DER FALL TAQUARIL DOS FIALHOS

Das brasilianische Netzwerk zur Überwachung der Menschenrechte in Brasilien AMDH (ARTICULAÇÃO PARA O MONITORAMENTO DOS DIREITOS HUMANOS NO BRASIL) wird koordiniert von der landesweiten Bewegung für Menschenrechte MNDH (Movimento Nacional de Direitos Humanos), dem Netzwerk PAD (Processo de Articulação e Diálogo), dem ökumenischen Forum FEACT Brasil (Fórum Ecumênico ACT Brasil). AMDH begleitet Situationen von Menschenrechtsverletzungen durch das Projekt Menschenrechte in Aktion (“DH em Ação”) und fördert – in Partnerschaft mit der Kleinbäuer:innenvereinigung ASSOCIAÇÃO DOS PEQUENOS AGRICULTORES DE TAQUARIL DOS FIALHOS (ASPAT) – Menschenrechtsmonitoring und Advocacy-Prozesse im Fall der Gemeinschaft Taquaril dos Fialhos in Licínio de Almeida, Bahia, Brasilien. Vertreter:innen der Netzwerke AMDH und PAD werden gemeinsam mit Führungspersonen der betroffenen Gemeinschaft im September für Advocacy- und Öffentlichkeitsarbeit u.a. in Berlin sein.
| von Articulação para o Monitoramento dos Direitos Humanos no Brasil (AMDH)
DER FALL TAQUARIL DOS FIALHOS

KONTEXTUALISIERUNG

Im Südwesten des Bundesstaates Bahia/Brasilien, dort wo sich die Biome von Cerrado und Caatinga treffen, in der Region der Serra Geral (auch als Serra do Salto bekannt), im Herzen des Munizips von Licínio de Almeida, lebt die traditionelle, ländlich geprägte Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos. Gegründet vor über 100 Jahren zählt sie 32 Familien und befindet sich in einem Tal mit ausreichend verfügbarem Wasser und fruchtbarer Erde, so dass dort bis heute kleinbäuerliche, familiäre Landwirtschaft von Anbau und Ernte von Früchten, Gemüsesowie Viehhaltung neben weiteren agrarwirtschaftlichen Produkten deren Lebensunterhalt in Subsistenz und die Ernährungssouveränität der Gemeinschaft garantiert.

Die Subsistenzpraxis ebenso wie die Lebensweise dieser Gemeinschaft sind bedroht und Risiken ausgesetzt, seit sich in der Gegend Bergbaufirmen offensiv breitgemacht haben, um dort die Eisen- und Manganlagerstätten auszubeuten. Dieses erfolgt im Rahmen einer Ausweisung der sogenannten Bergbauprovinz Província Mineral do Vale do Paramirim (PMVP), die mehr als 32 Munizipien Bahias – hauptsächlich in Caetité, Licínio de Almeida, Ibipitanga, Boquira, Macaúbas und Paramirim – umfasst, sodass das Territorium von Taquaril dos Fialhos Teil davon ist.

Zwischen 2021 und 2024 gab es einen Anstieg von 35,8% bei den Genehmigungen für Erkundungsuntersuchungen für Bergbauprojekte, insgesamt auf 19.175 Fälle, dies ergibt die Analyse der Daten des Bergbauinformationssystem Sistema de Informação Geográfica da Mineração (SIGMINE) der nationalen Bergbaubehörde Agência Nacional de Mineração (ANM). Bergbau findet in 244 Munizipien Bahias statt, also in mehr als der Hälfte aller 417 Munizipien, die es in diesem Bundesstaat gibt. ImMunizip Licínio de Almeida, so die Auswertung der Datenbank der Bergbaubehörde ANM, gibt es gegenwärtig 125 aktive Bergbauprojekte (Stand 22/7/2024), die sich fast über das gesamte Gebiet des Munizips erstrecken. Die meisten Bergbauaktivitäten in der Gemeinde befinden sich in der Phase der „Forschungsgenehmigung“ mit 89 Verfahren, was 71 % der Gesamtzahl entspricht.

Das wirtschaftlichen Begehren nach bergbaulicher Ausbeutung des Gebietes der Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos hat eine lange Geschichte. Die ersten Investitionen von Bergbaufirmen begannen im Jahr 2007, als das Unternehmen Bahia Mineração (Bamin), Tochterfirma des Bergbauunternehmens Eurasian Natural Resources Corporation (ENRC) vor Ort seine Arbeit aufnahm. Nach Bamin kam die Firma Greystone Mineração do Brasil Eireli, die ihre erste Genehmigung auf Forschungsexploration im Jahre 2011 erhielt. Der Forschungsbericht des letzteren wurde jedoch von der ANM abgelehnt. Im Jahr 2018 wurde die Gemeinschaft durch das Unternehmen Companhia Vale do Paramirim Participações S.A. (CVP) unter Druck gesetzt, das vor kurzem Genehmigungen für die Durchführung von Bergbauforschung auf dem Gebiet der Gemeinschaft erhalten hat, einschließlich der Rodung der einheimischen Vegetation.

Es wurden verschiedene Probleme seitens des Unternehmens, das die Forschungsphase durchführt, festgestellt, darunter ein Mangel an Transparenz bei den Informationen, Berichte über Schikanen und Druck im Zusammenhang mit der vermeintlichen Notwendigkeit, Dokumente zu unterzeichnen, die oft missbräuchliche, zweifelhafte und/oder für die Gemeinschaften schwer verständliche Klauseln enthalten und all dies ohne fachliche Beratung. Zudem kam es zur Zerstörung von Biomen und Ökosystemen durch Abholzung, um Nebenstraßen und Gräben für die Probenentnahme anzulegen. Es mangelt auch an Transparenz über den Fortgang der Forschung, die gemachten Entdeckungen und die nächsten Phasen der Pläne der Unternehmen.

Es ist erwähnenswert, dass diese Übergriffe vom brasilianischen Staat legitimiert werden, der – ohne das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation zu garantieren – sowohl die Forschung als auch die Erkundung von Bodenschätzen zugunsten der Bergbauunternehmen genehmigt hat. Dies geschieht sowohl durch die Bundesebene über die Nationale Bergbaubehörde ANM oder durch die Landesebene der Regierung des Bundesstaates Bahia über das Institut für Umwelt und Wasserressourcen (Inema). Die Regierenden geben den Interessen der Bergbauunternehmen den Vorrang und rechtfertigen sich allgemein mit dem angeblichen wirtschaftlichen Gewinn, der durch die Ergebnisse der Mineralexploration erzielt werde, obwohl es keine stichhaltigen Beweise für die Vorteile gibt, die über den allgemeinen Diskurs der Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen hinausgehen, ein Diskurs, der die vielen sozialen und ökologischen Verluste verschleiert, die mit den zerstörerischen Prozessen des Bergbaus verbunden sind, insbesondere für die lokale Wirtschaft und die Lebensweise der traditionellen Völker.

Die Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos setzt sich gegen diese Forschungs- und Erkundungsbohrungen für Bergbau zur Wehr, da sie wissen, dass diese den Ausgangspunkt für einen Prozess der Gebietsübernahme zur Umsetzung von extraktiven Megaprojekten bilden, der mit der Enteignung von Land und Wasser und der Einschließung von Gebieten und natürlichen Ressourcen beginnt, die traditionell von den Bewohner:innen der Region genutzt werden.

AUSWIRKUNGEN DES BERGBAUS

Die bergbauliche Erforschung hat bereits jetzt das Potential, eine Reihe von signifikanten Auswirkungen sowohl auf die Umwelt als auch auf die sozialen Dynamiken der Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos hervorzurufen, unter diesen unter anderem.

> UMWELTAUSWIRKUNGEN: Durch das Anlegen von Zufahrtsstraßen und Gräben zur Entnahme von Proben in dem untersuchten Gebiet wurde die Vegetationsdecke entfernt (Abholzung), der Boden verdrängt und verdichtet, es wurden mehr Bohrlöcher gebohrt als genehmigt, Abraumstoffe unsachgemäß entsorgt und der Boden erodiert, was die Artenvielfalt der Fauna und Flora sowie die Wasserrückhaltekapazität beeinträchtigte.

> AUSWIRKUNGEN AUF DIE GEMEINSCHAFT: Die Bergbauforschung hat zu Konflikten zwischen den Interessen des Bergbauunternehmens und den Landnutzungsrechten der Gemeinde sowie zu Druck, Zwängen und sozialen Konflikten zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft geführt, Konflikte, die von den Bergbauunternehmen, die an umstrittenen Gebieten und natürlichen Ressourcen interessiert sind, hervorgerufen und gefördert werden; es gibt rechtliche Schikanen und Versuche, Organisationen und soziale Bewegungen zu kriminalisieren.

> SOZIALE UND WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN: eine potenzielle Zunahme der sozioökonomischen Anfälligkeit aufgrund der Enteignung von Land und der Zerstörung der Umwelt durch den Abbau von Bodenschätzen, die traditionelle Lebensweisen und Familienbetriebe auf dem Gebiet unmöglich machen und viele Menschen dazu zwingen, ihre Häuser und ihre Haupteinnahmequelle zu verlassen.

VERLETZUNGEN UND BEDROHUNGEN DER MENSCHENRECHTE

Die Aufoktroyierung von Bergbau-Megaprojekten, die durch den brasilianischen Staat legitimiert sind, haben das Potenzial, eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen, -einschränkungen und -bedrohungen hervorzurufen, die sich auf verschiedene Aspekte des Lebens traditioneller Gemeinschaften auswirken, wie z.B. auf die der Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos:

RECHT AUF BETEILIGUNG UND KOSTENLOSE, VORHERIGE UND INFORMIERTE KONSULTATION (die Gemeinschaft, die von der Mineralienforschung und -prospektion betroffen ist, wurde nie konsultiert und hat keinen Zugang zu Informationen über die ökologischen und sozialen Auswirkungen von Bergbauprojekten in der Region). RECHT AUF WASSER (Bedrohung des Zugangs zu Wasserquellen, des Trinkwassers und der Ernährungssicherheit der Gemeinde, da der Bergbau große Mengen Wasser verbraucht und die Wasserressourcen der Region kontaminieren kann, selbst in dem Fall, wenn es sich um eine Abbaumethode ohne Verwendung von Wasser handelt. Der Bergbau führt zu einer Verschlechterung der Bodenqualität, da die Beseitigung der Vegetationsdecke und die Entsorgung mineralischer Abfälle zu einem Verlust der Bodenfruchtbarkeit, zu Erosion und zur Verschlammung der Flüsse sowie zur Absenkung des Grundwasserspiegels führen kann, was wiederum die Zerstörung der Quellen in der Serra do Salto zur Folge haben kann.) RECHT AUF LAND (reale Gefahr der Enteignung von bäuerlichen Familienbetrieben durch das Bergbauprojekt in diesem Gebiet, wobei nicht vergessen werden darf, dass der Bergbau eine Aktivität mit vollendeten Tatsachen ist, bei deren Abbau der einmal abgebaute Boden unfruchtbar wird). RECHT AUF GESUNDHEIT (Exposition gegenüber giftigen Chemikalien, die in den Bergbauprozessen eingesetzt werden und Atemwegs- und Hautkrankheiten sowie andere gesundheitliche Komplikationen verursachen können, sowie die Verschmutzung der von den Gemeinden genutzten Wasserquellen). RECHT AUF KULTUR (Bedrohung historischer und traditioneller kultureller Praktiken und Lebensweisen der lokalen Gemeinschaft durch das Bergbau-Megaprojekt). RECHT AUF EINE UMWELT, DIE ÖKOLOGISCH AUSGEWOGEN UND FREI VOM BERGBAU IST (die durch den Bergbau verursachte Umweltzerstörung, wie z. B. die Verschmutzung von Boden und Wasser, der Verlust der biologischen Vielfalt und die Abholzung der Wälder, beeinträchtigt die gesunde Lebensqualität der Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos.

EMPFEHLUNGEN

(I) Dass der brasilianische Staat die Umsetzung des Rechts auf Konsultation und vorherige, freie und informierte Zustimmung garantiert, wie es in der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorgesehen ist, die in Brasilien durch das Dekret Nr. 5051/2004 in Kraft ist, und zwar durch einen interkulturellen Dialog, der von Treu und Glauben, Transparenz und der Anerkennung der Verbindlichkeit der Ergebnisse der Konsultationen geprägt ist und der es den Gemeinschaften ermöglicht, in allen Phasen wirklich teilzunehmen und den Entscheidungsprozess zu beeinflussen, der mit jeder neuen Information erneuert wird, insbesondere bei Verfahren, die sich über mehrere Akte erstrecken.

(II) Dass der brasilianische Staat die gemeinschaftlichen und autonomen Protokolle der Konsultation und der vorherigen Zustimmung als Instrumente der Selbstbestimmung respektiert, die das Verständnis der traditionellen Gemeinschaften für ihre internen Konfigurationen und historisch-kulturellen Interaktionsprozesse festlegen.

(III) Dass der brasilianische Staat sicherstellt, dass die Unternehmen die nationalen und internationalen Standards zum Schutz der Menschenrechte, die Brasilien unterzeichnet hat, respektieren und dass der Staat keine Bergbauuntersuchungen und andere Bergbauaktivitäten auf dem Gebiet der traditionellen Gemeinschaft von Taquaril dos Fialhos genehmigen darf.

// ARTICULAÇÃO PARA O MONITORAMENTO DOS DIREITOS HUMANOS NO BRASIL (AMDH)

// Übersetzung: christian russau