Brasiliens Indianer-Politik bringt den Missionsrat auf
Von einem "Holocaust" an den Indianern Brasiliens berichtete der katholische Missionsrat. Die staatliche Indianerschutzbehörde findet das maßlos übertrieben: Gerade zwei Indianer seien 2005 bei Landkonflikten ermordet worden.
Rio de Janeiro - Der Indianermissionsrat Cimi beziffert die Zahl der 2005 ermordeten brasilianischen Indianer auf 43, sechs mehr als im Jahr zuvor. Cimi-Vizepräsident Saulo Feitosa zufolge sind seit 2003, als die jetzige Regierung antrat, durchschnittlich 40 Indianer jährlich getötet worden. Das wären doppelt so viele wie im Durchschnitt der acht Jahre zuvor. Für den starken Anstieg der Gewalt macht Feitosa die Regierung direkt verantwortlich: Sie verschleppe die Ausweisung von Indianerschutzgebieten. "Je weniger Land demarkiert wird, desto mehr Fälle von Gewalt registrieren wir."
Der Bericht, der mit Begriffen wie "Völkermord" und "Holocaust" operiert, rückt die gegenwärtige Mitte-Links- Regierung in die Nähe früherer Militärdiktaturen. Unter den Generälen seien mehr Indianerschutzgebiete pro Jahr ausgewiesen worden als unter Präsident Lula - sieben damals gegenüber sechs jetzt. Dass das daran liegen könnte, dass mittlerweile einfach ein Großteil der Forderungen erfüllt ist, bestreitet Feitosa. Der 192-seitige Bericht listet die Todesfälle relativ detailliert auf. Dagegen bleibt der Cimi für seine Anklage, von den etwa 60 isoliert lebenden Indianervölkern seien etwa 17 von der Ausrottung bedroht, Belege schuldig. Man wisse eben wenig über sie, sagte Feitoso auf Anfrage. Dennoch macht der Bericht "Todesschwadronen" verantwortlich, die im Auftrag von Farmern und Holzunternehmern indigene Völker ausrotteten.
"Das Wort Übertreibung ist noch eine Untertreibung", sagt Mércio Pereira, der Präsident der staatlichen Indianerschutzbehörde Funai, zu den Cimi-Klagen. 2005 seien nur zwei Indianer bei Konflikten um Land getötet worden. Cimi rechne "selbst private Streitereien mit Todesfolge zu den Landkonflikten". Eine Datenbank, welche die gewaltsamen Todesfälle bei Indianern systematisch erfasse, habe Funai freilich nicht. Von Todesschwadronen könne jedoch nicht die Rede sein: "Wo, bitte schön, gibt es die denn, wo?"
Die höchst unterschiedliche Sicht der Dinge erklärt sich der Funai-Chef damit, dass Cimi "während der Diktatur gegründet wurde: Die sehen den Staat immer noch so wie damals". Brasilien betreibe heute aber eine "fortschrittliche, würdige" Indianerpolitik. 13 Prozent des Staatsgebietes stehe 460.000 Indianern - 0,26 Prozent der Bevölkerung - als Reservate zur Verfügung. Kanada weise nur 4,5 Prozent, Neuseeland, dessen Indigenenanteil bei 15 Prozent liege, überhaupt keine Schutzgebiete aus.
"Regierung knickt ein"
Unverantwortlich nennt hingegen Feitosa die Kritik des Funai-Chefs: "Funai erfasst überhaupt keine Daten über Gewalt", und die Wirklichkeit sei vermutlich viel schlimmer, "weil wir gar nicht alles erfahren". Dass Cimi die Regierung überkritisch sehe, bestreitet Feitosa: "Wenn wir Fortschritte sehen, loben wir auch, aber was in letzter Zeit passiert, läuft auf einen Stillstand bei den Demarkationen hinaus." Der Grund: Die Regierung knicke vor Großfarmern, Holzunternehmern und Minenbesitzern ein. "Lula hat nicht den Mut, sich denen entgegenzustellen, deshalb hakt er die neoliberale Tagesordnung ab", sagt Feitosa.