Kampf der Guarani-Kayowá gegen Rassismus, Räumung und tödliche Gewalt
Entlang der Straßenränder der Bundesstraße BR 436 in Dourados im Bundesstaat Mato Grosso do Sul kampieren Familien der Guarani-Kayowá-Gemeinde Apy Ka`y, die 1999 von der industriellen Landwirtschaft von Tekoha, ihrem angestammten Land vertrieben wurden. In dieser Zeit wurden nach Aussagen von Survival international acht Personen vom Verkehr getötet, eine weitere starb an Pestiziden. 2013 hatte die Gemeinschaft zum wiederholten Mal einen kleinen Teil ihres Landes besetzt.
Anfang Juli wurde sie von einem Aufgebot von 100 Bundes- und Militärpolizisten und Baggern von ihrem angestammten Land geräumt, das heute zu der Farm Serrana gehört. Auf der Fläche der Farm Serrana wird Zuckerrohr in Monokultur angebaut, der im Unternehmen São Fernando zu Ethanol für den Weltmarkt weiterverarbeitet wird. Das Unternehmen hat die Flächen für diesen Zweck gepachtet. Nach Angaben des MST wurde 2014 knapp die Hälfte des Unternehmens an Investoren der Vereinigten Arabischen Emirate veräußert, so dass der Streitfall sich längst nicht mehr ausschließlich in der Zuständigkeit nationalen Interesses befindet.
Der rassistische Unterdrückungskampf gegen die indigene Bevölkerung Brasiliens schlägt sich auch in der Verfolgung und Kriminalisierung der Menschenrechtsverteidiger*innen von Organisationen wie z.B. dem indigenen Missionsrat CIMI nieder. Justiz, Gouverneur und Polizei – die gesamte Ordnungsmacht steht auf Seiten der Großgrundbesitzer*innen oder Unternehmen. Dies bestätigt auch ein neues Fact-Sheet von FIAN Deutschland , das besagt, dass ein Untersuchungsausschuss des Parlaments von Mato Grosso do Sul gegen die Indigenen-Pastorale der katholischen Kirche ermittelt. Nach ihren Angaben befinden sich derzeit acht indigene Anführer und zehn Dörfer im Nationalen Programm zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger*innen.
Nach einer aktuellen Studie von FIAN international von 2016 leiden 100 Prozent der Guarani-Kayowá in Mato Grosso do Sul an Hunger oder Nahrungsunsicherheit. 90 Prozent der Guarani-Kayowá sind von Lebensmittelhilfen in Form von Essenskörben abhängig, die im Rahmen des Sozialprogramms Bolsa familia verteilt werden. Bis zu ihrer Vertreibung konnten sich die Indigenen autonom ernähren. Streitpunkt ist in diesem Fall außerdem, dass nur Indigene, die sich nicht im Kampf um Land befinden, einen Anspruch auf diese staatliche Unterstützung haben. Faktisch betrifft diese assistenzialistische Haltung nur Indigene, die in Reservaten leben. Die politische Aussage dahinter lautet: Ein Indigener am Straßenrand hat keine Rechte und ein Indigener mit Rechten darf keinen Landanspruch erheben.
Fian beklagt, dass der fehlende Landzugang einem schleichenden Genozid an einem ganzen Volk gleichkommt, während auf dem umkämpften Land die Erträge von Soja, Zuckerrohr und Mais in die Höhe geschraubt werden und die Taschen von multinationalen Agrargiganten wie Cargill, Bunge, Monsanto und ADM (Archer Daniels Midland Company) füllen. Zwischen 2000 und 2013 verdoppelte sich nahezu die Anbaufläche für die Sojaproduktion, die Zuckerrohrproduktion wuchs um das Sechsfache, die Anbaufläche für Mais um das Vierfache an.
Diese Produktionssteigerung ist allein durch ein massives Landgrabbing möglich. Mato Grosso do Sul gehört zu den fünf Bundesstaaten Brasiliens, die am meisten von diesem globalen Problem betroffen sind. Im Jahr 2015 konnten 28 ausländische Unternehmen (einige Beispiele s.o.) durch Pacht oder Kauf von Flächen landwirtschaftliche Primärgüter anbauen. Dem gegenüber steht der Kampf der Guarani-Kayowá um Land, das ihrem Überleben neue Perspektive geben kann. 2014 nahmen sich 48 Guarani-Kayowá das Leben. Der Landstrich, auf dem die Guarani-Kayowá leben, wird auch mit dem Gaza-Streifen verglichen, weil an diesem Ort die sonst gängigen Menschenrechte außer Kraft gesetzt scheinen.
Brasil de fato berichtet am 12. Juli von lebensbedrohlichen Übergriffen auf drei Indigene der Guarani-Kayowá im Munizip Caarapó. Auf einen Erwachsenen und zwei Jugendliche wurden während eines rituellen Tanzes geschossen, ein Jugendlicher wurde dabei schwer verletzt. Der Verdacht fällt auf die Landbesitzer der Region. Einen Monat zuvor war an derselben Stelle Cloudione Souza, ein 26-jähriger Indigener getötet worden. Nach diesem Mord hatten Bauerngewerkschaft, Indigene und Innenministerium ein Friedensabkommen unterzeichnet, bei dem sich die Landbesitzer verpflichtet haben, keine weitere Gewalt anzuwenden. Im Gegenzug haben die Indigenen zugesichert, keine Landbesetzungen durchzuführen. Bereits eine Woche später kam es erneut zu Angriffen auf die Indigenen, allerdings ohne Verletzte.
Streitpunkt der Auseinandersetzung ist auch hier die Rückforderung der Indigenen von Land, das sie als traditionelles Territorium beanspruchen. Es ist gleichzeitig die Absage an ein Leben in einem zugewiesenen Reservat. Das Reservat sei ein künstliches Gebilde, mit einer Fläche von 3.000 Hektar außerdem zu klein für eine Gruppe von fünf bis siebentausend Menschen. 2016 wurde der Abschlussbericht der Indigenenbehörde Funai veröffentlicht, der den Indigenen einen Landanspruch von 55.000 Hektar zuspricht. Die Landbesitzer erkennen diesen Landanspruch nicht an, sie kämpfen gegen die Enteignung. Seit 2012 war es in diesem Streitfall zu 10 Landbesetzungen/-rückgewinnungen gekommen, die Hälfte davon nach dem Attentat im Juni. Seit damals ist das Militär für die Sicherheit der Indigenen hinzugerufen worden. Bei dem erneuten Überfall kam das Wachpersonal jedoch erst zwei Stunden nach den Schüssen.