„Wir sind das Land“ – Von Sônia Bone Guajajára
Im am 10. März 2017 veröffentlichten Interview mit der Tageszeitung „Folha“ erklärte der Justizminister Osmar Serraglio, dass Land niemandes Bäuche füllen würde. Aus der „Bancada Ruralista“ stammend (parteiübergreifende Gruppe der dem Großgrundbesitz anhängenden Abgeordneten, Anm.d.Ü.) hat er nur den Gedanken dessen wiederholt, der das Auge auf den Bauch richtet und das Land nur als Ware sieht.
Aber in gewisser Weise hat er den Punkt getroffen, den er gesehen hat und darauf geschlossen, was er nicht gesehen hat: Für uns, die traditionellen Völker, dient das Land vor allem anderen unserem Geist und unserer Identität.
Wir sind das Land. Wir können nicht davon getrennt werden. Wir wollen kein Land, um Gewinn zu produzieren, sondern um unsere Existenz zu sichern.
„Was ich meine ist, das wir dort, wo die Indigenen sind, sehen werden, wie wir ihnen gute Lebensbedingungen geben, wir werden die Diskussion um das Land beenden“, sagt Serraglio immer noch.
Was versteht er unter den „guten Lebensbedingungen“ für den „Indio“? Mit dieser Aussage enthüllt der Minister mitten im 21. Jahrhundert sein ethnozentrisches und paternalistisches Denken.
Diese Regierung lässt sich von einer rückläufigen Art der Weltsicht leiten, als ob unsere Führung die sozialen und wissenschaftlichen Fortschritte ignoriert, die den Planeten seit den 60er Jahren verändern.
Als der Justizminister noch Kongressabgeordneter war, war er Berichterstatter des Gesetzesentwurfs 215 (PEC215), der die Macht zur Demarkierung von Indigenen Territorien von der Exekutive an die Legislative transferiert. Ich zweifle nicht daran, dass dieser Hintergrund bei der Wahl für das Justizministerium entscheidend war.
Heute überholt der Amtssitz des Präsidenten die Bancada Ruralista mit seinen Attacken gegen unsere Rechte. Im Januar hatte der damals amtierende Justizminister Alxandre de Moraes schon eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel eingerichtet, den Prozess der Demarkierung durch die FUNAI neu zu bewerten.
In den vergangenen Wochen gab es Nachrichten über eine einstweilige Anordnung, die den Zweck hatte, den Verkauf von Ländern an Ausländer zu ermöglichen, was die Fläche zur Demarkierung von Indigenen Gebieten verringern würde. Wie kann man hinter diesen Initiativen keine koordinierte Aktion erkennen?
Die Vision der Gier ist von kurzer Reichweite, sie reicht nur bis zur nächsten Ernte. Die indigenen Gebiete helfen das Klima des Planeten zu regulieren, weil sie als Barriere gegen die Abholzung dienen – es wird 10 mal weniger abgeholzt als in nicht markierten Gebieten.
Der Teil Amazoniens unter unserem Schutz speichert einen Vorrat von 13 Milliarden Tonnen Carbon. Ohne diese Reserve könnte Brasilien nicht die Erfüllung der Ziele der Vereinbarung von Paris erreichen.
Entsprechend der Studie „Wirtschaft des Klimawandels in Brasilien“ (2011) können die Auswirkungen des Klimawandels zu einem Verlust von 20% in der Sojaproduktion führen.
Es erfordert keine strategische Vision eines Justizminister, seine Hauptaufgabe ist es, die Verfassung zu hüten. Und die brasilianische Verfassung, die als „bürgerlich“ bekannt ist, garantiert die Ursprungs-Rechte der indigenen Völker.
Laut einer Umfrage der internationalen NGO Global Witness führt Brasilien die Liste der Länder, in denen im Jahr 2015 die meisten Umweltaktivisten getötet wurden. In diesem Zusammenhang kann die unglückliche Aussage des Minister nur noch mehr Unsicherheit auf diesem Gebiet erzeugen.
Sônia Bone Guajajára, indigene Anführerin, ist Executive Koordinatorin der Vereinigung der indigenen Völker Brasiliens (APIB -Articulação dos Povos Indígenas do Brasil)
Übersetzung: Vera Müller-Plantenberg