Hat Volkswagen do Brasil die brasilianische Militärdiktatur unterstützt?
So berichtet es das Portal Rede Brasil atual. Bis Mai 2014 hat die von Regierung und Nationalkongress autorisierte Wahrheitskommission Zeit, Zeugen anzurufen und anzuhören - bevor bis November dieses Jahres der Schlussbericht vorgelegt wird. Unter den zur Zeugenaussage zu Ladenden befindet sich laut Rede Brasil atual auch Volkswagen do Brasil.
"Es ist nicht nur der Staat, der Entschädigungen zahlen muss", erklärte der beim brasilianischen Gewerkschaftsdachverband CUT für Sozialpolitik zuständige Sekretär, Expedito Solaney, der zugleich in der Nationalen Wahrheitskommission für Gewerkschaftsfragen zuständig ist. Die Vergangenheit müsse der Gesellschaft offengelegt werden, so Solaney gegenüber Rede Brasil atual. Der Vorsitzende der Nationalen Wahrheitskommission, Pedro Dallari, sei "entschlossen, die Unternehmer vorzuladen und sie zur Verantwortung zu ziehen", so Solaney. Das Erscheinen von brasilianischen Zeugen kann von der Wahrheitskommission erzwungen werden, die Zeugen haben jedoch das Auskunftsverweigerungsrecht. Im Fall von Volkswagen do Brasil ist zudem unklar, ob auch deutsche Zeugen aus der Zeit geladen werden sollen und ob die Wahrheitskommission auch eine offizielle Anfrage an den deutschen Mutterkonzern, Volkswagen in Wolfsburg, richten wird.
Hintergrund des geplanten Vorladens von Volkswagen do Brasil sind neue Erkenntnisse der Nationalen Wahrheitskommission in Brasília. Der Generalstaatsanwalt der Republik und Mitglied der Wahrheitskommission, Cláudio Fonteles, hatte im vergangenen Jahr in den Archiven des vormaligen Geheimdienstes Brasiliens, Serviço Nacional de Informações – SNI, Dokumente gefunden, die die Zusammenarbeit von Industrie und Unternehmern mit den brasilianischen Repressionsorganen nahelegten. Den als Verschlusssache deklarierten Dokumenten sei laut Fonteles zu entnehmen, dass als Mittelsmänner für die Industrie das Forschungsinstitut Ipês (Instituto de Pesquisas e Estudos Sociais) und die Industriemobilisierungsgruppe GPMI des Industrieverbands FIESP in São Paulo (Grupo Permanente de Mobilização Industrial da Federação das Indústrias do Estado de São Paulo) fungierten. Die Industrie- und Unternehmervertreter hätten zur Zeit der Militärdiktatur (1964-1985) diese zwei Institutionen finanziell gefördert, damit diese gemeinsam mit der Obersten Heeres Schule (Escola Superior de Guerra) einen "militärisch-industriellen Komplex" gegen den Widerstand aufbauen. Bei einer Anhörung im brasilianischen Senat im August 2013 wurden neben anderen auch noch die deutsche Mannesmann im Zusammenhang mit Ipês zitiert.
In Brasilien wurde im vorvergangenen Jahr nach jahrelangen Debatten die Einrichtung der Nationalen Wahrheitskommision im Auftrag der Präsidentin Dilma Rousseff beschlossen, um endlich die Geschichte von Repression, Folter und Unterdrückung, insbesondere in den anos de chumbo, den bleiernen Jahren, zu untersuchen. Mit sieben Mitgliedern werden in 13 Arbeitsgruppen verschiedene Themen wie z.B. Operation Condor, Repression gegen Gewerkschaften, Menschenrechtsverletzungen auf dem Land und gegen Indigene, Diktatur und Gender bearbeitet. In Folge sind bislang mindestens 77 weitere Wahrheitskommissionen auf bundesstaatlicher, kommunaler und universitärer Ebene eingerichtet worden und in den nächsten Monaten sollen weitere entstehen, insbesondere in den Regionen, die von den Menschenrechtsverletzungen der Diktatur besonders betroffen waren. Auch einzelne Institutionen (USP beispielsweise) haben eigene Wahrheitskommissionen zur Aufarbeitung der Vergangenheit gebildet. Diese Wahrheitskommissionen sind Teil eines langjährigen Kampfs in Brasilien um die Aufarbeitung der Geschichte – und sie sind ein Kompromiss, da in Brasilien nach wie vor das Amnestiegesetz aus dem Jahre 1979 die strafrechtliche Aufarbeitung der Taten der Militärdiktatur verhindert. Dieses Amnestiegesetz wurde erst im vorvergangenen Jahr vom Obersten Gerichtshof Brasiliens als verfassungskonform erneut bestätigt, obwohl der Interamerikanische Gerichtshof die Legalität dieses Gesetzes anzweifelt und Brasilien mehrfach aufgefordert hat, das Amnestiegesetz zu kippen. Brasilien ist mit diesem Amnestiegesetz eines der letzten Länder des südamerikanischen Kontinents, das sich der strafrechtlichen Aufarbeitung der Militärdiktatur noch nicht gestellt hat. Jüngste Gerichtsverfahren gegen Militärs gibt es „nur“ im Bereich des Zivilrechts („Das Recht, den Folterer Folterer zu nennen“, „Bundesstaatsanwälte, die von Militärs zivilrechtlich Entschädigungen von den Folterern einfordern“), aber es gibt erste strafrechtliche Aufarbeitungen unter dem Rechtskonstrukt, dass die Verhaftet-Verschwundenen bis heute verschwunden sind – und daher die Straftat der Entführung anhält und die Verantwortlichen von damals mithin zur juristischen Rechenschaft gezogen werden könnten. Diese Prozesse halten an.
Indessen hat sich in Deutschland eine Initiative von über 20 Organisationen und Stiftungen unter dem Titel "Nunca Mais - Nie Wieder" zusammengeschlossen, um anlässlich der 50. Wiederkehr des brasilianischen Militärputsches am 31. März 2014 dieses Datum zum Anlass zu nehmen und auch nach den Verbindungen deutscher Firmen, Institutionen und Personen zu fragen, die den brasilianischen Militärs in jener Zeit freundlich gesinnt waren.