"Wir kämpfen für vom Bergbau freie Territorien!"
INFOKASTEN ZUR PERSON: Charles Trocate vom MAM - Movimento Pela Soberania Popular na Mineração, ist seit 1992 in sozialen Bewegungen Brasiliens aktiv, so z.B. viele Jahre bei der Landlosenbewegung MST, und hat seit 2012 die Debatte um Widerstandsformen in vom Bergbau betroffenen Territorien maßgeblich mit voranbetrieben.
Der aktuelle Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, plant, indigene Territorien unter anderem für Bergbau freizugeben. Wie bewerten Sie das?
Was wir hier erleben, ist eine Regierung, die in Werten sehr konservativ ist und sich immer auf das imaginiert Vergangene beruft und gleichzeitig die Daseinsberechtigung vieler gegenwärtiger gesellschaftlicher Ausdrucksformen nicht akzeptieren will und diese sogar unterdrückt. Und hinzu kommt, in Wirtschaftsfragen ist dies eine ultraliberale Regierung. Brasilien übt eine ganz gewisse Rolle im internationalen Weltmarktsystem aus, und zwar die Rolle des Rohstofflieferanten. Und wenn wir von 2016 bis heute – 2019 – schauen, dann hat sich das Machtgefüge verschoben. Einerseits in Arbeitsfragen, wo wir in Brasilien eine massive Flexbilisierung der Arbeitsgesetze erleben mussten. Diese wurde durchgezogen, weil die brasilianische Elite, die Unternehmerschaft weiterhin ihre Gewinne einfahren müssen. Diese Elite steht in direkter Konkurrenz zur internationalen Elite. Um also weiterhin dieselben Gewinnspannen einzufahren, muss dieser Gewinn der lokalen Arbeiterschaft genommen werden. Daher also dieser Angriff auf die von der Arbeiterschaft in den vergangenen einhundert Jahren erkämpften Rechte. Wir hatten dreihundert Jahre eine Sklavenhaltergesellschaft, dann rund einhundert Jahre, in der die Arbeiterklasse etliches erkämpft hat. Und dann kommt ab 2016 diese große Arbeitsrechtsreform, nimmt den Arbeiterinnen und Arbeitern viele Rechte, und die jetzige Regierung Bolsonaro setzt diesen Angriff fort und verschärft ihn sogar noch weiter.
Der andere Bereich, wo sich das Machtgefüge verschoben hat, ist in Bezug auf die Natur. Wir erleben seit dem Putsch 2016 ein Voranschreiten des Angriffs auf die Natur, was durch die Bolsonaro-Regierung noch verstärkt wurde. Diese Regierung versucht, die zivilisatorischen Errungenschaften in Bezug auf die Nutzung der Territorien zu schleifen, um die Gebiete frei zu machen, für Bergbau, für industrielle Landwirtschaft. Die einzigen Gebiete, die bis jetzt noch grundsätzlich verschlossen sind für Landwirtschaft und Bergbau, das sind die traditionellen Territorien der Indigenen sowie die der Quilombolas. Wir erleben gerade den Versuch, die diese Territorien schützenden Rechte zu schleifen, um auch diese Gebiete zu handelbaren Waren zu machen. Dies sind eben die per Verfassung geschützten, historischen Territorien der Indigenas und der Quilombolas.
Dieser Angriff auf die indigenen Territorien geschieht aus folgender Motivlage heraus: Das brasilianische Agrobusiness ist nicht länger nur ein einfacher Nahrungsmittelproduzent. Das brasilianische Agrobusiness ist eine Ideologie. Dadurch hat es eine Machtfülle erreicht, die es vorher nicht in dem Maße hatte. Und mittels dieser Machtfülle fügen sie den indigenen und Quilombola-Territorien vermehrt Niederlagen zu. Dies drückt sich dann in der Folge in einer Ausweitung der industriellen Nutzung dieser Territorien für die Ausbeutung landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe aus.
Was hat das für Folgen für ein Land wie Brasilien?
Der Bergbau in Brasilien stieg von 2002 bis 2012 um 460 Prozent. Dies bedeutete auch, dass der Bergbau in Gebiete vordrang, in den wir zuvor nichts dergleichen hatten. Und so wurde dies dann zu einem landesweit auftretenden Konflikt. Und hinzu kommt, dass wir den seit Jahren anhaltenden Prozess der fortschreitenden Deindustrialisierung unserer Wirtschaft in Betracht ziehen müssen. Es gibt kein entwickeltes, kein unabhängiges Land, das nicht seine eigene Industrie entwickelt hätte. Dazu gehören Autonomie in Technologie, in Wissenschaft, in Forschung und in der Weiterverbreitung dieser Kenntnisse. Brasilien hat sich also auf die Rolle eines reinen Rohstoffproduzenten zurückgezogen, also auf die Ausbeutung landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe. Auf der anderen Seite muss die Elite Brasiliens dieser Bereiche – die der Landwirtschaft und die des Bergbaus – ihre Gewinnspannen einfahren, und dazu setzen sie auf eine zunehmende Industrialisierung ihrer Produktion, also ihrer Rohstoffproduktion. So ist die Waldzerstörung für den Sojaanbau oder die Viehhaltung eine dieser Konsequenzen, die Ausweitung der mineralischen Exploration auf zuvor unberührte Territorien eine weitere Folge davon.
Es werden also die Grenzen verschoben, neue Territorien inwertgesetzt, damit sich das System am Leben erhält?
Was wir erleben, ist eine Verschärfung der Zerstörung der Natur. Da zeigen sich die zerstörerischen Auswüchse der Naturzerstörung, als Folge der Zurverfügungstellung dieser Natur als reine Tauschware. Die kapitalistische Logik äußert sich in Brasilien in einem exponentiellen Maße, was also weit über dem weltweiten Durchschnitt liegt. Unter dem Ziel, sehr viel Geld zu verdienen, werden die Umwelt- und Arbeitsgesetze seitens des Staats zurückgefahren und von den Wirtschaftsakteuren sowieso mehr und mehr missachtet. Und dies bringt uns als Gesellschaft letztlich in eine Situation, in der wir es jedes Mal schwerer haben, die Natur im gesunden Ausgleich zwischen kollektiver und industrieller Nutzung, zwischen Gegenwart und Zukunft zu halten. Eine zerstörerische Vergangenheit und Gegenwart bedeutet in Zukunft, dass die Gesellschaft durch das Agrobusiness mittels der Pestizide vergiftet wird, die Flüsse verseucht und die Territorien in ihrer sich erhaltenden Existenz massiv gefährdet werden. Das ist die Tragödie, und diese Tragödie, die wir erleben, ist Folge dessen, dass man akzeptiert hat, als Teil des Weltmarktes als Rohstofflieferant zu agieren.
Der Kampf gegen Bergbau und für vom Bergbau freie Territorien, den MAM seit Jahren betreibt, verfolgt auch eine direkte Agenda konkreter Vorschläge, dem zerstörerischen Modell von Bergbau etwas Positives entgegenzusetzen...
Wir vertreten als erstes die Position, dass wir dringend die gesellschaftliche Debatte darüber, was Bergbau bedeutet, vorantreiben müssen. Also, wir sagen nicht, gar keinen Bergbau mehr. Aber wir sagen, man kann nicht Bergbau in dieser Geschwindigkeit, wie es derzeit geschieht, betreiben. Weil das läuft auf massive Zerstörung hinaus. Solange also der Bergbau in die Territorien derart eindringt, dass jede andere Lebensform der Gemeinschaften vor Ort zunichte gemacht wird, solange sind wir gegen diesen Bergbau. In diesem Sinne ist unser Kampf zu verstehen, als Kampf für Gebiete frei vom Bergbau. Das heißt, es wird Gebiete geben ohne Bergbau und Gebiete, wo es gewissen Bergbau geben wird, und für diese Gebiete mit einem gewissen Bergbau müssen wir die gesellschaftliche Kontrolle erlangen, damit dort alle Steuern und Abgaben von den Firmen gezahlt werden, dass der Umweltzerstörung dort endlich Einhalt geboten wird und dass es endlich zu einer deutlichen gesellschaftlichen Umverteilung der Gewinne der Bergbaufirmen wie Vale beispielsweise kommen muss. Was wir also aufbauen wollen, sind Alternativen zum Bergbau – und einen alternativen Bergbau. Damit wir dergestalt schrittweise wieder an einen Punkt gelangen, an dem es ein halbwegs erträgliches Gleichgewicht zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Natur geben möge. Denn dieses haben wir im Moment definitiv nicht. Daher kämpfen wir für vom Bergbau freie Territorien, in denen agrarökologischer Landbau betrieben wird, in denen der Tourismus gefördert wird. Es sind solche bereits existenten, kleinen, lokalen Wirtschaftsansätze, die sich letztlich gegen die industrielle Wirtschaft zur Wehr setzen, die aber ihrerseits das lokale Gleichgewicht der Gesellschaft und Wirtschaft erhalten. Der industrielle Bergbau konzentriert den Reichtum in den Händen einiger weniger, zerstört nur und lässt ganze Gemeinden in haltlose Armut stürzen.
Vielen Dank für das Gespräch!
// Interview: Christian Russau