Brasiliens Senat plant, Demonstranten mit Terroristen gleichzusetzen
Brasília. In der zweiten Kammer des brasilianischen Kongresses, dem Senat, wird derzeit über ein neues Anti-Terrorismus-Gesetz diskutiert. Medialen Auftrieb bekommt die vom dem rechten Senator Romero Juca in den Senat eingebrachte Gesetzesinitiative PLS 499/2013 durch den Tod des Kameramanns Santiago Ilídio Andrade von TV Bandeirantes, der am Montag infolge einer Ende vergangener Woche auf einer Demonstration in Rio de Janeiro erlittenen Kopfverletzung verstorben war. Andrade war von hinten durch einen am Nacken explodierenden Feuerwerkskörper verletzt worden, so dass er einige Tage im Koma lag, bevor er am Montag im Krankenhaus verstarb.
Die Gesetzesinitiative zielt im Kern auf eine massive Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts ab, denn das Gesetz wurde mit Blick auf die seit Juni vergangenen Jahres vor allem in São Paulo und Rio de Janeiro anhaltenden Demonstrationen und vor dem Hintergrund der im Lande im Juni anstehenden Fußballweltmeisterschaft eingereicht. Senator Juca sagte, das Land brauche dieses neue Gesetz "oder die Fußball-WM laufe Gefahr, im Chaos zu enden". Als terroristische Akte eingestufte Taten sollten dem Gesetzesentwurf zufolge mit 15 bis zu 30 Jahren Haft bestraft werden. Als Terrorismus solle gelten, so die PLS 499/2013, "wenn Terror oder allgemeine Panik provoziert oder dazu angestiftet wird mittels eines Angriffs oder Versuch eines Angriffs auf das Leben, die physische Integrität oder Gesundheit oder Einschränkung der Freiheit einer Person zur Folge" hat. Als Mittel hierzu definiert der Gesetzestext das "Tragen von Sprengmaterialien, chemischen, biologischen oder radioaktiven Waffen oder andere zum Zweck der Massenvernichtung bestimmte Mittel".
Kritiker sehen durch diesen Gesetzesentwurf allerdings das Rechtsstaatsprinzip in Gefahr. "So wie dieser Gesetzesentwurf konzipiert ist, bedeutet dies nicht nur die Möglichkeit, die sozialen Bewegungen zu kriminalisieren, sondern verstößt direkt gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit", bewertete der Rechtsprofessor Juarez Tavares gegenüber dem Correio Braziliense das Gesetzesvorhaben. "Nur schwammig zu definieren, es sei eine Straftat, Terror oder kollektive Angst zu verbreiten oder dazu anzustiften, das reicht nicht aus", so Tavares. Diese Rechtssaussagen seien für einen Gesetzestext zu schwammig, für die Bürger daher nicht einschätzbar, so der Rechtsprofessor und pensionierte Bundesstaatsanwalt. Selbst in der Regierungspartei PT mehren sich die kritischen Stimmen. Humberto Costa sagte, “dieses Projekt gegen Terrorismus ist sehr weit gefasst und kann dazu dienen, die sozialen Bewegungen zu kriminalisieren". Juliana Brito von den Lokalkomitees zur WM ging in ihrer Kritik noch weiter: "[Dieses Gesetz] ist sehr abstrakt. Können wir es demnach so verstehen, dass ein [journalistischer] Bericht die Realität verzerrt und dadurch Terror oder Panik verbreitet und dass daher das verantwortliche Unternehmen [der Zeitung] unter die Rechtskategorie [der Terrorunterstützerin] fällt?"
Diese jüngste Gesetzesinitiatve zur Verschärfung der Anti-terrorgesetze und zur Kriminalisierung der sozialen Bewegungen ist gleichwohl nicht die einzige dieser Art: Bereits im September hatte zuerst Rio de Janeiro, dann andere Städte und Bundesstaaten, das Demonstrationsrecht verschärft, um der Demonstrationen wieder Herr zu werden und diese zu unterbinden. So hatte Rios Parlament zunächst ein Gesetz verabschiedet, das das Tragen von Masken verbietet. „Frei ist die Meinungsäußerung“, heißt es in dem Gesetz, aber „Anonymität ist untersagt“. Dem neuen Gesetz für Aufzüge und Demonstrationen zufolge sollen auf Demonstrationen die Personalien derjenigen aufgenommen werden, die vermummt auf die Demonstration gehen. Wer sich weigert, wird auf die Polizeiwache mitgenommen und dort identifiziert. Der Gesetzestext verlangt auch, dass politische Demonstrationen ab jetzt polizeilich angemeldet werden müssen, bei einer Frist von mindestens 48 Stunden vor Beginn des Aufzugs, entweder bei der zuständigen Polizeiwache oder per Internet. Diese für Lateinamerika seltenen gesetzlichen Kontrollversuche seitens des Staates waren aber nur ein Vorgeschmack auf das, was kommt.
Zunächst handelte dann auch der Staat auf Bundesebene und verabschiedete das Bundesgesetz über die "Bildung krimineller Vereinigungen": Taten gegen öffentliches Eigentum, Brandstiftung, Raub und Bandenbildung werden zu Straftaten deklariert, bei denen man nicht gegen Kaution vorläufig auf freien Fuß gesetzt werden kann. Zudem darf demnach die Polizei bei Menschenansammlungen von vier oder mehr Personen diese bei einem Anfangsverdacht verhaften, ohne dass dem Haftrichter Beweise vorgelegt werden müssen.
Und auch der der brasilianische Verteidigungsminister, Celso Amorim, wollte nicht zurückstehen und schuf am 19. Dezember 2013 vollendete Tatsachen: Er unterzeichnete die gesetzliche Durchführungsbestimmung N° 3.461/MD über die „Gewährleistung von Gesetz und Ordnung“. Diese Gesetzesbestimmung bezieht sich laut dem Rechtsakt explizit auf den „Zeitraum vor oder während der [sportlichen Groß-]Events”. Und der Verteidungsminister geht dabei nicht zimperlich vor: Proteste während der WM können als „terroristische Akte“ eingestuft und mit 15 bis zu 30 Jahren Haft bestraft werden.
Bereits Ende Juni 2013 berichteten brasilianische Medien über die Besorgnisse der internationalen Sponsoren der Fußballweltmeisterschaft, die fürchteten, durch die Proteste könnte ihr Markenimage leiden. Brasília reagiert nun offensichtlich mit allen gesetzlich zur Verfügung stehenden Mitteln. Es kann im Land des Fußballs nicht sein, was nicht sein darf: Protest gegen Fußball und gegen die WM, gegen die Milliardenausgaben des Staates, gegen die Vertreibungen infolge des WM-Baubooms in den zwölf Ausrichterstätten. Nun besteht die reale Gefahr, dass eine sozial motivierte Demonstration gegen Räumungen infolge der WM mit langjährigen Haftstrafen für die Protestierenden endet, da der Staat sie als Terroristen definiert. Die Rede vom "Polizeistaat Brasilien" ist so fern der Realität nicht.