Herren über das Leben
Grausamkeit im Namen des Lebens, selbst wenn es faktisch kein Leben gibt. Das war der brennende Aufruf der katholischen Bischöfe Brasiliens in Rekation auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (STF, supremo Tribunal Federal), welches den Abbruch der Schangerschaft erlaubt hat im Fall von Anencefalie, d.h. wenn dem Fötus ein Teil des oder das gesamte Gehirn fehlt und so sein Überleben außerhalb des Uterus verunmöglichst.
Die am 1. Juli 2004 angekündigte Maßnahme, die von Ärzten und Juristen begrüßt wurde, ist noch provisorisch und muss durch eine Abstimmung über den „Wert der Sache“ durch das Plenum des STF bestätigt werden. Und in dieser Bresche hat sich direkt die CNBB (Conferencia Nacional dos Bispos do Brasil, Nationale Bischofskonferenz) verschanzt, um die Entscheidung noch zu ändern. Indem sie sich des gleichen alten und abgedroschenen Diskurses zur Verteidigung des Lebens bedient, gab sie einer offiziellen Stellungnahme ihrer Hoffnung Ausdruck, die Entscheidung des STF noch beeinflussen zu können: „Die CNBB vertraut darauf, dass der Sinn für Recht und Gerechtigkeit die Mitglieder des STF ihre bislang getroffene Entscheidung zurückziehen lässt. Das menschliche Leben, das sich im Schoß der Mutter entwickelt, ist bereits ein neues Rechtswesen und deshalb muss dieses Leben immer respektiert werden, unabhängig vom Zustand oder den Umständen, in denen es sich befindet.“ Das nächste Ziel der CNBB ist der Generalstaatsanwalt Cláudio Fonteles, den man unter Druck setzen wird, damit er gegen das STF Position bezieht.
Gnadenlos
Obwohl sie sich in manchen Volkskämpfen auf die Seite der sozialen Bewegungen schlug, spart die CNBB nicht an Konservativismus, wenn es um die reproduktiven Rechte geht, und sie ist es gewohnt, in diesem Bereich zu siegen. Doch der Gedanke, jemanden zu verpflichten, einen Fötus auszutragen, der nach der Geburt nicht die geringste Überlebenschance hat, ist zu unbarmherzig, als dass die Bischöfe damit rechnen können, dass die öffentliche Meinung auf ihrer Seite steht. Es ist wahrscheinlich, dass diese eher dazu tendiert, sich der soganannten solidarischen Haltung des Ministers Marco Aurélio anschließt, für den „(...) eine Aufrechterhaltung der Schwangerschaft für die Frau und die betroffene Familie Schäden für ihre moralische und psychologische Integrität zur Folge hat, ganz abgesehen von einem physischen Risiko, das in medizinischen Kreisen anerkannt ist.“
In Abwesenheit anderer plausibler Rechtfertigung kann man sich nur vorstellen, dass ein solcher Sadismus aus der Bemühung entspringt, sich nicht irgendeinem Vorläufer zu öffnen, der dazu führen wird, die Abtreibung nach und nach zu legalisieren. Dabei muss man allerdings auch bedenken, dass wenigstens die vom Strafgerichtshof vorgesehenen Ausnahmen Risiko für das Leben der Mutter oder Schwangerschaft infolge von Vergewaltigung, akzeptiert werden. Es handelt sich also um einen rein weltlichen politischen Streit in einem Punkt an dem, wer weiß warum, die sogenannten Männer des Glaubens diesen als fundamental ansehen, auch wenn sie wissen, dass er es nicht ist.