Neue Waldschutzgebiete werden von Errichtung von Gaspipeline überschattet
Alle Schutzgebiete befinden sich im Bundesstaat Pará im Umfeld der umstrittenen Bundesstraße BR-163. Sie sollen bei der geplanten Asphaltierung der Straße den unkontrollierten Holzeinschlag verhindern. Gleichzeitig wurde die Errichtung einer transkontinentalen Gaspipeline verkündet. Während 1,6 Mio. ha unter Totalschutz kommen, sind in 2,8 Mio. ha Schutzgebiet Holzeinschlag unter strengen ökologischen und sozialen Auflagen erlaubt und in weiteren 2 Mio. ha unter weniger strengen Nachhaltigkeitskriterien. Die Schutzbestimmungen treten ein Jahr nach Unterzeichnung des Dekrets in Kraft.
Die Regierung sieht dies als Teil einer erfolgreichen Umweltpolitik gegen Entwaldung. Der WWF begrüßt die Schutzgebiete als effektiv gegen illegale Landnahme und nachfolgende Entwaldung. Greenpeace sieht seine Forderungen nach mehr Schutzgebieten z.T. erfüllt, mahnt aber gerade angesichts der fortschreitenden Sojafront, zu der die Asphaltierung der Straße beiträgt, zur Ausweisung eines ganzen Walls von Schutzgebieten ("Green Wall"), um die Entwaldung aufhalten zu können. Außerdem erinnerte Greenpeace daran, dass das vor einem Jahr von Lula ausgerufene Schutzgebiet "Verde para sempre", für das sich die ermordete Umweltschützerin Dorothy Stang eingesetzt hatte, bis heute noch nicht eingerichtet wurde.
Die Ausweisung von Schutzgebieten ist an sich begrüßenswert. Wenn aber weiterhin die finanziellen und personellen Mittel zur Kontrolle der Schutzgebiete nicht zur Verfügung gestellt werden, steht der Schutz nur auf dem Papier und kann in der (brasilianischen) Realität nicht garantiert werden. Solange Steuergelder in große Straßenbauprojekte und die Förderung des Sojaexportes statt in die Umweltbehörde IBAMA gesteckt werden, bleiben die Prioritäten der jetzigen Regierung klar, und die Entwaldung wird fortschreiten. Am 19. Januar dieses Jahres haben die Präsidenten Lula da Silva (Brasilien), Nestor Kirchner (Argentinien) und Hugo Chavez (Venezuela) überraschend den Plan zu einer transkontinentalen Gaspipeline verkündet. Die Pipeline soll ca. 10.000 km lang, 20 Mrd. US-$ teuer sein und innerhalb von 5 bis 7 Jahren von einem staatlichen Konsortium gebaut werden. Motor des Plans ist Chavez' Engagement für eine größere Unabhängigkeit Lateinamerikas von den USA. Dabei sollen die Energievorkommen Venezuelas, die nach Chavez' Aussage noch 200 Jahre halten, zur stärkeren Integration des Kontinents dienen und eine Million Arbeitsplätze u.a. in der Eisen-, Stahl- und Baubranche schaffen. Nach ersten Plänen verläuft die Pipeline von Venezuela aus ins Meer, um den Mercosul-Gegner Kolumbien herum nach Nordbrasilien bis nach Manaus, um sich dort zu verzweigen; ein Strang soll nach Nordostbrasilien, der andere über Brasilia und Rio de Janeiro bis nach Argentinien und Uruguay führen. Langfristig sollen weitere südamerikanische Staaten mit einbezogen werden, Gespräche mit Chile und Bolivien werden bereits geführt.
Boliviens neuer Präsident Evo Morales bereitet die Verstaatlichung der zweitgrößten Erdgasvorkommen Südamerikas vor und wäre damit ein wichtiger Partner. Auch in Peru könnte dieses Jahr ein linker indigener Kandidat die Wahl gewinnen und Perus Gasvorräte und Pipelines in das Infrastrukturnetz einbringen. Die Details für das Gaspipeline-Projekt sollen bis Juli erarbeitet werden, der Bau noch dieses Jahr starten.
Umweltschützer wurden von diesem Plan überrascht. Roberto Smeraldi von Friends of the Earth Amazonien hält den Plan für unrealistisch. Um die geltenden brasilianischen Umweltgesetze einhalten zu können, rechnet er mit einem deutlich längeren Genehmigungsverfahren und doppelt so hohen Kosten. Umweltministerium und Umweltamt waren zu keiner Stellungnahme bereit.
Generell sind aber alle Pipelines durch den Amazonas-Regenwald problematisch. Die Pipelines selbst und die zu deren Bau notwendigen Straßen bilden Erschließungsachsen, entlang derer die Entwaldung beschleunigt wird. Indigenen Völkern entlang der geplanten Trassen droht der Verlust ihres Lebensraums, ihrer Kultur und ihrer Gesundheit. Wie Indigene selbst bei angeblich "nachhaltigen" Pipeline-Projekten Schaden nehmen, wurde erst im März in einer Studie zur peruanischen Camisea-Gaspipeline dokumentiert.
Auch wirtschaftlich ist das Projekt umstritten, da Flüssiggastransport per Schiff viel flexibler und auf lange Strecken ökonomischer ist, Bolivien günstigere Möglichkeiten des Gasexports besitzt und Brasilien sowieso seine eigenen Erdgasvorkommen entwickeln will. Andere geplante Großprojekte müssten dann vermutlich ebenfalls zurückstehen. Insgesamt steht zu befürchten, dass dieser planerische Schnellschuss viel politischen und ökologischen Schaden in der Amazonasregion verursachen wird, Umwelt und Mitbestimmung werden vermutlich auf der Strecke bleiben. Bleibt abzuwarten, welche anderen gemeinsame Initiativen die "neue Linke" in Südamerika (bestehend aus Brasilien, Venezuela, Chile, Argentinien, Bolivien und vielleicht Peru) zustande bringen wird. Auf jeden Fall ist die Politik des Kontinents in Bewegung geraten.
Anfang Januar hat der Präsident der Indianerbehörde FUNAI, Mercio Pereira Gomes, in einem Reuters-Interview gesagt, dass die Indigenen Brasiliens zuviel Land besäßen und dass der Oberste Gerichtshof dem endlich Grenzen setzen sollte. Darauf hat sein untergebener Mitarbeiter, der renommierte Indigenen-Kenner und -Lobbyist Sidney Possuelo, seinen Chef öffentlich kritisiert, weil seiner Meinung nach damit in Zeiten von intensiven Landrechtskämpfen den Gegnern von Indigenenreservaten in die Hände gespielt würde. "Das ist genauso, als würde der Umweltminister die Leute zum Baumfällen aufrufen," sagte er. Am 25. Januar wurde er, angeblich wegen Inkompatibilität mit seinen Kollegen, entlassen.
Possuelo war Chef der Abteilung für unkontaktierte Stämme und bekannt für seine gefährlichen Expeditionen zu eben solchen Völkern. Mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet, war er ein vehementer Verteidiger der Indigenenrechte in Brasilien und ein Kritiker der Indigenenpolitik Lulas. Amnesty International und andere Organisationen unterstützen seine Kritik. Ohne ihn in der FUNAI wird der Kampf für Indigenenrechte in Brasilien noch schwieriger.
Laut Beschluss vom letzten Jahr soll das Pilotprogramm PPG7 im Jahr 2008 abgeschlossen und durch das neue, auf 10 Jahre angelegte "Amazonien-Programm" ersetzt werden, das als Teil des staatlichen "Plans für ein nachhaltiges Amazonien" (PAS) verstanden wird. Die erste Phase des neuen Programms bestand darin, Strategien für eine nachhaltige Entwicklung für die Region zu definieren.
Am 13. Februar lud die Regierung deshalb Vertreter von Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu einem dreitägigen Seminar ein, auf dem die Regierung ihre Vorstellungen darlegte. Hauptziele des Programms sollen sein:
1.) Systematischer Naturschutz in Amazonien, 2.) Organisation der Eingriffe und Nutzungen und 3.) Umsetzung der Aktivitäten.
Als übergeordnete Themenkomplexe wurden definiert: 1.) Umweltschutz und -management, 2.) Unterstützung nachhaltiger Produktion, 3.) Partizipation und Bürgerrechte, 4.) Umweltinstrumente für eine Entwicklungsinfrastruktur. Im Unterschied zum PPG7 sollen der private Sektor, Städte und das Thema Energie (Solar, Diesel) mit einbezogen werden. Der Schutz von Nationalparks und Indigenenreservaten sowie die institutionelle Stärkung von Umweltverbänden soll fortgeführt, Aufforstungen und nachhaltige Produktionsbetriebe sollen gefördert werden. Für die Finanzierung des Programms haben Deutschland (27 Mio. US$), Japan und die EU Interesse gezeigt.
Verbände sind besorgt, dass sowohl "Amazonien-Programm" wie v.a. auch das übergeordnete PAS keine konkreten Umsetzungsstrategien enthalten und deshalb wirkungslos bleiben werden. Außerdem ist die Zivilgesellschaft bei der Planung des PAS völlig ausgeschlossen, beim "Amazonien-Programm" trotz Drucks der potentiellen Geldgeber immer noch weniger beteiligt als beim Pilotprogramm. So bleibt weiter zu befürchten, dass das "Amazonien Programm" strukturell wie auch in der realen Umsetzung ein Rückschritt gegenüber dem PPG7 sein wird.
Am 23. Februar legte das "brasilianische Forum der Verbände und sozialen Bewegungen" (FBOMS) einen Plan vor, wie nach ihren Vorstellungen die Entwaldung bekämpft werden könnte. Der Plan umfasst 4 Punkte:
- Berücksichtigung sozialer und ökologischer Nebenwirkungen bei großen Infrastrukturprojekten VOR deren Genehmigung.
Besonders genannt werden die Madeira-Staudämme/Wasserstraße, die Urucu-Porto-Velho-Gas-Pipeline sowie der Ausbau verschiedener Bundesstraßen. - Größere Kreditvergaben im ländlichen Raum nur gegen Bescheinigung der ökologischen Unbedenklichkeit und Legalität.
- Nutzung degradierter, entwaldeter Flächen.
- Effizientere Bestrafung von Umweltverbrechen, u.a. durch Kautionen für Projekte und eine gestärkte IBAMA.
Es fällt auf, dass hier nicht von Schutzgebieten und wenig von neuen Gesetzen geredet wird. FBOMS versucht, den wirtschaftlichen Motor der Entwaldung unter Kontrolle zu bringen, und zwar dort, wo der Staat schon heute eingreifen kann, nämlich bei seinen eigenen Großprojekten, bei Kreditvergabe, Flächennutzung und bei der Durchsetzung seiner Gesetze. Indem es einige Ursachen der Entwaldung bekämpft, scheint es sinnvoller als die Ausweisung von Schutzgebieten, die nur auf dem Papier existieren. Das Thema Landreform wurde bei den Vorschlägen allerdings ausgeklammert.
Nach einem langem Weg durch die Institutionen wurde am 2. März das neue Forstgesetz von Präsident Lula unterschrieben. Es soll illegalen Holzeinschlag und Entwaldung bekämpfen, indem der Staat unter Auflagen Nutzungslizenzen über 5 bis 40 Jahre vergibt, und zwar auf 13 Mio. ha, rund 3% der Fläche Amazoniens in den nächsten 10 Jahren. Holzfirmen müssen sich zu nachhaltiger Waldnutzung verpflichten und dürfen auf einer fußballfeldgroßen Fläche (2/3 ha) maximal 6 große Bäume in 10 Jahren fällen. Für die Durchführung wurden der Brasilianische Forstdienst (Lizenzvergabe und Kontrolle) und der Nationale Forstentwicklungsfonds gegründet (also eine Bundesverwaltung, während vorher der Forstdienst bundesstaatl. Organisiert war). 20% der Lizenzgebühren geht an den Forstdienst, 30% an die Regierung, 30% an die lokale Verwaltung und die restlichen 20% in den Forstentwicklungsfonds. Das Gesetz wird von den Umweltverbänden unterschiedlich beurteilt. Greenpeace begrüßt das Gesetz als wichtigen Schritt zur Bekämpfung von illegalem Holzeinschlag und Landnahmen. Greenpeace ist sich aber wie die Gesetzesgegner darüber im Klaren, dass der Erfolg dieses Gesetzes mit der Effizienz der Kontrollen steht oder fällt. Kritiker des Gesetzes wie Friends of the Earth halten die alle 5 Jahre vorgesehenen Kontrollen für unzureichend und die Behörde für zu klein angesichts des riesigen Amazonasgebietes. Lizenzvergaben hätten noch in keinem tropischen Land die Entwaldung aufgehalten. Diese "Privatisierung" des Waldes werde nur kurzzeitig etwas Geld in die Staatskassen bringen, der Staat werde sich aus der Verantwortung stehlen, während der illegale Holzeinschlag auch aus wirtschaftlichen Gründen ungebremst weitergehen werde. Das Lizenzsystem könne insbesondere die Abholzung der wenigen, weiträumig verteilten Edelholzbaumarten nicht stoppen.
Auch KoBra sieht dieses Gesetz kritisch:
Die brasilianische Regierung hat seit Regierungsantritt schon viele "entscheidende Schritte gegen die Entwaldung" angekündigt. Bis auf die Großrazzia letztes Jahr in Mato Grosso haben sich alle als wenig erfolgreich erwiesen. Immer blieben die Maßnahmen hinter den blumigen Worten zurück. Während neue Großprojekte wie die Trans-Amazonas-Pipeline angekündigt werden, steht dem Umweltschutz immer weniger Geld zur Verfügung. Schon die Umweltbehörde IBAMA kann mit ihrem gekürzten Budget das Amazonasgebiet nicht ausreichend kontrollieren. Ob es einer neuen Behörde wie dem Forstdienst gelingt, bleibt mehr als fraglich.