Aus dem Schoß der Erde kommt der Schrei Amazoniens
"Ökologie und Mission – Aus dem Schoß der Erde kommt der Schrei Amazoniens": war das Thema des XII. Ökumenischen Treffens der Basisgemeinden Brasiliens (CEBs), das vom 21. bis 25. Juli 2009 in Porto Velho im Bundesstaat Rondônia, mitten im Amazonasgebiet stattgefunden hat. Mehr als 3000 Vertreter der circa 100.000 CEBs aus ganz Brasilien stellten die Lebendigkeit der kirchlichen Basisgemeinden und ihre wachsende Zuwendung zu Umweltthemen unter Beweis.
Die Augen des globalisierten Kapitals richten sich immer mehr auf Amazonien, das über vielseitige Bodenschätze verfügt. So gibt es dort Mineralvorkommen von Eisen, Zink, Bauxit, Kalium, Niob, Mangan, Kassiterit, Gipsit, Blei, Kupfer, Nickel, Gold, Diamanten. Außerdem verfügt die Region über 20 % der weltweiten Süßwasserreserven und 30% der Tier- und Pflanzenarten der Erde und ein immenses Energiepotential von fossilen und nachwachsenden Rohstoffen.
Doch in Zeiten des Klimawandels ist es der Regenwald, der am meisten Aufmerksamkeit weckt. Mit seinen 6,5 Millionen Quadratkilometern entspricht der Amazonas-Regenwald einem Drittel der Tropenwaldreserven des Planeten. Vier Millionen Quadratkilometern davon liegen in Brasilien und machen 49% der Landesfläche aus. Es ist ein Privileg und eine enorme Herausforderung für Brasilien, der man vor allem in letzter Zeit nicht gerecht wird. In den letzten 40 Jahren wurden rund 17 % des Regenwaldes zerstört, was einer Fläche größer als Frankreich entspricht.
"Entwicklung" versus Umweltschutz
In Brasilien versucht die Regierung des Präsidenten Luís Inácio Lula da Silva in ihrem Streben nach Machterhalt das unvereinbare zu vereinbaren. Das Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) wurde zum Markenzeichen der zweiten Amtsperiode Lulas, so wie die erste Amtzeit ganz unter dem Zeichen des "Null-Hunger"- Programms stand. Mit dem PAC-Programm wird die Rolle des Staates als Bereitsteller von Infrastruktur wiederbelebt, eine Förderung von Wirtschaftswachstum um jeden Preis, ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Folgen.
Das Leitbild des unbegrenzten Wachstums steht den globalen Anforderungen des Klimaschutzes diametral entgegen. Man ignoriert damit die katastrophalen Folgen der Erderwärmung, die zahlreichen klimatischen Extremereignisse, wie die Überschwemmungskatastrophen und Dürren die Brasilien im letzten Jahr heimgesucht haben. Die im internationalen Vergleich herausragenden natürlichen Reichtümer Brasiliens verleiten die Regierung dazu, die ökologische Krise vor allem als Chance für die brasilianische Wirtschaft darzustellen. Denn man gibt vor, mit Agrotreibstoffen aus Brasilien in der ganzen Welt die CO2 Emissionen reduzieren zu können, ohne den Treibstoffverbrauch reduzieren zu müssen. Hier wird besonders deutlich, dass die Logik des wirtschaftlichen Wachstums um jeden Preis die politische Verantwortung untergräbt, ein sozial gerechtes, ökologisch angepasstes und ökonomisch nachhaltiges Entwicklungsmodel aufzubauen.
Das Ergebnis dieser Wachstumslogik ist, dass fast 70% der Treibhausgas-Emissionen in Brasilien auf Brandrodung für die Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzflächen zurückzuführen sind, 59% dieser Emissionen entstehen durch Rodung des amazonischen Regenwalds. Damit ist Brasilien schon an vierte Stelle im weltweiten Ranking der Treibhausgas-Produzenten.
Abgesehen vom Handel mit Tropenholz, Rohstoffabbau und der Expansion der Sojaproduktion ist die Viehzucht einer der größten Verursacher der Zerstörung des Regenwaldes. Zwischen 1990 und 2003 nahmen die Rindviehbestände in Amazonien um 240% zu und erreichten einen Bestand von 64 Millionen Stück Vieh, was Brasilien zum weltweit größten Fleisch-Exporteur macht. Im Schnitt wird alle 18 Sekunden ein Hektar Regenwald in Weideland umgewandelt.
Und statt dieser zunehmenden Abholzung entgegenzuwirken, wurde Ende Juni diesen Jahres vom Präsidenten ein Gesetz sanktioniert, das erlaubt, Landnahmen öffentlichen Landes in Amazonien zu legalisieren, die häufig auf illegaler Basis stattgefunden hatten. So verletzt man das Verfassungsprinzip der "sozialen Funktion des Landeigentums". Es bedeute erneute Stimulierung von illegalen Landnahmen und Zerstörung des Regenwaldes.
Mit diesem Gesetz ist es möglich staatliche Ländereien von bis zu 1.500 Hektar an Privateigentümer zu transferieren. Das Programm "Legales Land" ermöglicht so die Legalisierung von 67,4 Millionen Hektar staatlicher Ländereien, das sich Privatpersonen illegal angeeignet haben. Das entspricht etwa 13 % der Fläche Amazoniens.
Hinter dieser Maßnahme stecken strategische Überlegungen: Regeln aufzustellen, mit der Kapital-Investitionen in Amazonien begünstigt werden. Nach der Logik des Programms zur Förderung des Wachstums ist die Legalisierung der Landrechtssituation eine Grundvoraussetzung um Investoren für Großprojekte anzuziehen, wie zum Beispiel Straßenbauprojekte. Diese Projekte werden neue Impulse für Aneignung und Privatisierung des Regenwaldes für ökonomische Zwecke nach sich ziehen.
Das Volk als "Wachstumshindernis" und Alternativen
Die Bevölkerung Amazoniens, 20 Millionen Einwohner, davon 62% Stadtbevölkerung, hat am wenigsten Bedeutung in diesen Plänen. Die Bevölkerung der Region, die sich durch eine immense Vielseitigkeit und Kreativität aber auch großes Leiden auszeichnet, ist mehr Wächter als Zerstörer des Regenwaldes. In den Regierungsplänen erscheint sie nur als Rechtfertigung der öffentlichen Investitionen und in der Werbung für die Programme, anstatt dass man sich in den Projekten an ihrem Vorbild von Weisheit und Nachhaltigkeit orientiert, nach dem Vorbild der Bewegung der "florestania", die sich die Bewahrung der Agro-Biodiversität sowie der kulturellen und sozialen Werte Amazoniens auf die Fahnen geschrieben hat. Die Regierung hat jeglichen Dialog mit der Bevölkerung Amazoniens verweigert.
Es wird zwar von außen Druck auf die brasilianische Regierung ausgeübt, doch reagieren die Verantwortlichen ohne die grundsätzlichen Weichen der wirtschaftlichen Expansionspolitik zu ändern. Die Beziehung zwischen den ökonomischen Maßnahmen und der Vernachlässigung des Umweltschutzes ist offensichtlich. Die Rolle Brasiliens auf dem Weltmarkt der Rohstoffe und Agrarprodukte, wie Soja, Fleisch, Zucker bzw. Ethanol nimmt zu. Die Produktion dieser Güter bringt enorme soziale Auswirkungen und Umweltschäden mit sich, wie Abholzung, Bodendegradierung und einen häufig unterschätzten hoher Verbrauch von Wasser. Eine jüngste Studie des WWF belegt, dass Brasilien jährlich 5,7 Milliarden Kubikmeter Wasser verbraucht, um diese Exportgüter für den Weltmarkt zu produzieren.
Angesichts dieser Zusammenhänge und in dem Bewusstsein, dass man der ökologischen Krise auf globaler Ebene begegnen muss, schlagen wir für die internationale Umweltpolitik vor:
1. Besteuerung umweltschädlicher Aktivitäten und des Spekulationskapitals. Die daraus entstehenden Einnahmen sollen in Präventionsmaßnahmen vor Umweltkatastrophen und in Hilfe für deren Opfer investiert werden.
2. Intensivierung der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands und der Europäischen Union mit Ländern, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind und in denen vor allem die arme Bevölkerung darunter leidet.
3. Überarbeitung der Verträge zum Import von Ethanol aus Brasilien und anderen Ländern von Seiten der deutschen Regierung und der Europäischen Union, unter Einbeziehung strengster, verbindlicher Umwelt- und Sozialstandards. Abschaffung der Beimischungsquote.
4. Ausweitung dieser verbindlicher Umwelt- und Sozialstandards auf andere Agrar-Produkte, die aus Brasilien importiert werden, wie zum Beispiel Holz, Fleisch, Soja und Agrotreibstoffe etc. Importverbot für Handelsgüter, die aus illegal gerodeten Gebieten stammen.
5. Starke Reduzierung des Energieverbrauchs und stopp der Energieverschwendung in Deutschland und den anderen Ländern der Europäischen Union.
Mário de Andrade sagte im Jahr 1927: "Das Amazonas-Becken ist so gewaltig, dass es die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen übersteigt." Angesichts dieser Großartigkeit muss das afrikanische Zitat gelten, das Dom Moacir Grecchi, Bischof von Porto Velho am XII. Treffen der kirchlichen Basisgemeinden aussprach: "Einfache Leute, die in unbedeutenden Orten kleine Dinge machen, provozieren außerordentliche Veränderungen." Das macht Sinn, daran glaube ich.