Politisches Gerichtsurteil gegen Menschenrechtsaktivisten
José Batista ist Rechtsanwalt der Landpastoralkommission (Comissão Pastoral da Terra - CPT) von Marabá und Mitglied des Nationalen Ausschusses der CPT und setzt sich für die Einhaltung der Menschenrechte in Pará ein. Im selben Gerichtsurteil bedachte Bundesrichter Carlos Henrique Haddad den ehemaligen Regionalkoordinator des Landesverbandes landwirtschaftlicher Gewerkschaften FETAGRI, Raimundo Nonato Santos da Silva, mit gleichem Strafmaß.
Alles begann am 4. April 1999, als über 10.000 Landarbeiter ihre Zelte vor dem Gebäude der lokalen Agrarreformbehörde INCRA in Marabá aufschlugen, um gegen die zu langsame Ansiedlung der Abertausenden von in Zeltlagern kampierenden Landarbeiterfamilien und gegen die schlechten Bedingungen in den Agrarreformsiedlungen zu protestieren. Erst nach 20 Tagen willigte die Landesregierung in Verhandlungen ein und setzte sich mit 120 Führungsmitgliedern des FETAGRI, des nationalen Agrargewerkschaftsverbandes CONTAG, der Landlosenbewegung MST und der CPT zusammen, um über deren Forderungen zu verhandeln. Für die Regierung saßen im Audimax des Agrarreforminstituts INCRA Vertreter dieser Regierungsbehörde, des Bodeninstituts von Pará ITERPA und der Amazonienbank Banco da Amazônia. Gegen 22 Uhr, als sie immer noch keine offizielle Antwort erhalten hatten, beschlossen die müde und hungrig draußen wartenden Landarbeiter, in das Gebäude einzudringen und den Verhandlungsraum zu umzingeln, um ein Verlassen des Verhandlungsraums bis zum nächsten Morgen zu vermeiden. Gleich nach Beginn der Besetzung gingen Rechtsanwalt José Batista - der bei den Verhandlungen lediglich als Berater der Landlosenbewegung und der FETAGRI auftrat - sowie der Vorsitzende des Nationalen Agrargewerkschaftsverbandes CONTAG, Manoel de Serra, und der nationale Koordinator der CPT, Isidoro Revers, nach draußen, um eine Vermittlung zu versuchen. Trotzdem wurde gegen José Batista und andere Führungspersönlichkeiten Anklage erhoben, weil sie angeblich die Vertreter der Agrarreformbehörde am Verlassen des Gebäudes gehindert haben sollen.
Im April 2002 schlug die Bundesanwaltschaft einen Vergleich vor, um das Verfahren einzustellen. Die Angeklagten sollten jeweils eine Geldstrafe im Gegenwert von sechs Grundbedarfskörben zahlen und einmal monatlich beim Bundesgericht vorstellig werden (Anm. d. Red.: Eine cesta básica - Grundbedarfskorb - bezeichnet in diesem Falle den Geldwert eines Warenkorbes, der die wichtigsten Grundnahrungsmittel in Brasilien enthält). José Batista und die anderen Angeklagten nahmen den Vorschlag an. Doch noch während der Geltungsdauer dieser Einigung eröffnete die Bundespolizei gegen José Batista ein neues Verfahren, diesmal wegen "Besitzentziehung unter Gewaltanwendung" (esbulho), angeblich verübt bei der Errichtung eines neuen Zeltlagers derselben Landarbeiterbewegungen vor dem INCRA-Gebäude. Wieder wurde für die Einstellung dieses zweiten Verfahrens ein Vergleichsvorschlag gemacht, wieder nahm Batista die Zahlung des Gegenwerts von Grundbedarfskörben an. Als nach Erfüllung aller Bedingungen die Bundesanwaltschaft die Einstellung des ersten Verfahrens beantragen sollte, kam es zum gleichen Zeitpunkt im Bundesgericht von Marabá zur Amtsübernahme durch einen neuen Richter - Francisco Garcês Júnior. Dieser erklärte alle Entscheide seines Vorgängers für null und nichtig und ordnete die Fortsetzung beider Verfahren gegen Batista und Nonato an - ohne dass sich ein neuer Tatbestand ergeben hätte und ohne die Bundesanwaltschaft zu hören. Das zweite Verfahren ist im vergangenen Jahr (2007) verjährt, während das erste nun zu der oben erwähnten Verurteilung führte.
Diese rein politische Entscheidung des Bundesrichters von Marabá lässt deutlich erkennen, dass die Kriminalisierung der Sozialbewegung und ihrer Führer durch Bundespolizei und Bundesgericht von Marabá in vollem Gange ist. Dabei gehen die Sozialbewegungen seit Jahrzehnten gegen die Gewalt lokaler Großgrundbesitzer und Holzunternehmen an und versuchen zugleich, sich gegen die Verfolgung durch das Bergbauunternehmen Vale do Rio Doce (CVRD, Companhia Vale do Rio Doce) zur Wehr zu setzen.
Die offenkundige Parteilichkeit des Richters zeigte sich nicht nur in der erwähnten Verurteilung, sondern ebenso in dem beschlossenen Strafmaß. Für den Tatbestand von "Freiheitsberaubung", der dem Rechtsanwalt zur Last gelegt wurde, ist ein Freiheitsentzug von mindestens einem Jahr und höchstens 3 Jahren vorgesehen. Der Bundesrichter verhängte einen Freiheitsentzug von 2 Jahren und 5 Monaten und ging damit nah an die Höchstgrenze heran. Doch bei der Urteilsbegründung verstrickte er sich in Widersprüche. Zum einen erklärt er: [Der Angeklagte] "hat möglicherweise die Landarbeiter nicht zur Besetzung des INCRA-Gebäudes aufgehetzt; es erscheint sogar glaubhaft, dass er gar nicht in der Lage gewesen wäre, die aufgebrachte Menge unter Kontrolle zu halten". Zugleich aber führt der Bundesrichter als strafverschärfende Umstände an, dass die Angeklagten "ausgerechnet diejenigen zum Verbrechen angehalten haben, die ihrer Autorität unterstanden". Wie das denn, wenn derselbe Richter zugegeben hat, dass die Angeklagten nicht in der Lage waren, die Menge unter Kontrolle zu halten? Außerdem führte die Urteilsbegründung an, es habe eine schwerwiegende Gefahr für die Menschen bestanden. Doch in den Akten findet sich kein Beweis dafür. Aus diesem Grund verwehrte der Bundesrichter dem Angeklagten das Recht auf Verbüßung einer alternativen Strafe.
Gemäß dem Strafgesetzbuch kann das Strafmaß sich nur dann der Höchstgrenze nähern, wenn der Angeklagte bereits eine kriminelle Vorgeschichte hat, ein verwerfliches Sozialverhalten zeigt oder ein schwerwiegendes Verbrechen begangen hat. Doch das alles trifft auf Rechtsanwalt José Batista nicht zu. Alles deutet darauf hin, dass der Richter mit seinem Entscheid die Absicht verfolgt, den Rechtsanwalt von seinen Aktivitäten als Menschenrechtsaktivist abzuhalten.
Seit Jahren kämpft die CPT mit ihren Rechtsanwälten für die Verurteilung der für die Morde an Ordensschwester Dorothy Stang und an Gewerkschaftsführer José Dutra da Costa (Dezinho) verantwortlichen Auftraggeber. Auch hat sie sich für die Rechtsverteidigung von Hunderten von Gewerkschaftsführern eingesetzt, gegen die das Bergbauunternehmen CVRD vor Gericht gezogen war.
Kann man das Urteil des Bundesrichters als rein zufällig ansehen, wenn gleichzeitig auch andere Rechtsanwälte und Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen und dabei die Interessen mächtiger Wirtschaftsgruppen in der Region tangieren, verfolgt werden?
Hier einige weitere Fälle von Kriminalisierung der Sozialbewegung in der Region
Nachdem Anzeige gegen den Großgrundbesitzer Aldimir Lima Nunes wegen Mordes, Sklaverei, Anstiftung, Bedrohung öffentlicher Instanzen und Landraub erstattet worden war, wurde er von der Bundespolizei festgenommen. Seine Beugehaft wurde jedoch 2004 von dem damaligen Bundesrichter aufgehoben und Nunes wurde freigelassen (Anm. d. Red.: Beugehaft bezeichnet Freiheitsentzug durch richterliche Anordnung, mit der ungebührliches Verhalten geahndet oder ein bestimmtes Verhalten erzwungen werden soll).
Ein Landarbeiter wurde festgenommen, nur weil er sich weigerte, bei einer gerichtlichen Anhörung persönlich zu erscheinen. Grund für diese Weigerung war die Angst, ermordet zu werden, nachdem er Tage zuvor in einem Hinterhalt von vier Schüssen getroffen worden war, obwohl er Polizeischutz beantragt hatte.
Großgrundbesitzer, die sich illegal Ländereien innerhalb demarkierter Ansiedlungsflächen des Agrarreformprogramms aneignen, erhalten von den Gerichten immer wieder einstweilige Verfügungen zu ihren Gunsten. Auf diese Weise kam z. B. Großgrundbesitzer Olavio Rocha bereits in den Besitz von 19 Agrarreformparzellen der Siedlung Rio Gelado in der Kommune Novo Repartimento.
Allein im Januar 2004 hat der damalige Bundesrichter von Marabá (heute Stellvertreter des aktuellen Amtsinhabers) mehr als zehn einstweilige Verfügungen abgelehnt, die die Großgrundbesitzer zwingen sollten, mehrere Tausend Hektar illegal angeeigneter öffentlicher Ländereien in Bacajá bei Anapu an die Agrarreformbehörde INCRA zurückzugeben. Darunter befanden sich zwei mutmaßliche Auftraggeber des Mordes an Schwester Dorothy Stang: Regivaldo Pereira Galvão und Vitalmiro Bastos de Moura. Der Mord an der Ordensschwester ereignete sich wenige Monate nach dem genannten Gerichtsentscheid. Hart getroffen wurden von dem Urteil ebenfalls Hunderte von Familien, die sich zusammen mit Dorothy Stang für die Einrichtung von Agrarreformsiedlungen einsetzten.
Sogar das Militär wurde herbeigerufen, um einer einstweiligen Verfügung zur Räumung einer von Landlosen besetzten Länderei in Marabá Geltung zu verschaffen. Dieses Land war nachweislich unproduktiv und als solches Gegenstand eines Enteignungsverfahrens.
Dem Bergbauunternehmen CVRD werden einstweilige Verfügungen unverzüglich gewährt, selbst ohne vorherige Anhörung der Bundesanwaltschaft, auch wenn es sich um Agrarkonflikte unter Beteiligung von Sozialbewegungen handelt.
Im Falle von auch nur teilweise besetzten Ländereien werden einstweilige Verfügungen zur Verhinderung von Kontrollgängen durch die Agrarreformbehörde erlassen, obwohl sogar der Oberste Gerichtshof (Supremo Tribunal Federal STF) die Rechtmäßigkeit solcher Kontrollen auch unter den genannten Bedingungen bestätigt hat.
112 Familien waren im Rahmen des Agrarreformprogramms vom INCRA in Tucuruí angesiedelt worden. Diese Landparzelle war entschädigungslos enteignet worden, weil es sich um illegalen Landbesitz handelte. Trotzdem gab der Bundesrichter der Bitte des illegalen Grundbesitzers um eine einstweilige Verfügung statt und ließ das Land räumen, obwohl die Familien es bereits seit fünf Jahren bewirtschafteten.
Gegen das Bergbauunternehmen CVRD laufen gegenwärtig sechs Verfahren wegen Umweltkriminalität oder -schäden. Bei vier Verfahren wurde noch kein Urteil gefällt, bei einem Verfahren laufen die Untersuchungen durch die Bundespolizei bereits seit vier Jahren und beim sechsten Verfahren - einer gemeinsamen Klage durch die Indigenenschutzbehörde FUNAI und die Bundesanwaltschaft - entschied der Bundesrichter zugunsten von CVRD.
Gegen mehr als 30 Führer der Sozialbewegung werden Ermittlungen durch die Bundespolizei oder Verfahren beim lokalen Bundesgericht von Marabá geführt.
Der Süden und Südosten von Pará ist in ganz Brasilien und sogar weltweit bekannt wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Landbesitzfrage.
Über 800 Morde wurden an Landarbeitern, Gewerkschaftsführern, Rechtsanwälten und Ordensleuten verübt, jedoch keiner der Auftraggeber büßt dafür.
Über 23.000 Menschen wurden in Pará in den letzten zehn Jahren unter sklavenähnlichen Bedingungen gehalten - die Mehrheit davon im Süden und Südosten des Staates im Zuständigkeitsbereich des Bundesgerichts von Marabá; ein einziger verurteilter Großgrundbesitzer verbüßt seine Strafe.
Neben dem Bergbauriesen CVRD verstoßen Hunderte von Großgrundbesitzern und Holzunternehmen auf schwerwiegende Weise gegen Umweltgesetze, indem sie Waldreservate zerstören, Holzbewirtschaftungspläne fälschen, Flüsse versanden lassen, Uferwälder vernichten und Flussquellen verseuchen. Bislang ist keine einzige Verurteilung von Großgrundbesitzern, Holzunternehmen und/oder CVRD durch das zuständige Bundesgericht von Marabá bekannt geworden.
Gegen die Mächtigen funktioniert das Bundesgericht von Marabá offenkundig nicht gut, doch in der Kriminalisierung und Verurteilung von Menschenrechtsaktivisten ist es höchst wirksam.
Landpastoralkommission CPT der Region Pará
Sozialpastoralkommissionen der Diözese von Marabá
Agrargewerkschaftsverband des Südostens von Pará FETAGRI
Landlosenbewegung MST
Bewegung der von Stauseen Betroffenen MAB
Gesellschaft zur Verteidigung der Menschenrechte SDDH
Kleinbauernbewegung MPA
Beratungs- und Forschungszentrum CEPASP
Indigenen-Missionsrat CIMI - Norden 2
Agrarerziehungszentrum NECAMPO der Bundesuniversität von Pará UFPA
Familien-Agrarschule EFA von Marabá
Regionalforum Südosten für Agrarerziehung
Agrarstiftung Tocantins und Araguaia FATA
Agrarökonomisches Soziallabor von Araguaia und Tocantins LASAT
Dienstleistungsgenossenschaft COPSERVIÇOS