Entschädigungen für Itaipu-Staudamm an zwangsumgesiedelte Indigene Avá-Guarani nach über 50 Jahren

Es hat über 50 Jahre gedauert. 50 Jahre Unrecht, 50 Jahre Zwangsumsiedlung, 50 Jahre anhaltende Menschenrechtsverletzung. Erst jetzt unter der aktuellen Regierung Lula in ihrem mittlerweile dritten Mandat traf Brasilien eine Entscheidung: Der Verwaltungsrat des gemeinsam von Brasilien und Paraguay geführten Megastaudamms Itaipu im Westen des südbrasilianischen Bundesstaates Paraná an der Grenze zu Paraguay traf sich Medienberichten zufolge am vergangenen Dienstag und beschloss die Freigabe von 240 Millionen Reais (derzeit umgerechnet etwa 40 Millionen Euro) noch in diesem Haushaltsjahr für den Ankauf von 3.000 Hektar Land für die indigenen Gemeinschaften der Avá-Guarani, die vor über 50 Jahren für den Bau des damals weltgrößten Staudamms zwangsumgesiedelt worden waren und nie eine Entschädigung erhalten hatten.
Dieser Beschluss ist das Ergebnis von Verhandlungen im Rahmen einer Zivilklage, die von der Bundesstaatsanwaltschaft vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht und verhandelt wurde. Es hatte dabei mehr als als 20 Treffen gegeben zwischen allen beteiligten Parteien und letztlich wurde ein Konsens über den Erwerb des 3.000 Hektar großen Grundstücks durch Itaipu erzielt, um es den indigenen Gemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Das staatliche Unternehmen Itaipu hat sich zudem verpflichtet, eine öffentliche Bitte um Entschuldigung zu publizieren. Laut der Vereinbarung soll die Entschuldigung die historischen Fakten darstellen, die zu Verletzungen der Rechte indigener Gemeinschaften geführt hätten, und deren Veröffentlichung dürfe nicht nur auf der Website von Itaipu erfolgen, sondern müsse auch auf den Webseiten des Bundes, der Indigenenbehörde Funai und der Agrarreformbehörde Incra veröffentlicht werden. Zusätzlich zu den in diesem Jahr freigegebenen 240 Mio. Reais werden für das nächste Haushaltsjahr weitere Finanzmittel bereitgestellt, die für die Dörfer der indigenen Gebiete Tekoha Guasu Guavira und Tekoha Guasu Okoy Jakutinga bestimmt sind. Diese als Teilwiedergutmachung bezeichnete Maßnahme werde es dem Unternehmen Itaipu ermöglichen, weitere 47.000 Hektar Land zu kaufen, was mehr als 5 Milliarden Reais (derzeit umgerechnet 800 Millionen Euro) kosten könnte, so der Medienbericht. Nach Angaben der Vermittlungs- und Schlichtungskammer der Bundesverwaltung werden rund 50.000 Hektar gefordert. Im Rahmen des Abkommens verpflichtet sich Itaipu außerdem, die indigenen Gemeinden mit Trinkwasser, Strom und einer sanitären Grundversorgung zu versorgen und ihnen Zugang zu Gesundheit und Bildung zu gewähren. Zudem gibt es Vorschläge, die der Schlichtungskammer unterbreitet wurden, dass künftig die Zahlung von Lizenzgebühren für die Nutzung des Wasserpotenzials des Paraná-Flusses, wie sie seit Jahrzehnten an die Kommunen in diesem Einzugsgebiet gezahlt werden, nun auch an die betroffenen indigenen Gemeinschaften gehen könnten. Darüber ist aber bislang noch nicht endgültig entschieden worden. Des Weiteren wird noch über eine Entschädigung für Sachschäden beraten.
In den 1970er Jahren beschlossen die damaligen von Militärdiktaturen beherrschten Staaten Brasilien und Paraguay den Bau eines gigantischen Staudamms am Grenzfluss zwischen beiden Staaten, dem Rio Paraná, in der Nähe zur Grenze auch mit Argentinien: Itaipu. Bis zur Eröffnung des Drei-Schluchten-Staudamms war das Itaipu-Wasserkraftwerk das leistungsstärkste Wasserkraftwerk der Welt. Im Jahr 1973 unterzeichneten Stroessner und der brasilianische Diktator Emilio Garrastazú Medici den Vertrag von Itaipú, der den Bau des gemeinsamen Kraftwerks vorsah. Ab 1974 wurde gebaut, 1984 wurden die ersten Turbinen eröffnet. Etliche der Turbinen wurden von Siemens und der damaligen schweizer Brown, Boveri & Cie (BBC) hergestellt, und "mehr als die Hälfte der Maschinenausrüstung stammt von Voith", schreibt die Firma aus Heidenheim noch heute stolz auf ihrer Webseite. Der Paraná wurde durch eine 196 Meter hohe Staumauer gestaut, das dadurch entstandene Reservoir flutete Urwaldflächen in der Größe von 1.350 Quadratkilometern.
In diesem Überflutungsgebiet lebten neben anderen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auch 600 Avá-Guarani-Familien in ihren 38 sogenannten Tekoha, wie jede Gemeinschaft eines Guarani-Kulturraums genannt wird, der alle natürlichen Ressourcen sowie die politisch-religiöse Organisation des indigenen Volkes umfasst. Dieses von den Indigenen bewohnte und bewirtschaftete Gebiet wurde durch das dem Wasserkraftwerk zugehörige Reservoir zerstört. Die Entschädigungen, die ab 1981 an die indigene Bevölkerung gezahlt wurden, waren so gering, dass die betroffenen Familien (insgesamt wurden Schätzungen zufolge für den Bau des Itaipu-Staudamms bis zu 40.000 Menschen zwangsumgesiedelt) nicht einmal einen Hektar Land von dem Geld kaufen konnten. Der verbliebene Teil des Gebietes, der nicht von dem Staureservoir geflutet wurde, ist heute mit Sojaplantagen der Agrarindustrie oder von der Staudammbetreiberin Itaipu verwalteten biologischen Schutzgebieten belegt. Dort kann Ökotourismus neben Agrobusiness betrieben werden, den damals zwangsumgesiedelten Indigenen blieb nichts. Der riesige Staudamm stellt zudem einen sehr schweren Eingriff in die Flussökologie des Paraná dar und zog das gesamte Flussbecken in Mitleidenschaft, da die natürlichen Fischmigrationen unterbrochen wurden, wie die Lateinamerika Nachrichten berichten. Zudem wurden atlantische Regenwälder überflutet und zerstört, die wieder aufgeforsteten Wälder erscheinen eher wie Plantagen und verfügen längst nicht über eine so große Biodiversität.
Nach Angaben der Betreiber des binationalen Staudamms Itaipu habe allein die Zahlung von Lizenzgebühren als Entschädigung für die Wasserkraftproduktion dem brasilianischen und paraguayischen Staat seit März 1985 mehr als 12,8 Milliarden US-Dollar eingebracht. (Stand 2022)
Erst jetzt fließt ein kleiner Teil davon an die eigentlich Betroffenen.