Amnestiekommission bittet Indigene um Entschuldigung

Amnestiekommission bittet erstmalig Indigene Völker Brasilien um Entschuldigung für Menschenrechtsverletzungen während der brasilianischen Militärdiktatur.
| von Christian.russau@fdcl.org
Amnestiekommission bittet Indigene um Entschuldigung
Gebiet der Terra Indígena Krenak, Bundesstaat Minas Gerais. Foto: christian russau

Es ist ein Novum in der Geschichte Brasiliens, ein bedeutsamer und wichtiger Schritt hin zu Anerkennung der mißachteten und verletzten Rechte der Indigenen Völker, auch wenn es im Moment noch keine materielle Entschädigung für die Menschenrechtsverletzungen, die die Indigenen Völker Brasiliens während der Militärdiktatur erlitten, darstellt. Es ist aber ein symbolträchtiger Akt: Erstmals hat der brasilianische Staat, mittels der Mitglieder des Kollegiums der seit 2002 bestehenden staatlichen Amnestiekommission, die schwerwiegenden Folgen staatlichen Handelns und Unterlassens gegenüber Angehörigen der Volksgruppen der Krenak und Guarani-Kaiowá anerkannt und die Angehörigen der Opfer mit einer förmlichen Bitte um Entschuldigung im Namen des brasilianischen Staates gebeten.

"Ich möchte mich vor Ihnen niederknien. Ich bin sehr gerührt, aber ich möchte mich im Namen Brasiliens, des brasilianischen Staates, entschuldigen. Und mögen Sie diese Entschuldigung im Namen der Amnestiekommission und des brasilianischen Staates an Ihr ganzes Volk weitergeben", sagte die Vorsitzende der Kommission, die Rechtsanwältin Enéa de Stutz e Almeida, während sie auf den Knien zu den anwesenden Vertreter:innen der Guarani-Kaiowá und der Krenak in Brasília sprach. Dies berichten mehrere brasilianische Medien, darunter Brasil de fato und die staatliche Agência Brasil.

Die staatliche Amnestiekommission, die dem Ministerium für Menschenrechte und Staatsbürgerschaft untersteht, ist für die Prüfung von Amnestiefällen zuständig, die durch staatliche politische Verfolgung zwischen September 1946 und Oktober 1988 begründet sind. Im vergangenen Jahr 2023 genehmigten die Mitglieder des Rates eine Änderung der Geschäftsordnung, die es ermöglicht, auch kollektive Amnestieanträge zu stellen. Bislang war dies nur individuellen Opfern möglich, die (oder deren Angehörige) detailliert nachweisen mussten, dass Verfolgung und Repression seitens der Militärdiktatur sie (oder die Angehörigen) direkt und persönlich getroffen habe. Die Anträge der Gemeinden Krenak und Guarani-Kaiowá sind die ersten kollektiven Amnestieanträge, über die im Land nun entschieden wird. Dabei geht es nicht um materialle Entschädigungszahlungen wie bei den individuellen Reparationsforderungen, sondern um die symbolische Anerkennung. "Wir haben viel debattiert und sind mit Hilfe vieler Menschen außerhalb des Kommissionsvorstands zu dem Schluss gekommen, dass Einzelanträge zum Beispiel für indigene Völker nicht viel Sinn machen. Was für diese Gemeinschaften Sinn macht, ist eine kollektive Entschädigung", erklärte die Vorsitzende der Kommission, die Juristin Enéa de Stutz e Almeida, gegenüber Medien.

In den entsprechenden Anträgen, die der Kommission vorgelegt wurden, argumentiert die Bundesstaatsanwaltschaft MPF, dass zwischen 1957 und 1980 indigene Völker im Allgemeinen und nicht nur die Krenak- und Guarani-Kaiowá-Gemeinschaften Ziel von Eingriffen der Regierung und der Wirtschaft in ihre Gebiete waren, die zu Todesfällen, Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und zur tiefgreifenden Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise führten. Im Jahr 2014 schloss die Nationale Wahrheitskommission ihren Bericht über die zwei Jahre und sieben Monate dauernden Ermittlungen zu den Menschenrechtsverletzungen ab, die während der letzten zivil-militärischen Diktatur Brasiliens begangen wurden, und wies darauf hin, dass mindestens 8.350 indigene Menschen ermordet wurden und noch viel mehr leiden mussten.

Im Falle der Indigenen Krenak erlitten diese Verfolgung und Folter. Das Ziel war die Ausrottung der Krenak, erklärte der Berichterstatter der Amnestiekommission, Leonardo Kauer Zinn, der als Beispiel die 1969 in der Stadt Resplendor im Bundesstaat Minas Gerais eingerichtete so genannte landwirtschaftliche Besserungsanstalt für Indigene der Krenak anführt, in die als "Rebellen" geltende Indigene aus dem ganzen Land unter dem Vorwand der "Umerziehung" verbracht wurden. "Die Besserungsanstalt ist so berühmt geworden, dass viele Menschen, wenn sie das Wort Krenak hören, denken, dass es sich um das Gefängnis und nicht um die indigene Bevölkerung handelt. Die Nationale Wahrheitskommission selbst hat bereits anerkannt, dass die Besserungsanstalt sowie die Guarani-Farm in der Stadt Carmésia (MG) mit ihrem nationalen Geltungsbereich für die Inhaftierung "rebellischer Indianer" aus 23 ethnischen Gruppen "den Charakter eines Konzentrationslagers" [indigener] Völker annehmen", erinnerte Zinn.

Bei kollektiven Anträgen sieht die Anerkennung von Amnestieanträgen keine finanzielle Entschädigung vor. Für die Präsidentin der Nationalen Stiftung für indigene Völker, Joenia Wapichana, die persönlich an der Sitzung der Amnestiekommission teilnahm, ist die Entscheidung dennoch eine wichtige Wiederherstellung der Erinnerung an Tatsachen, die noch wenig bekannt sind. "Die Erinnerung ist für die indigenen Völker sehr wichtig. Dank ihr wissen wir, woher wir kommen und wohin wir gehen wollen. Sie wird nicht einfach ausgelöscht. Es kann genutzt werden, um Fehler zu korrigieren und Korrekturen vorzunehmen, insbesondere in der Verwaltung eines Landes. Es ist wichtig, dass diese Erinnerung öffentlich gemacht wird. Für uns, sowohl für die indigenen Völker als auch für FUNAI, ist es wichtig, dass sie sichtbar gemacht wird. Nicht nur in Berichten - denn wir wissen, dass es viel Gewalt gab -, sondern auch in Form von Wiedergutmachung und öffentlicher Politik. Damit die Fehler und die Gewalt tatsächlich wiedergutgemacht und gerechtfertigt werden", kommentierte Joenia und fügte hinzu, dass "alle indigenen Völker Gerechtigkeit verdienen": "Historische Wiedergutmachung ist extrem wichtig", erklärte sie.

Indessen bangen die Indigenen Völker Brasiliens weiter um das juristische Tauziehen zwischen Kongress und Oberstem gerichthof über die sogenannte Stichtagsregelung Marco Temporal - eine Entscheidung darüber steht noch aus und mithin die grundsätzliche Frage, welches Anrecht gesteht der brasilianische Staat den Indigenen Völkern auf ihr angestammtes land zu oder nicht.

// Christian Russau