Energie – wofür und für wen?
Er weist darauf hin, dass die brasilianische Bevölkerung trotz niedriger Produktionskosten die fünfthöchsten Energiepreise weltweit zahlt, zwischen R$ 0,30 und R$ 0,63/kWh. Trierveiler gibt Auskunft darüber, wer aus der Energiegewinnung seinen Nutzen zieht und auf welche Weise das geschieht.
IHU: Wer profitiert von der inländischen Stromproduktion?
Trierveiler: 32 % der in Brasilien produzierten elektrischen Energie wird von der elektrointensiven Industrie genutzt. Abgesehen davon, dass diese Unternehmen einen hohen Energieverbrauch haben, schaffen sie kaum Arbeitsplätze, tragen erheblich zur Umweltverschmutzung bei und produzieren fast ausschließlich für den Export (Rohstoffe aus dem Bergbau und Produkte des primären Wirtschaftssektors). Auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und billigen Transportwegen haben sich diese Industrien in Ländern der Peripherie, wie Brasilien, niedergelassen. An dem von den Industrien hervorgebrachten Reichtum verdienen nur sie selbst.
Ein Beispiel ist der bereits fertiggestellte Staudamm des Wasserkraftwerks Barra Grande, am Pelotas-Fluss, dessen Bau R$ 1,3 Mrd kostete. Es gehört den Unternehmen ALCOA, CPFL, Votorantim, Camargo Correa, DME und der Companhia Brasileira do Alumínio (CBA, Brasilianische Aluminiumgesellschaft). Das Wasserkraftwerk wird zu einem Preis von R$ 123,80/MWh (Verkaufspreis auf dem Energiemarkt) jährlich 3,3 Mio MWh produzieren und damit einen jährlichen Gewinn von R$ 412,7 Mio einfahren. Damit sind in etwa drei Jahren die gesamten Baukosten bezahlt. Da eine Konzession von 30 Jahren vergeben wurde, bedeutet das einen Reingewinn für die nachfolgenden 27 Jahre.
IHU: Inwiefern sind die Flussanwohner (Ribeirinhos) von den Wasserkraftwerken betroffen?
Trierveiler: Die Entscheidung über den Bau eines Staudamms wird in den Büros der großen Unternehmen und Wirtschaftsgruppen getroffen, die bestimmen, an welcher Stelle des Flusses technische (und die finanzielle Durchführbarkeit betreffende) Voraussetzungen erfüllt seien, um ein Wasserkraftwerk zu bauen.
Landwirte, Fischer, Grundbesitzer, Minenarbeiter, Bewohner von Quilombos1 und Indigene zog es im Laufe der Geschichte an die Flussufer, wo sie sesshaft wurden. Mit dem Bau von Wasserkraftwerken verlieren diese, wie auch Kleinhändler, Fährleute und kleine Transportunternehmer, die für ihr (Über)leben notwendige enge Verbindung zum Fluss; nämlich ihr Land, ihre Arbeit, ihre Würde und ihr Einkommen.
Bereits vor dem Baubeginn zeigen sich Probleme: es gibt kaum richtige Informationen; Banken verweigern die finanzielle Unterstützung für zukünftig überschwemmte Anbauflächen; Betroffene sind wenig motiviert, den Zustand ihres Landbesitzes zu verbessern, etc. Der Bau zieht neue Krankheiten, Prostitution und eine Zunahme von Gewaltverbrechen, sowie Auseinandersetzungen um die gesundheitliche Versorgung, schulische Ausbildung, Wohnraum und weitere infrastrukturelle Basisbereiche mit sich. Obwohl sich der Bau eines Staudamms auf die gesamte Region auswirkt, wird nur ein kleiner Teil der Bevölkerung als „betroffen“ eingestuft. Lediglich eine direkte Betroffenheit derjenigen Personen, die wegen der Flutung des Gebiets umgesiedelt werden müssen, wird von Seiten der Unternehmen anerkannt. Viele Bewohner des von der Überschwemmung betroffenen Gebiets ziehen in die Städte und tragen dort zu einer Ausweitung der Elendsgebiete bei.
IHU: Und welches sind die Auswirkungen auf das Ökosystem?
Trierveiler: Die Stauseen überschwemmen überaus fruchtbares Land mit einer Vielzahl von Ökosystemen. Ein Großteil der Tier- und Pflanzenwelt auf solchen Böden hat in anderen Regionen keine Überlebenschance. Hinzu kommt, dass die Staudämme sich negativ auf die Wanderrouten vieler Tiere auswirken. Veränderungen der Temperatur und chemischen Zusammensetzung des Wassers haben eine allgemeine Verschlechterung der Wasserqualität zur Folge. In den ersten Jahren nach Bau eines Staudamms führt die Zersetzung der Pflanzen zu einer Abnahme des Sauerstoffgehalts im Wasser, sodass enorme Schäden wie die Abnahme des Fischbestandes, die Vermehrung von Moskitos und Artensterben folgen.
IHU: Wie sieht es mit der Wasserversorgung aus?
Trierveiler: Durch die Staudämme werden Energie- und Wasserressourcen privatisiert. Die Unternehmen bestimmen, was erlaubt ist und was nicht. Die ehemaligen Anwohner auf dem Gebiet des Stausees Acauã in Paraíba wurden vertrieben und in ländliche Elendsgebiete umgesiedelt, in denen es weder für die Landwirtschaft geeignete Flächen, noch eine grundlegende Infrastruktur gibt. Die umgesiedelten Familien treten mit den dort lebenden Tieren in einen Wettstreit um das wenige Trinkwasser. So merkwürdig dieses erscheint, aber Wassermangel ist ein Hauptproblem für die Ribeirinhos. Sprengungen während des Staudammbaus führen zu Fissuren im Felsgestein, welche wiederum Gefälle verschwinden lassen und Wasserquellen austrocknen. In Brasilien wurde insgesamt eine Fläche von 34.000 km² durch Stauseen überschwemmt, ein Großteil davon war fruchtbares Ackerland.
IHU: Wie sehen Sie den Bau von Kraftwerken am Rio Madeira?
Trierveiler: Der Komplex Rio Madeira dient ebenfalls den Interessen großer Industrieunternehmen und Wirtschaftsgruppen. Es wird zum Beispiel geschätzt, dass sich mit dem Bau einer Wasserstraße der Preis für nach China exportierte Soja um 30 US-$ pro Tonne verringern wird, zum Vorteil der großen Sojaproduzenten wie der Familie Maggi2. Und dabei ist vom Bau der Anlage selbst, um den sich große Wirtschaftsgruppen wie die französische Alstom und die deutsche Voith-Siemens reißen, noch nicht einmal die Rede. Es ist offensichtlich, dass dieses Wirtschafts- und Energiemodell das Leben der lokalen Bevölkerung in keiner Weise verbessert, sondern im Gegenteil die bestehende Kluft zwischen Arm und Reich noch erweitern wird.
IHU: Welches ist nach Meinung Ihrer Bewegung die beste Form der Energiegewinnung?
Trierveiler: Es ist wichtig sowohl über die besten Formen der Energiegewinnung, als auch über notwendige Umstrukturierungen in der brasilianischen Gesellschaft zu diskutieren. Brasilien ist sehr reich an Energiequellen, u.a. der Solar-, Wind- und Wasserkraft.
Das schlechteste Modell ist das aktuelle, bei dem sich 80 % der gesamten Elektroenergiegewinnung auf die Hydroelektrik konzentriert. Das heißt, wir haben ein Modell der einseitigen Energiegewinnung. Spezialisten fordern eine Verringerung von Betriebs- und technisch bedingten Verlusten. Nach internationalem Standard liegen die normalen Verlustwerte bei 6 %. In Brasilien sind es 15 %. Eine weitere Alternative ist die Optimierung existierender Kraftwerke, also die Modernisierung und Verbesserung der Ausstattung und der Systeme bereits vorhandener Staudämme.