Aus Airbus-Helikoptern kommt in Brasilien der Tod
Das gemeinsame Dossier geht der Frage nach, wie stark der deutsch-französische Hersteller von Kampfjets, Drohnen und elektronischen Bauteilen für Flugkörper autoritäre und autokratische Regime mit Waffensystemen und sonstigen Rüstungsgütern unterstützt. Dazu gehören unter anderem Kampfjets für den Jemenkrieg, Militärtransporter für die Türkei, militärische Abschottungsanlagen an den Grenzen für Länder weltweit ebenso wie Hubschrauber für die tödlichen Einsätze der brasilianischen Polizei.
So analysiert Andrea Zellhuber von terre des hommes-Schweiz in dem Dossier-Teil "Airbus-Hubschrauber – von der Polizei in Brasilien rechtswidrig eingesetzt, mit tödlichen Folgen" die Lieferungen von Airbus-Hubschrauber an brasilianische Polizeikräfte und was dies für Folgen hat in einem Land wie Brasilien, das mit die höchsten Todeszahlen von durch Polizist:innen Erschossene hat.
So legt das Dossier dar, wie "[i]n den letzten Jahren häuften sich aufsehenerregende Fälle, in denen bei Polizeieinsätzen mit Hubschraubern in dicht besiedeltem Gebiet Unschuldige verletzt oder getötet wurden. Bei Operationen zur Bekämpfung von Drogenbanden schießen die Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren von Helikoptern aus in Wohngebiete und setzen die Bevölkerung großen Risiken durch Querschläger aus. Auch Airbus-Hubschrauber kommen dabei immer wieder zum Einsatz. Alleine im ersten Halbjahr 2019 fanden in Rio zur Kriminalitätsbekämpfung mindestens 34 Polizeieinsätze mit Hubschraubern statt, in 11 dieser Einsätze wurden Hubschrauber als Schießplattformen benutzt. Brasilianische Experten bezeichnen die zahlreichen Hubschraubereinsätze als "Terror der Bevölkerung"."
Das Dossier beschreibt dabei im Themenkomplex Brasilien ausführlich den "Fall Pereira":
"Der Fall der Verfolgungsjagd und Tötung des Drogenhändlers Márcio José Sabino Pereira am 11. Mai 2012 ist ein eindrückliches Beispiel für die hochproblematischen Polizeieinsätze mit Helikoptern in dicht besiedeltem Gebiet. Bei dem juristisch bereits aufgearbeiteten und gut dokumentierten Fall wurde ein Airbus-Hubschrauber als Schießplattform eingesetzt. Bei der Operation wurden mehr als 100 Schüsse aus Maschinengewehren des belgischen Herstellers FN auf ein Wohngebiet abgefeuert.
Der bei dem Einsatz verwendete Hubschrauber der Zivilpolizei von Rio de Janeiro (PCERJ) war das Modell AS-350 (Esquilo -Eichhörnchen) mit der Bezeichnung «AguiaII» (Adler II). Dieses Modell wurde ursprünglich vom französischen Unternehmen Aérospatiale und dem deutsch-französischen Unternehmen Eurocopter, heute Airbus Helicopter, entworfen und hergestellt. Die Zivilpolizei von Rio de Janeiro hat derzeit zwei Hubschrauber dieses Modells in seiner Flugzeugflotte.
Der Helikoptereinsatz mit exzessiver Gewaltanwendung durch die Zivil- und Militärpolizei ereignete sich in der Favela da Coréia in Rio de Janeiro und endete mit der Tötung des Drogenhändler Márcio José Sabino Pereira. Am 5. Mai 2013, etwa ein Jahr nach dem Polizeieinsatz, wurde in der Fernsehsendung «Fantástico» von Globo TV ein von der Zivilpolizei von Rio de Janeiro selbst aus dem Hubschrauber aufgenommenes Video veröffentlicht. Die Videoaufzeichnung zeigt nicht nur die Exekution des Drogenhändlers, sondern auch, wie eine weitere Person im Auto verletzt wurde. Darüber hinaus trafen mehrere Schüsse großen Kalibers und mit hoher Durchschlagskraft (7,62 mm und 5,56 mm Projektile) Häuser, ob dabei Menschen zu Schaden kamen, ist nicht bekannt. Mindestens ein Schuss traf einen Anwohner auf einem Motorrad. Er wurde schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert.
Die Risiken für die Bevölkerung waren noch gravierender, weil die Schüsse aus Maschinenpistolen im automatischen Dauerfeuer abgegeben wurden und in diesem Schießmodus die Kontrolle und Präzision durch den Schützen geringer ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Aktion nachts (zwischen 23 und 00 Uhr) und somit bei geringer Sichtweite durchgeführt wurde. Das Video zeigt, dass viele Schüsse bei schlechter Sicht in einem sehr dicht besiedelten Viertel abgefeuert wurden. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich wahrscheinlich viele Bewohner in ihren Häusern auf. Aus einem Auszug aus einem Dokument der Bundesanwaltschaft, basierend auf den Gesprächen mit der Besatzung, lässt sich ableiten, dass viele der Schüsse von Polizisten abgegeben wurden, ohne zu wissen, wohin sie geschossen haben. In den Dialogen sagte einer: „Schieß, schieß“ und ein anderer antwortete: „Ich sehe nichts“, worauf der erste sagt: „Schieß, verdammt noch mal, schieß“ (zwischen Minute 15 und 18 des Videos).
Rechtsexperten bewerten den Einsatz als unverhältnismäßig, da ein sehr hohes Risiko von Querschlägern für die Wohnbevölkerung in Kauf genommen wurde. Ein Gerichtsentscheid vom September 2019 (7 Jahre nach dem Ereignis) verurteilte den Staat zur Zahlung einer Entschädigung an den verletzten Passanten."
In dem Dossier wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass: "Trotz umfassender Dokumentationen derartiger Missstände und schweren Menschenrechtsverletzungen gehören die brasilianischen Streit- und Sicherheitskräfte weiterhin zu den Kunden von Airbus. 2008 bestellte die Regierung 50 Airbus H225M-Hubschrauber, die aktuell ausgeliefert werden. Darüber hinaus hat Airbus in Brasilien ein eigenes Tochterunternehmen (Helibras) für den Bau von Hubschraubern. Auch die brasilianischen Sicherheitskräfte sind Helibras-Kunden. Nunmehr droht, dass mithilfe von Airbus-Technologie weiterhin zivile Bewohner*innen Zielscheibe von mehr als fragwürdigen Polizeieinsätzen mit exzessivem Gewalteinsatz werden, die auch in Brasilien sehr umstritten sind."
Das Dossier berichtet zudem, dass "über eine im Juni 2020 vor dem Obersten Bundesgericht (STF - Supremo Tribunal Federal) eingereichte Klage, die ein Verbot von Schießeinsätzen vom Hubschrauber aus fordert, wurde noch nicht endgültig entschieden. Zumindest bewirkte sie die zwischenzeitliche Aussetzung solcher Polizeioperationen in Rio während der Corona-Pandemie.52Doch in der Praxis werden diese Gerichtsentscheide von den Polizeibehörden nicht umgesetzt."
Die Organisationen, die das Dossier verfassten, fordern: "Deshalb sollte sich auch Airbus für ein solches Verbot stark machen, um sicherzustellen, dass mit seinen Hubschraubern keine unschuldigen Einwohner*innen gefährdet oder gar getötet werden, und solange, bis dies gewährleistet ist, jegliche Lieferungen stoppen. Airbus darf eine Sicherheitspolitik, bei der exzessive Gewaltanwendung mit Todesfolgen zum Alltag gehört und Menschen-rechte schwer verletzt werden, nicht mit seinen Produkten fördern."
Das Dossier in Gänze findet sich zum freien Download hier bereit: https://www.tdh.de/fileadmin/user_upload/inhalte/04_Was_wir_tun/Themen/Weitere_Themen/Kleinwaffen/Briefing_Airbus_05.pdf