Die Yanomani und Ye´kuana im Kampf gegen Bergbau und Corona: #FORAGARIMPOFORACOVID
Indigene Gruppen verschiedener Ethnien haben ihre selbstgewählte Quarantäne und Isolation mit Blockaden und Absperrungen nach außen signalisiert. Dennoch wird ihrer Forderung nach Akzeptanz der territorialen Grenzen oft nicht Folge geleistet. So klagen beispielsweise die Yanomami und Ye´kuana1 im größten indigenen Territorium Brasiliens (Terra indigena Yanomami TIY) in den Bundesstaaten Amazonas und Roraima über illegale Goldsucher in ihren Gebieten. Die beiden Amazonasbundesstaaten liegen an der Spitze, wenn man proportional die Bevölkerungsdichte und die Coronafälle betrachtet. Die Fläche der TIY entspricht mit 9,6 Mio Hektar ungefähr der Größe Portugals. 331 Gemeinschaften leben dort, darunter auch Unkontaktierte in freiwilliger Isolation. Nach einem Massaker mit 16 Toten Anfang der 90er Jahre wurden vier ethnoökologische Stützpunkte für Schutzzwecke in dem Gebiet installiert. Der Überfall durch illegale Goldsucher damals gilt als erster Genozid in der brasilianischen Geschichte. Die Stützpunkte (BAPE Base de Proteção Etnoambiental) am Rio Mucajaí wurde nach Kürzungen der FUNAI jedoch nicht dauerhaft mit Personal und Ressourcen ausgestattet und erst 2019 erneut aufgebaut.
Die Infektionsgefahr mit der Pandemie verstärkt nun die Gefahr durch illegale Siedlungen von Bergbauunternehmen. Seit der globalen Wirtschaftskrise ist Gold als sichere Anlageform weltweit im Wert gestiegen, was den Druck auf die Vorkommen erhöht hat. Die Gruppe der Yanomami und Ye´kuana leben mit 27.398 Menschen in der Region und kämpfen gegen den Eintrag des Virus in ihr Gebiet. „Bergbauunternehmen auf der Suche nach wertvollen Metallen kennen kein Homeoffice“, ist ein gängiger Vorwurf in diesem Zusammenhang. Nach ihren Schätzungen befinden sich 20.000 illegale Goldsucher in ihrem Gebiet, die Regierung Bolsonaro hat offiziell nur 3.500 Arbeiter bestätigt. Fast die Hälfte der indigenen Gemeinschaften lebt weniger als 5 Kilometer von einer illegalen Bergbausiedlung entfernt. Dies veröffentlichte das Instituto ambiental ISA im Juni in seiner Studie #FORAGARIMPOFORACOVID, die zusammen mit der Gesundheitsorganisation Fiocruz und der Bundesuniversität Minas Gerais UFMG entstanden ist. Sie wurde auf Initiative des Leitungsforums der Yanomami und Ye'kwana mit ihren Vertretungen Hutukara Associação Yanomami (HAY), Associação Wanasseduume Ye'kwana (SEDUUME), Associação das Mulheres Yanomami Kumirayoma (AMYK), Texoli Associação Ninam do Estado de Roraima (TANER) e Associação Yanomami do Rio Cauaburis e Afluentes (AYRCA) ins Leben gerufen. Unterstützung kam von der Vertretung der indigenen Völker Brasiliens (APIB), der Koordination der indigenen Organisationen Amazoniens in Brasilien (COIAB), dem Instituto Socioambiental (ISA), Survival International, Greenpeace Brasilien, Conectas Direitos Humanos, Anistia Internacional, Rede de Cooperação Amazônica (RCA), Instituto Igarapé, der amerikanischen Regenwaldstiftung und dem Amazonasfonds Norwegen.
40% der indigenen Bevölkerung der TIY sind nach der Studie durch den Eintrag des Coronavirus über illegale Bergbauarbeitersiedlungen bedroht. Das Szenario der Studie unterstellt eine doppelt so hohe Sterblichkeit der indigenen Bevölkerung gegenüber nicht-indigener Bevölkerung. Nach diesem Szenario würden zwischen 207 und 896 Yanomami nach einer Coronainfektion sterben.
Die Eingriffe durch Bergbauunternehmen überwacht das ISA über sein Radarsystem Sirad. Die Ergebnisse belegen, dass seit den ersten Aufnahmen im Oktober 2018 in der TIY eine Gesamtfläche von fast 2.000 Hektar Regenwald für Bergbauaktivitäten degradiert wurde. Allein im März 2020 wurden 114 Hektar Waldfläche durch die Goldsuche zerstört. Das Überwachungsinstrument belegt außerdem die Zunahme illegaler Bergbausiedlungen in Regionen, die indigene Gemeinschaften (Hakoma und Parima) mit wenig Kontakt zur Gesellschaft bewohnen. Sie gelten als besondere Risikogruppe, da ihr Immunsystem auf jede Art von Virus extrem sensibel reagiert. Die Studie zeigte auch, dass das Virus an Gesundheitsstationen übertragen werden kann, wie in Surucucu geschehen, wo ein Vertreter des indigenen Gesundheitsrats im Distrikt (Condisi) positiv getestet wurde.
Seit Beginn der Pandemie haben Mediziner*innen auf das erhöhte Risiko von Indigenen für Ausbreitungsverläufe hingewiesen. Auf Grund der sozialen Strukturen der Gemeinschaften ist eine Isolation von Kranken oder auch der Schutz durch freiwilligen Abstand kaum innerhalb der Gemeinschaften kaum vorstellbar und schwierig realisierbar.
Anfang Juni gab es bereits drei Todesfälle und 55 Coronainfektionen unter den Yanomami und Ye´kuana. Im landesweiten Vergleich schneiden die vorhandenen Gesundheitsposten in der Terra indigena Yanomami am schlechtesten ab. Weder sind Krankenhausbetten mit Sauerstoffzufuhr vorhanden, noch gibt es im Notfall mögliche Verlegungen in andere Krankenhäuser mit besserer medizinischer Ausstattung. Geschwächt ist die Gruppe zudem durch einen Anstieg von Atemwegserkrankungen in den zurückliegenden Jahren. Die Gefährdung der Yanomami hat ursächlich auch mit prekären Lebensumständen zu tun. Die Lebenserwartung ist niedrig, der Zugang zu kontextualisierter Bildung kaum gegeben und die Wohnverhältnisse kennen weder Wasseranschluss noch Abwasseraufbereitung.
Anfang Juli schickte die brasilianische Regierung in einer interministeriellen Aktion Gesundheits- und Soforthilfe in die Terra Indigena Yanomami. Koordiniert werden solche Hilfsmaßnahmen durch das Militär. Medizinisches Personal des Militärs testete die Anwesenden auf Corona und verteilte Nothilfepakete (cestas basicas). Zur Absicherung ihres Gesundheitszustands kamen Mitglieder der Yanomami nach mehreren Stunden Fußweg in die kurzfristige Gesundheitsstation der Militärbasis. Allerdings erfüllt die Hilfsmaßnahme nicht die Forderung der Indigenen auf verbesserten dauerhaften Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung und auf Schutz vor Eindringlingen in ihr Territorium.
ISA sieht in den Arbeitern des Bergbausektors den Hauptvektor für einen Eintrag des Virus in das indigene Territorium. Sie kommen von Städten wie Boa Vista in Roraima, nutzen Boote oder Flugzeuge und sind mit Infrastruktur weit besser ausgestattet als das ortsansässige Gesundheitspersonal.
Am 17. Juni bewilligte der Senat einen Nothilfeplan der Regierung für die indigene Bevölkerung. Im Abstimmungsprozess mit den Parlamentarierinnen und dem Senat wurden territoriale Forderungen bereits gestrichen, Gesetz wurde in gekürzter Fassung verabschiedet. Es sah vor, dass die Indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften im Zuge der Corona-Maßnahmen mit Trinkwasser, Essen und Hygiene-Artikeln versorgt werden sollten. Auch sollten mehr Intensivbetten und Beatmungsgeräte bereitgestellt werden. Präsident Bolsonaro hebelte das Nothilfepaket per Veto aus. Der Dachverband der indigenen Völker Brasiliens kritisierte das Veto als “Kriegserklärung” gegen Menschen, die besonders anfällig für das Virus seien.
Der brasilianische Theologe Frei Betto wendet sich in einem Brief hilfesuchend an die internationale Gemeinschaft und warnt vor einem Völkermord in Brasilien: „Am 7. Juli legte Bolsonaro sein Veto gegen Teile eines vom Senat genehmigten Gesetzes ein, wonach die Regierung verpflichtet ist, Trinkwasser, Hygiene- und Reinigungsmittel, Interneteinrichtungen und die Verteilung von Lebensmittelkörben, Saatgut und landwirtschaftlichen Werkzeugen an indigene Dörfer bereitzustellen. Er legte auch ein Veto ein gegen die Einrichtung von Notfallfonds für die Gesundheit der indigenen Bevölkerung sowie gegen den erleichterten Zugang dieser Ureinwohner und der Mitglieder von Quilombos zur Nothilfe in Höhe von 600 brasilianischen Reais (etwa 100 Euro bzw. 120 US-Dollar) pro Person für drei Monate. Er lehnte auch die Verpflichtung der Regierung ab, indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften (u. a. den sog. Quilombolas, Nachfahren ehemals geflohener Sklavinnen und Sklaven, Anm.) mehr Krankenhausbetten, Beatmungsgeräte und Sauerstoffgeräte zur Verfügung zu stellen. Indigene und Quilombolas werden durch die zunehmenden sozio-ökologischen Verwüstungen insbesondere im Amazonasgebiet dezimiert.“