33 Millionen Brasilianer:innen leiden Hunger
Die Forscher:innen des brasilianischen Forschungsnetz für Lebensmittel- und Ernährungssouveränität und -sicherheit (Rede PENSSAN) haben rund ein Jahr nach ihrer letzten Erhebung zur Rückkehr des Hungers und der Ernährungsunsicherheit eine neue Studie mit erschreckenden Daten vorgelegt. Der im Internet vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie zufolge werden im Gesamtjahr 2022 33,1 Millionen Menschen nicht genug zu Essen haben. Die Forscher:innen sehen einen engen Zusammenhang mit der Verschärfung der Ernährungssicherheit durch die Covid-19-Pandemie. Diese neuen Zahlen von 33,1 Millionen Hungernden in Südamerikas größtem Staat zeigen einen Anstieg um 14 Millionen neue Personen, die nun des Hungers leiden. Demnach ist mehr als die Hälfte (58,7 Prozent) der brasilianischen Bevölkerung in gewissem Maße von Ernährungsunsicherheit betroffen ist - leichten, mittelschweren oder schweren Hungers. Laut der Forscher:innen ist Brasilien damit auf ein Niveau zurückgefallen, das dem der 1990er Jahre entspricht. Die Untersuchung wurde vom Rede PENSSAN durchgeführt, mit Unterstützung des Instituts Vox Populi durchgeführt, sowie durch die Organisationen Ação da Cidadania, ActionAid, Friedrich-Ebert-Stiftung Brasilien, Ibirapitanga, Oxfam Brasil und Sesc São Paulo.
Die Erhebungen wurden zwischen November 2021 und April 2022 auf der Grundlage von Befragungen in 12.745 Haushalten in städtischen und ländlichen Gebieten in 577 Gemeinden in 26 Bundesstaaten und dem Bundesdistrikt erhoben. Die letzte Erhebung aus dem Jahr 2020 zeigte, dass der Hunger in Brasilien wieder auf das Niveau von 2004 zurückgegangen war. Nun liege der Vergleichswert eher bei den 1990er Jahren, so die Forscher:innen. Neben der Pandemie habe der fortgesetzte Abbau sozialstaatlicher Strukturen und öffentlicher Politikmaßnahmen zur Verschärfung der Situation beigetragen. Auch die sich verschlechternde Wirtschaftslage und die Verschärfung der sozialen Ungleichheiten hätten die Situation zustätzlich verschlimmert. "Die Pandemie entsteht vor dem Hintergrund der zunehmenden Armut und des Elends und bringt noch mehr Hilflosigkeit und Leid mit sich. Der eingeschlagene wirtschaftspolitische Weg und der inkonsequente Umgang mit der Pandemie könnten nur zu einer noch skandalöseren Zunahme der sozialen Ungleichheit und des Hungers in unserem Land führen", betont Ana Maria Segall, Forscherin des PENSSAN-Netzwerks.
Der Erhebung zufolge haben in Brasilien im Jahr 2022 nur vier von zehn Haushalten uneingeschränkten Zugang zu Nahrungsmitteln, d. h. sie befinden sich in einem Zustand der Ernährungssicherheit. Die anderen sechs Haushalte werden auf einer Skala eingeteilt, die von denjenigen, die sich Sorgen machen, dass sie in Zukunft keine Lebensmittel mehr haben könnten, bis zu denjenigen reicht, die bereits unter Hunger leiden. Laut der Erhebung gibt es in absoluten Zahlen 125,2 Millionen Brasilianer:innen, die in irgendeiner Weise von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Das ist ein Anstieg von 7,2 Prozent seit 2020 und 60 Prozent im Vergleich zu 2018. Die Untersuchung zeigte den Forscher:innen zufolge auch, dass geographisch der Norden und Nordosten am stärksten betroffen sind und dass es in ländlichen Gebieten bei über 60 Prozent der Haushalte von einem Zustand der Ernährungsunsicherheit zu sprechen sei. Davon lebten 18,6 Prozent der Familien in ernster Ernährungsunsicherheit (Situation des Hungers). Und selbst diejenigen, die Lebensmittel produzieren, also die kleinbäuerlich-familiäre Landwirtschaft, litten untre Hunger: 21,8 Prozent der Haushalte von Familienbauern und Kleinproduzenten sind vom Hunger betroffen, so die Forscher:innen des Rede PENSSAN. Die Forscher:innen wiesen zudem darauf hin, dass der Hunger eine Farbe hat: Denn während die Ernährungsunsicherheit im Landesdurchschnitt bei 46,8 Prozent der Haushalte gegeben ist, in denen sich die Bezugsperson als weiß bezeichnet, steigt sie in Haushalten, in denen sich als PoC-Personen definierende leben, auf 65 Prozent. Im Vergleich zur ersten nationalen Erhebung des PENSSAN-Netzwerks im Jahr 2020 stieg der Anteil der unter Hunger leidenden Haushalte mit PoC-Haushaltsvorständen im Jahr 2021/2022 von 10,4 Prozent auf 18,1 Prozent. In Haushalten, in denen Frauen das Haushaltseinkommen erarbeiteten, stieg der Anteil der Hungernden von 11,2 Prozent auf 19,3 Prozent, bei Männern stieg dieser Wert 2021/2022 von 7,0 Prozent auf 11,9 Prozent. In etwas mehr als einem Jahr habe sich zudem der Hunger in Familien mit Kindern unter 10 Jahren verdoppelt - von 9,4 Prozent im Jahr 2020 auf 18,1 Prozent im Jahr 2022. In 25,7 Prozent der Haushalte mit drei oder mehr Personen unter 18 Jahren in der Familie herrschte Hunger.