Quilombola-Territorium in Maranhão droht Zwangsversteigerung. Ex-Bürgermeister hat zuvor mutmaßlich den Landtitel für sich gefälscht
In Brasilien gibt es laut Erhebungen des landesweiten Koordinierungsnetzwerks der Quilombolas CONAQ 6.300 Quilombola-Gemeinschaften in 24 der brasilianischen Bundesstaaten. In diesen Quilombola-Gemeinschaften leben 16 Millionen Menschen. 34 Jahre nach dem Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung von 1988 sind noch immer 1.816 Legalisierungsverfahren für Quilombola-Gebiete auf Bundesebene anhängig. Die Nichtregierungsorganisation Terra de Direitos errechnete bereits 2019, dass die Umsetzung der per Verfassung vorgeschriebenen Landtitulierung aller Quilombola-Gebiete an die 1.000 Jahre dauern würde, wenn es in diesem Tempo weitergehe. Und unter der Regierung Bolsonaro sank die Zahl der Landtitulierungen bei Quilombola-Territorien auf nur vier Anerkennungen auf Bundesebene. Nun zeigt ein Fall im Bundesstaat Maranhão, wie ein noch nicht abschliessend tituliertes Quilombola-Gebiet, auf dem die Quilombola-Gemeinschaft seit dem Jahre 1880 lebt, Gefahr läuft, dieses Gebiet zu verlieren: der vormalige Bürgermeister einer nahe gelgenen Stadt hatte auf bislang unbekannten Wegen das Gebiet der Quilombolas als sein Privateigentum deklarieren lassen, dann meldete er Privatinsolvenz an und zur Begleichung seiner Schulden in Höhe von 153.000 Reais soll nun das von ihm als sein deklarierte Stück Land in der Größe von 191 Hektar, das Erhebungen des Internetportals UOL nahezu deckungsgleich zu dem 200 Hektar großen Quilombola-Gebiet ist, zwangsversteigert werden.
Das Gebiet, in dem die Quilombola-Gemeinschaft Mundico in der Gemeinde Santa Helena im Bundesstaat Maranhão lebt, soll vom Landesgerichtshof zwangsversteigert werden, um die Schulden eines Lokalpolitikers zu begleichen, dem es gelungen ist, das Gebiet als sein Eigentum zu registrieren. So berichtet es das brasilianische Internetportal UOL. Das Land, auf dem 96 Quilombola-Familien leben, ist dem Pressebericht bei UO zufolge seit 1880 von Quilombolas besetzt. Damals wurde dort das Quilombo Mundico gegründet, und seither leben dort deren Nachkommen. Die Gemeinschaft ist laut UOL von der für die Anerkennung der Quilombos zuständigen Staatsstiftung Fundação Cultural Palmares zertifiziert und steht auf der Liste der Gemeinschaften, deren Herkunft und Standort als Quilombo bestätigt ist und somit die Vergabe von Landtiteln möglich sei. Doch die Gemeinschaft von Mundico wartet seit 2013 darauf, dass die für die Landtitelübertragung zuständige Behörde Incra (Nationales Institut für Kolonisierung und Agrarreform) den Prozess zur Legalisierung des Landbesitzes in dem Gebiet vorantreibt. Die Incra erklärte auf Anfrage von UOL, dass die Legalisierungsprozesse der Quilombola-Gebiete "den in der geltenden Gesetzgebung festgelegten Kriterien entsprechen, die von der Incra streng befolgt werden". Die Behörde nannte demnach jedoch keinen Zeitrahmen, in dem der Anerkennungsprozess der Gemeinde vorangetrieben werde. Die Fundação Palmares hat auf die Anfrage von UOL nicht reagiert.
Die Justiz scheint aber nun davon auszugehen, dass das Gelände Luiz Henrique Diniz Fonseca gehört, dem ehemaligen Bürgermeister von Porto Rico. UOL war es deren Pressebericht zufolge nicht möglich zu verifizieren, wann oder wie der vormalige Politiker das Gebiet als seines registriert hat, eigentlich sollte dies bei einem im Prozess der Landtitulierung als Quilombo legalerweise nicht möglich sein. Nun aber scheint die Landesjustiz den Landtitel des Lokalpolitikers anerkennen zu wollen, denn der Versteigerungstermin wurde anberaumt. Der Politiker Diniz Fonseca hat dem UOL-Bericht zufolge eine Schuld in Höhe von von 153.000 Reais an einen Geschäftsmann aus São Luís zu begleichen. Das Verfahren läuft vor dem 4. Sonderzivilgericht der Landeshauptstadt, das die Fläche beschlagnahmt und ihre Versteigerung angeordnet hat, um die Schulden zu begleichen.
Das Mindestgebot beträgt 158.000 Reais. Findet sich bei der ersten Zwangsversteigerung kein Käufer, wird sieben Tage später eine zweite Auktion mit einem Mindestgebot von 79.000 Reais angesetzt. Ursprünglich war die erste Auktion für den 5. Mai angesetzt, aber die Zwangsversteigerung wurde verschoben, weil das Auktionshaus keine Informationen aus den Vorladungen der Gläubiger erhalten hatte.
Die Nachricht, dass die Ländereien auf den Namen des Politikers eingetragen sind, hat die Quilombolas völlig unvorbereitet getroffen, die laut dem Pressebericht des Portals UOL befürchten, dass sie vertrieben werden. "Man weiß, dass man vertrieben wird und nirgendwo hin kann", sagt Raimundo Ribeiro. Der Quilombola Paulo Gonçalo berichtet gegenüber UOL, dass er in seinem ganzen Leben noch nie gehört habe, dass das Land, auf dem sich der Quilombo befindet, einen anderen Besitzer haben würde. Er berichtet, dass seine Vorfahren dort gelebt haben. "Ich bin hier geboren, aufgewachsen und habe meine Familie hier großgezogen. Ich hatte schon von einem Mann gehört, der ein Gebiet in der Nähe eingezäunt hatte, damit sein Vieh nicht weiterziehen konnte, aber es wurde nie erwähnt, wem das Land gehörte, weil wir schon immer dort waren", erklärt er.
Nach Angaben des Rechtsanwalts Rafael Silva, Rechtsberater der Landpastoral CPT in Maranhão und Vertreter der betroffenen Quilombola-Familien, wird die Gemeinde juristisch gegen die anberaumte Zwangsversteigerung vorgehen und der Justiz belegen, dass die Ländereien einen Eigentümer haben und nicht versteigert werden können. Nach Angaben von Rafael Silva legte der ehemalige Bürgermeister einen notariell beurkundeten Immobilientitel vor, um nachzuweisen, dass er Eigentümer des Gebiets sei. "Wir sammeln Informationen [darüber, wie er es bekommen hat], aber es gibt keine spezifischen Koordinaten, die den genauen Standort des Gebiets angeben. Es ist ein Dokument, das leicht für Landraub verwendet werden kann", sagt er. Um vor Gericht zu beweisen, dass das Grundstück seit über einem Jahrhundert einen rechtmässigen Eigentümer - und zwar die Quilombo-Gemeinschaft von Mundico - hat, wird der Anwalt historische Dokumente und eine Bescheinigung der Stiftung Palmares vorlegen. "Es ist eine Gemeinschaft, die das Recht auf eine Legalisierung der Quilombola-Titel hat, wie es in der Gesetzgebung vorgesehen ist. Sie haben das Recht auf den endgültigen Besitz dieses Gebiets".