Schwerer Schlag für Sojaeisenbahnpläne Ferrogrão in der Tapajós-Region

Die Reduzierung des Gebietes des Jamanxim-Nationalparks in Pará, um den Bau der Eisenbahnlinie Ferrogrão zum Transport von Soja aus vor allem Mato Grosso an die Überseehäfen am Amazonas zu ermöglichen, per einfacher Präsidialverordnung war nicht gesetzmässig. Oberster Richter Alexandre de Moraes argumentiert dabei mit "Wirksamkeit des Grundrechts auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt". Oberster Procurador der Republik, Augusto Aras, widerspricht und sieht "Ökologie und Ökonomie in Harmonie" bei dem Monsterprojekt, das schwere Auswirkungen auf indigene Völker in der Tapajós-Region hätte.
| von Christian.russau@fdcl.org
Schwerer Schlag für Sojaeisenbahnpläne Ferrogrão in der Tapajós-Region
Munduruku erläutern der damaligen UN-Sonerberichterstatterin für indigene Rechte, Victoria Tauli-Corpuz, die Bedeutung ihrer Territorien. Foto: christianrussau

Es ist ein schwerer Schlag für alle Befürworter:innen des Ferrogrão-Eisenbahntrassenprojektes in der Tapajós-Region. Der Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) setzte die Wirksamkeit des Gesetzes 13.452/2017 vorläufig aus, das aus der Provisorischen Maßnahme (MP) 758/2016, einer Präsidialverodrnung des damaligen Präsidenten Michel Temer aus dem Jahre 2016, hervorgegangen war und das die Grenzen des 2006 eingerichteten Nationalparkes Jamanxim in Pará um 862 Hektar einfach reduzierte. Diese geographische Reduzierung erfolgte, um im Nationalpark eine diesen durchschneidene Trasse zu ermöglichen, entlang derer dann die neue Eisenbahnlinie Ferrogrão gebaut werden sollte. Der Richter de Moraes wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Gebietsänderung in einem Naturschutzgebiet höchster Kategorie nicht durch eine einfache vorläufige Maßnahme hätte vorgenommen werden können. Dazu hätte es, laut de Moraes, eines Gesetzes bedurft, eine einfache Präsidialverordnung im Form einer Medida Provisória reiche dazu nicht aus. Damit folgte der Oberste Richter einer Beschwerde der Partei für Sozialismus und Frieden, PSOL.

Richter de Moraes argumentierte in seiner Urteilsverkündung mit den irreversiblen Schäden an der Natur, die sich unwiderbringlich einstellen würden, sollte die Reduzierung des Naturschutzgebietes Jamanxim weiterhin Gültigkeit haben und die Planungen für die Baumaßnahmen für die Eisenbahntrasse Ferrogrão vor Ort beginnen. Richter Alexandre de Moraes erklärte zudem, dass nach der Bundesverfassung die Umwelt ein gemeinsames Gut des Volkes sei und alle legislativen, administrativen und gerichtlichen Mittel, die für deren effektiven Schutz notwendig seien, eingesetzt werden müssten. Richter Alexandre de Moraes erklärte wörtlich: "Bekanntlich wurde der Umwelt in ihrer Gesamtheit vom Gesetzgeber besondere Aufmerksamkeit geschenkt, der der öffentlichen Gewalt und der Gemeinschaft die Pflicht auferlegt, die Umwelt für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu schützen und zu erhalten (Art. 225, caput der Bundesverfassung). In der Tat hat die Bundesverfassung von 1988 der öffentlichen Hand als Verpflichtung auferlegt, die Verteidigung, den Erhalt und die Gewährleistung der Wirksamkeit des Grundrechts auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt [zu garantieren, da die Umwelt und Natur] ein Gut zur gemeinsamen Nutzung durch das Volk und wesentlich für eine gesunde Lebensqualität" seien, so Richter de Moraes. Die Umwelt solle daher, so Richter de Moraes, als gemeinsames Erbe der gesamten Menschheit betrachtet werden, um deren vollen Schutz zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf die zukünftigen Generationen.

Damit hat der Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) ein in der Tat starkes Signal für den Erhalt der Umwelt in Brasilien gesetzt, auch wenn der Fall nun an das Plenum des Obersten Gerichtshofes geht, wo noch unklar ist, wie sich die Mehrheit der Richter:innen entscheiden wird. Brasiliens Oberster Procurador da República, der Chefankläger der Republik, Augusto Aras, jedenfalls forderte den Obersten Gerichtshof umgehend auf, der Entscheidung von Richter de Moraes nicht zu folgen. "Die Verkleinerung von 0,054% des Jamanxim-Nationalparks, um Studien für die Installation einer Eisenbahnlinie zum Transport von Getreide (Ferrogrão - EF 170) zu ermöglichen, entspricht dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung als Faktor des Gleichgewichts zwischen Ökonomie und Ökologie", so Aras in Bezug auf die Ende 2016 von Präsident Temer erlassene Präsidialverordnung zur Reduzierung des Gebietes des Jamanxim-Nationalparkes. Der Kampf um Ferrogrão geht also weiter, aber er ist auch Teil eines größeren gesellschaftlichen Disputs in Brasilien um Narrative, welchen Stellenwert nehmen Umwelt und Natur und Rechte ein im Gegensatz zu Ökonomie und Entwicklung.

Nicht Teil von Richter Alexandre de Morais juristischer Argumentation waren die Fragen nach der Verletzung indigener Rechte durch den geplanten Bau von Ferrogrão. Die indigenen Munduruku beispielsweise setzen sich vehement gegen die Eisanbahntrassenpläne von Ferrogrão zur Wehr. Auch die Bundesstaatsanwaltschaft hat im Oktober 2020 den Stopp des Ausschreibungsverfahrens für die geplante Bahnlinie Ferrogrão gefordert. Die zum Transport von vor allem Soja aus der Boomregion Sinop im Bundesstaat Mato Grosso an die Flusshäfen im Bundesstaat Pará vorgesehene Bahnlinie würde nach Erkenntnissen der Bundesstaatsanwaltschaft 48 von der Verfassung geschützte indigene Territorien durchschneiden und somit die verbrieften Rechte der Indigenen verletzen. Gemäß der bei der Bundesstaatsanwaltschaft eingereichten Anzeige gegen die das Projekt vorantreibende Bundesregierung, weigere sich die Regierung und die Behörden, Konsultationen mit den betroffenen Völkern durchzuführen, selbst nachdem sie sich verpflichtet habe, das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation gemäß dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu respektieren. Die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft war eingereicht worden im Namen des Instituto Socioambiental (ISA), der Iakiô-Vereinigung, des Volkes der Panará, der Xingu-Vereinigung für indigenes Land (Atix), des Raoni-Instituts, des Volkes der Kayapó, und des Kabu-Instituts sowie im Namen des indigenen Volkes der Kayapó Mekragnotireo. Über diese von der Bundesstaatsanwaltschaft beim brasilianischen Bundesrechnungshof TCU eingereichte Klage wurde bisher noch nicht verhandelt.

Das Ferrogrão-Bahnlinienprojekt ist seit Jahren eines der Lieblingsinfrastrukturprojekte von Brasília als auch der Soja-Farmer:innen in Mato Grosso. Für die derzeitige Boomregion beim Soja – dem zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso – gibt es seit der Regierung von Dilma Rousseff Pläne für weitere Straßen-, Wasserstraßen- und Bahnbauprojekte. In der Vergangenheit wurde das Soja meist per LKW an die Verladeterminals der Häfen im Südosten des Landes, Santos und Paranaguá, geliefert. Als die Autobahn BR-163 auch gen Norden, Richtung Miritituba und Santarém, asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke, im Durchschnitt eine Ersparnis von zwei Tagen. Als dritten LKW-Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren.

Für die Soja-Farmer:innen sind die Logistikkosten die entscheidende Stellschraube zur verstärkten Eroberung des Weltmarkts für brasilianisches Soja. 2014 betrug der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos 150 US-Dollar pro Tonne, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer:innen des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen läge, so ein damaliger Bericht bei "Bloomberg".

Doch diese Straßen erhöhen erwiesenermaßen den Druck auf die Waldflächen in Amazonien. Márcio Santilli vom Instituto Socioambiental (ISA) sprach bereits 2017 angesichts dieses Amazonien durchziehenden Straßennetzes von dem "zerhackten Amazonien": Diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80 Prozent aller Rodungen in Amazonien erfolgen Erhebungen zufolge entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen.

Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer:innen die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten auf der BR-163 gen Südosten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand bei LKW und Fahrer:in verursache. Die BR-163 gen Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg nach Westen über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Nach Vorstellungen von Politik und Soja-Farmer:innen sollen es Wasserstraßen und Bahntrassen richten.

Infolge der Asphaltierung der Bundesstraße BR-163 gen Norden sind die Frachtkosten bereits um 34 Prozent je Tonne Soja gesunken. Bei den geplanten schiffbaren Wasserstraßen an den Flüssen Tapajós, Teles Pires und Juruena werden zukünftig gar Kostenersparnisse von weiteren 41 Prozent je Tonne Soja erhofft, was den Druck auf Landflächen in der Region noch weiter erhöhen wird. Auch gegen diese Laufen die Flussanwohner:innen, indigene Völker und andere traditionelle Gemeinschaften Sturm gegen diesen geplanten Bau von "Wasserautobahnen", die "Entwicklung" bringen sollen, aber meist Zerstörung von Umwelt und Lebenswelt der betroffenen lokalen Anwohner:innen der amazonischen Flüsse bedeutet.

Weitere Pläne sehen also den Bau von Bahntrassen vor. Und hier kommt Ferrogrão ins Spiel. „Ferrogrão“ heißt einer der geplanten Süd-Nord-Bahnkorridore von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planer:innen zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein.

Egal, ob Straße, Wasserstraße oder Bahn: Im Zuge solches Infrastrukturausbaus würden dann auch die Soja-Terminals massiv ausgebaut werden, so Politik und Farmer:innenlobby unisono: So sollen die Soja-Terminals von Santarém von 1,8 auf 8 Millionen Tonnen im Jahr, die von Porto Velho von 4 auf 7 Millionen Tonnen im Jahr und Miritituba von 3,5 auf 32 Millionen Tonnen bis Mitte der 2020er Jahre fast verzehnfacht werden. Ein Alptraum für die Savannenlandschaft des Cerrado und Amazonien sowie dessen Bewohner:innen.

All dieser Ausbau der Infrastruktur "zerhackt" Amazonien, erhöht den Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen.
// christian russau