Mercedes Benz und die brasilianische Militärdiktatur: Neue Dokumente aufgetaucht
Laut einem Zeitungsbericht der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo war Mercedes Benz an dem Ausspionieren der Belegschaft während der brasilianischen Militärdiktatur beteiligt. Dies belegten laut dem Bericht neu gefundene Dokumente, laut denen die Belegschaft von Mercedes Benz im Werk in São Bernardo do Campo, im Bundesstaat São Paulo, in den 1970er und 1980er Jahren durch Spitzel seitens der Firma ausspioniert und diese Informationen an die Repressionsorgane der brasilianischen Militärdiktatur weitergereicht wurden, so der Bericht. Die nun durch die Folha de São Paulo veröffentlichten Dokumente trügen Logos des DOPS-Geheimdienstes Departamento de Ordem Política Social, der schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Folter und Mord während der Militärdiktatur beging, und diese Dokumente verwiesen laut dem Zeitungsbericht als Quelle auf Mercedes Benz.
Laut dem Bericht beantworte die Firmenleitung von Mercedes-Benz do Brasil nicht auf die von den Journalist:innen eingereichten Fragen, sondern schickte stattdessen eine Erklärung, laut der - wie die Folha de São Paulo zitiert - Mercedes Benz bereits mehrere interne Untersucungen diesbezüglich vorgenommen habe, dass aber "bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Belege über eine Unterstützung der Firma für das Militärregime gefunden wurden", so dass die Firma in der Erklärung schlussfolgert, "angesichts dessen haben wir nichts zu kommentieren".
Damit verbleibt Mercedes Benz auf der gleichen Argumentation aus dem Jahre 2015 stehen. Damals hatte ich die Firmenvorstände (damals noch unter dem Label Daimler) agierend, gefragt, wie es um Ihre historische Verantwortung und Aufarbeitung der Fragen der Kollaboration mit der brasilianischen Militärdiktatur stehe. Daimler hatte im Vorfeld der Hauptversammlung erklärt, trotz breit angelegter Nachforschungen keinerlei diesbezüglichen Hinweise gefunden zu haben, dennoch sei Daimler "selbstverständlich zur Unterstützung der [brasilianischen, Anm.d.A.] Behörden bereit, um den Sachverhalt aufzuklären".
Dass dies 2015 Thema wurde, lag an dem im Dezember 2014 veröffentlichten Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission, der die Menschenrechtsverbrechen der brasilianischen Militärdiktatur von 1964-1985 untersuchte. Und laut diesem Abschlussbericht war neben anderen Firmen auch Daimler-Mercedes Benz in die brasilianische Militärdiktatur verstrickt. Laut dem Abschlussbericht (Vol.II, S.320) hat auch die Niederlassung Mercedes Benz in Brasilien das Folterzentrum Operação Bandeirantes (Oban) von 1969 bis Mitte der 1970er Jahre, dem Höhepunkt des staatlichen Terrors und Folterns in Brasilien, finanziell unterstützt. Laut neuesten Untersuchungen wurden im Oban, das ab 1970 DOI-CODI hieß, 66 Menschen ermordet, 39 von diesen starben dort unter den entsetzlichen Qualen der Folter. Von weiteren 19 Menschen stammt ihr letztes Lebenszeichen, dass sie verhaftet und ins DOI-CODI verbracht wurden. Seither gelten sie als verschwunden. In Band II, Seite 320 des Abschlussberichts der nationalen Wahrheitskommission heisst es:
„Ao lado dos banqueiros, diversas multinacionais financiaram a formação da Oban, como os grupos Ultra, Ford, General Motors, 83 Camargo Corrêa, Objetivo e Folha. Também colaboraram multinacionais como a Nestlé, General Eletric, Mercedes Benz, Siemens e Light.“
Auf deutsch: „Neben Bankiers haben mehrere multinationale [Konzerne] den Aufbau des Oban finanziert, darunter Firmengruppen wie Ultra, Ford, General Motors, Camargo Corrêa, Objetivo und Folha. Des Weiteren kollaborierten Multis wie Nestlé, General Eletric, Mercedes Benz, Siemens und Light.“
Die Antwort der Daimler-Mercedes Benz-Verantwortlichen im Jahre 2015 war, sie hätten in ihren Akten nichts Diesbezügliches gefunden, würden aber noch ehemalige Mitarbeitende aus dieser Zeit befragen. Erkenntnise aus diesen befragungen, ob sie überhaupt stattgefunden haben, wurden nie mitgeteilt. Damals war unsere menschenrechtliche Argumentation auf der Jahreshauptversammlung von 2015 klar: "Da ein Großteil der Akten in Brasilien verschwunden oder zerstört ist, muss Daimler die Vorgehensweise endlich den Gegebenheiten anpassen. Daimler muss in einem ersten Schritt auf die Zeitzeugen und Betroffenen zugehen, sie interviewen, ihnen zuhören, um das historische Gedächtnis zu bewahren. In einem zweiten Schritt muss sich Daimler natürlich seiner Verantwortung gegenüber den Opfern, deren Angehörigen und der brasilianischen Gesellschaft stellen." Dies gilt auch noch heute.
Volkswagen hat Ende 2020 nach jahrelangem Druck einem aussergerichtlichen Vergleich über Entschädigungszahlungen von 36 Millionen Reais an die vormaligen Arbeiter:innen der VW do Brasil-Fabrik auch in São Bernardo do Campo zugestimmt (was fehlt ist die Anerkennung und Entschädigung an die Zwangsarbeiter:innen auf der VW-Farm Vale do Rio Cristalino in Amazonien). Die Folha de São Paulo geht in ihren meuen Bericht davon aus, dass Gleiches auch Mercedes Benz ins Haus stünde.