einschätzung gelangt die Ökonomin des Instituto Políticas Alternativas para o Cone Sul, PACS, Karina Yoshie Martins Kato. Sie war vor einigen Wochen auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika (FDCL) in Berlin, um über das Projekt zu berichten.
Die CSA ist die erste von drei Stahlschmelzen, die nach dem Willen der brasilianischen Bundesregierung in der Region entstehen sollen.
Das erste Werk liegt etwa 100 km vom Zentrum der Stadt Rio entfernt. Dort leben etwa 40% der Bevölkerung der Stadt, also ungefähr 6 Mio Menschen. Nach Informationen der Ökonomin des PACS werden mehr als 8.000 handwerkliche Fischer und ihre Familien die unmittelbaren Auswirkungen der Baggerarbeiten zu spüren bekommen, welche zur Vertiefung der Bucht von Sepetiba durchgeführt werden, um die Zufahrt für Frachtschiffe zu ermöglichen. Die Bucht ist sehr flach für einen Hafen. Auf ihrem Grund liegen etwa 3 Mio Tonnen Schwermetalle wie Kadmium, Zink, Arsen. Sie sickerten während 20 Jahren aus den Lagern einer inzwischen pleitegegangenen Zinkfabrik in dieser Region. Die hochgiftigen Stoffe sammelten sich auf dem Grund der Bucht an. Mit den Baggerarbeiten werden sie wieder aufgespült. Wasser, Fische und Schalentiere werden vergiftet, Kanäle und Flüsse mit dem giftigen Schlamm zugestopft.
Biologen vom Fischereiverband Rio de Janeiro konnten bereits kranke und missgebildete Fische nachweisen. Fischer berichten, dass sie heute während eines ganzen Tages nur ein Zehntel der früheren Menge von Fischen fangen, fügt Karina Kato hinzu.
Die handwerkliche Fischerei, von der etwa 40.000 Menschen in der Region leben, ist keineswegs die einzige wirtschaftliche Tätigkeit, die durch das Projekt der CSA schweren Schaden erleidet. Die Region ist mit ihren Inseln, ihrem Personenschiffverkehr, von dem viele Familien leben, ihren Hotels und Restaurants von erheblicher touristischer Bedeutung. Neben den schweren Schäden für die Küstengewässer zerstört die Stahlschmelze den gesamten Primärwald der Region Sepetiba II, die von der Regierung im Jahr 2004 zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde.
Ein weiterer heftig umstrittener Aspekt der CSA ist die gesetzeswidrige Erteilung der Umweltgenehmigung durch die Feema, der Umweltbehörde der bundesstaatlichen Regierung von Rio de Janeiro. Da es sich um ein Projekt im Küstenbereich handelt, ist für die Genehmigung nach Gesetz 7.661 aus dem Jahr 1988 eine Behörde auf Bundesebene zuständig, nämlich das Ibama. Ebenso zweifelhaft sind die öffentlichen Anhörungen, die im Verlauf des Genehmigungsverfahrens durchgeführt wurden. Das Unternehmen holte sich die Unterstützung von Leuten, die gar nicht in der Region leben, um in den Versammlungen zu seinen Gunsten zu sprechen. Einige der Eingeladenen räumten offen ein, 50 Reais erhalten zu haben, andere sagten, dass sie nicht einmal wüssten, um was es eigentlich gehe, berichtete Karina Kato.
Die Ökonomin des PACS weist darauf hin, dass das Schlimmste jedoch die Bestechungsgelder gewesen seien, die an Behörden und Vorsitzende der Fischereiverbände gezahlt wurden. “Ein nachgewiesener Fall war derjenige des Vorsitzenden einer Genossenschaft mit 1.800 Mitgliedern, der im Namen seiner Organisation dem Projekt zustimmte, sich dann aber absetzte, als er bei einer öffentlichen Anhörung seine Haltung erläutern sollte“, sagte Kato.
Die CSA gewann die Zustimmung der umliegenden Gemeinden mit der Zusage, dass 18.000 Arbeiter für den Bau und später 3.500 für den Betrieb der Stahlschmelze eingestellt werden sollten. Schätzungen zufolge sind heute täglich etwa 10.000 Arbeiter auf der Baustelle tätig. Sie stammen aber gar nicht aus der Region. Im Gegenteil. Das Unternehmen beschäftigt Leute aus dem Nordosten Brasiliens und hat außerdem 900 Maurer aus China geholt. Die brasilianische Regierung genehmigte die Verpflichtung von höchstens 600 chinesischen Arbeitern, obwohl die CSA die Genehmigung von 4.000 beantragt hatte. Diese sollten Bestandteil eines Vertrages über 425 Mio US$ sein, der zwischen Thyssen-Krupp und dem Staatskonzern Citic in Peking unterzeichnet wurde, um Ausrüstungsgegenstände und billige Arbeitskräfte einzukaufen.
In Brasilien setzt die Einwanderung von ungelernten Arbeitskräften für Bauprojekte die Genehmigung durch den Conselho Regional de Engenharía, Arquitectura e Agronomía, CREA, voraus. Die CSA umging nicht nur diese Vorschrift, wie sich bei einer Kontrolle durch die für Arbeitsverhältnisse zuständige Staatsanwaltschaft zeigte, die im vergangenen September 120 chinesische Arbeiter ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsverträge auf der Baustelle entdeckte. Eine Anzeige bei der Justiz führte zum Verbot der vertraglichen Verpflichtung chinesischer Arbeiter und zur Verhängung einer Konventionalstrafe von 40 Mio Reais gegenüber Thyssen-Krupp „wegen Verursachung moralischer Schäden“.
Die am heftigsten umstrittene Verhaltensweise der CSA sind die nachgewiesenen Verbindungen des Unternehmens zu paramilitärischen Gruppen aus ehemaligen Polizisten und Berufsmördern, aus denen die Wachmannschaft der gesamten Industrieanlage besteht. Diese „Wachmannschaften“ sollen für die Einschüchterung sozialer Bewegungen sorgen, die sich gegen den Bau der Anlage wenden.
Die MitarbeiterInnen des PACS, die seit 2007 die Fischer und Gemeinden der Region unterstützen, versichern, dass die Öffentlichmachung dieser Situation sehr gefährlich sei, da dadurch die örtliche Bevölkerung großen Risiken ausgesetzt werde. „Die Paramilitärs bedrohen und kriminalisieren jegliche Kundgebung gegen das Projekt. Der nach wie vor ungeklärte Tod des Fischers Carlos Alberto Marques Anfang 2007 wird als Tat der Milizen in der Region gerichtlich untersucht. Nach Berichten von Karina Karo legten Marques und ein Kollege im Kanal São Francisco an, um sich auszuruhen und später aufs Meer zurückzufahren. Das Boot war gut gesichert. Dennoch wurde es durch einen mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Schlepper gerammt und die beiden Fischer dabei über Bord geschleudert. Carlos Alberto starb an den Folgen des Unfalls. Sein Leichnam wurde nur nach Protestaktionen der übrigen Fischer gegen das Unternehmen herausgegeben, das die Suche nach dem Toten auf seinem Gebiet verweigert hatte. Der andere Fischer wurde als Opfer eines Arbeitsunfalls in ein Krankenhaus gebracht. Das Boot wurde erst frei gegeben, als ein Anwalt der Fischer Anzeige gegen das Unternehmen erstattete.
Der Verdacht auf tödliche Arbeitsunfälle und die Verletzung arbeitsrechtlicher Bestimmungen innerhalb des Unternehmens veranlassten die Staatsanwaltschaft, ein strafrechtliches Untersuchungsverfahren gegen die CSA einzuleiten, um die verschiedenen Vorwürfe gegen das Unternehmen zu klären. Im Juli dieses Jahres verfügte die Staatsanwaltschaft die Einstellung der Bauarbeiten wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten, wie etwa dem Fehlen von Sicherheitsausrüstungen für die Arbeiter und Sicherheitsvorkehrungen an den Arbeitsplätzen etc.
Da dieselben Zustände auch einige Wochen später noch bestanden, wurde die CSA gezwungen, eine Verpflichtung zur Änderung ihres Verhaltens, „Termo die Ajuste de Conduta – TAC“ unter Androhung von Strafen bei Nichtbeachtung zu unterzeichnen.
Die Fischer der Sepetiba-Bucht haben sechs Gerichtsverfahren in der bundesstaatlichen Justiz gegen die CSA auf den Weg gebracht.
Sie fordern Entschädigungszahlungen in Höhe von 300 Mio Reais wegen der Folgen des Projektes für die Fischerei. Allerdings haben sie keine großen Erfolgsaussichten, falls der Bericht der Bundesstaatsanwaltschaft mit über 6.000 Seiten Länge nicht zu einer Anzeige gegen die CSA führen sollte. Um diese zu erreichen, wird das PACS technische, wissenschaftliche und juristische Daten hinzufügen.
PACS beabsichtigt, Juristen mit Erfahrungen in Verfahren gegen transnationale Unternehmen unter Vertrag zu nehmen. Dazu wurden schon Gespräche mit der brasilianischen Rechtsanwaltsvereinigung, OAB, geführt.
Im Bereich von Technik und Bauarbeiten möchte PACS Gutachten von CREA und vom Regionalen Ökonomischen Rat einholen. Im wissenschaftlich-medizinischen Bereich führten VertreterInnen von PACS Gespräche mit Forschern der Stiftung Oswaldo Cruz, die eine Untersuchung über die Folgen des Industriekomplexes für die Gesundheit der Bevölkerung von Rio de Janeiro durchführen wird. Eine reproduktionsmedizinische Untersuchung wurde von der Gewerkschaft der MedizinerInnen des Bundesstaates erbeten.
Auf internationaler Ebene unterbreiteten die Fischer das Projekt dem Ständigen Tribunal der Völker in Lima, wo es auf großes Interesse stieß.
Jetzt soll vor allem die Unterstützung sozialer Bewegungen in Deutschland gesucht werden, um zur Verbreitung der Informationen über die mit dem Projekt verbundenen Verstöße und Unregelmäßigkeiten zu berichten und den Skandal auch dem Europäischen Parlament zur Kenntnis zu bringen.
PACS möchte im kommenden Jahr eine Reise von Betroffenen nach Deutschland organisieren. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika FDCL hat seine Unterstützung bereits zugesagt, ebenso wie Rettet den Regenwald e.V., KoBra und Urgewald.