Indigene in Pará protestieren gegen den Ersatz des Präsenzunterrichts in indigenen Schulen durch Online-Kurse
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Seit dem 14. Januar protestieren im amazonischen Bundesstaat Pará Angehörige der indigenen Völker Sateré-Mawé, Wai Wai, Munduruku, Arapiuns, Borari, Jaraqui und Guarani an mehreren Orten des Bundesstaates gegen das Gesetz 10.820/2024, das Helder Barbalho Ende Dezember 2024 unterzeichnet hat. Der Schwerpunkt der Protestaktionen konzentrierte sich dabei vor allem auf die Region des Unteren Tapajós. Die protestierenden Indigenen nannten dabei das Gesetz als durchschaubaren Versuch, den Abbau des indigenen Bildungswesens voranzubringen. Mit diesem Gesetz 10.820/2024 werde das System der modularen Organisation des indigenen Bildungswesens (Somei), das den indigenen Gemeinden eine persönliche Sekundarschulausbildung ermöglicht, abgeschafft und durch ein Online-Fernunterrichtsmodell ersetzt. Die Demonstrierenden fordern dagegen die Beibehaltung von Somei, einem Programm, das im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der jeweiligen Stadtverwaltung und der Landesregierung eine persönliche Sekundarschulausbildung in abgelegenen Gemeinden - nicht nur in indigenen Gemeinden - garantiert, in denen es bisher nur wenig Infrastruktur gibt.
Die Aktionen begannen vor einer Woche, als indigene Anführer:innen aus dem ganzen Bundesstaat den Hauptsitz des Bildungsministeriums des Bundesstaates Pará (Seduc) in Belém besetzten, um gegen die Umwandlung von Präsenzunterricht in Online-Unterricht zu demonstrieren. Die Demonstrierenden spannten dem Bericht bei Amazônia Real zufolge Hängematten auf, um am Hauptsitz zu campieren. Doch die Regierung von Helder Barbalho reagierte unnachgiebig: Die Tore wurden verschlossen, und es gab Beschwerden über Stromausfälle und den fehlenden Zugang zu grundlegenden Dingen wie Wasser, Gas und Lebensmitteln. Vor Ort anwesende Journalist:innen wurden dem Medienbericht zufolge von Soldat:innnen der Militärpolizei daran gehindert, das Gebäude zu betreten. Auch Anwält:innen, die Kontakt zu den demonstrierenden Indigenen aufnehmen wollten, wurde der Zugang verweigert.
"Dieses Gesetz ist ein Schlag gegen die Bildung im Bundesstaat Pará. Und das wirkt sich natürlich auf die indigene Schulbildung aus, nicht nur auf die indigene, sondern auch auf die der Quilombola, der Flussvölker, kurz gesagt, auf die traditionellen Völker, die auf dieses modulare Bildungssystem angewiesen sind", erklärte gegenüber Amazônia Real Auricélia Arapiuns, Präsidentin des Koordinationsrates der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebietes (Coiab) und die seit 2018 Koordinatorin des Indigenen Rates der Tapajós und Arapiuns-Region (CITA) ist. Der CITA-Rat ist der Vertreter:in von 14 Völkern in der Region des unteren Tapajós-Flusses.
Indigene Führer im Bundesstaat Pará wiesen darauf hin, dass dieses Gesetz des Gouverneur Helder Barbalhos von der Partei MDB das Ende des Modularen Bildungsorganisationssystems (Some) und des Somei (das der Sekundarschulbildung der indigenen Völkern dient) einläuten würde. Die Einführung eines in Zukunft virtuellen Online-Fernunterrichtssystem sei klarer Teil einer politischen Strategie, um die Gebiete zu leeren, wenn jugendliche Indigenen auf der Suche nach Schulbildung dann ihre Gemeinschaften verlassen müssten. "All dies hängt miteinander zusammen“, sagte dem Medienbericht bei Amazônia Real zufolge die Kunstpädagogin Kauacy Wajãpi, ein Ratsmitglied für indigene Kultur im Bundesstaat Pará. "Dieses Gesetz (10.820/2024) steht in diesem Zusammenhang, denn wenn es an einem Ort keine Bildung gibt, wird man nach einem neuen Ort suchen, an dem man diese Bildung finden kann. In der Praxis wird es dazu kommen, dass viele junge indigene Menschen ihre Gemeinde verlassen und in die Städte gehen werden. Das wird das Gebiet schwächen. Sie haben sich bereits das Land genommen, den Wald, die Flüsse sind verseucht", erläuterte Kauacy Wajãpi gegenüber Amazônia Real. Und den Indigenen nach dem Wald und dem Fluss nun auch die Bildung zu nehmen, sei ein Teil der gleichen Strategie, so Kauacy Wajãpi.
Die sieht auch Alessandra Korap Munduruku so. Sie erklärte: "Heute haben die indigenen Völker des Bundesstaates Pará [...] Seduc besetzt, weil sie [uns] das modulare Schulsystem SOME und das modulare indigene Bildungssystem SOMEI weggenommen haben. Wir wissen, dass die Unsicherheit in den Dörfern sehr groß ist, die Verlassenheit in den Dörfern ist sehr groß, aber sie benutzen unseren Namen, um Vorteile wie Kohlenstoffgutschriften zu bekommen. In der Zwischenzeit werden die Schüler im Stich gelassen und auch die Lehrer. Es gibt Lehrer, die oft 300-400 Liter Benzin ausgeben müssen, um ins Dorf zu kommen und auch Lebensmittel mitbringen müssen, um drei oder vier Monate im Dorf zu verbringen. Manchmal sogar länger. Jetzt werden sie [die Lehrkräfte] durch einen Fernseher ersetzt, stellen Sie sich einen Fernseher im Klassenzimmer vor, und das in einer Schule, die oft nicht einmal einen Fernseher hat. Oft lernen [die Schüler:innen] in einem Strohhaus, das fast auseinanderfällt. Und es ist abgelegen. Stellen Sie sich vor, dass die Schüler von einem Dorf zum anderen reisen müssen. Im Bundesstaat Pará gibt es mehrere Völker, mehr als 50 indigene Völker. Und viele von ihnen sprechen ihre eigenen Sprachen. Stellen Sie sich ein Fernsehprogramm vor, in dem in einer Sprache gesprochen wird, die die Schüler nicht verstehen, weil der Lehrer im Fernsehen online spricht und es uns nichts nützt, weil viele Schüler kein Portugiesisch sprechen. Dieses Gesetz ist eine Verletzung unserer Rechte und eine Verletzung unserer Kultur."
Die landesweite Lehrer:innengewerkschaft ANDES-SN erklärte sich mit den Protsten der Indigenen vollumfänglich solidarisch. "Wir lehnen die verschiedenen Repressionsmaßnahmen ab, denen die Besetzer derzeit ausgesetzt sind", heißt es in der Erklärung der landesweiten Lehrer:innengewerkschaft und kritisierte dabei den Einsatz von Pfefferspray während der Besetzung seitens der Militärpolizei sowie die Sperrung der Wasser- und Gasversorgung, um die Besetzung der SEDUC zu schwächen. Auch wurde der Presse der Zugang zum Gelände verwehrt. Die Lehrer:innengewerkschaft ANDES-SN bekräftigt ihr Engagement im Kampf für eine kostenlose, qualitativ hochwertige und öffentliche Schuldbildung in Präsenz. "Der prekäre Zugang zur Bildung für indigene Völker ist Teil des gegenwärtigen Prozesses des Ethnozids und des Epistemizids, der vom Kapital betrieben wird", erklärte die Lehrer:innengewerkschaft in ihrer Protestnote.