Pestizidverbrauch in Brasilien weiter in alarmierend hohem Maße am Steigen

Neuesten Erhebungen der brasilianischen Wissenschaftlerin Larissa Mies Bombardi zufolge steigt der Pestizidverbrauch in Brasilien weiter in alarmierend hohen Schritten an. Während weltweit der Verbrauch von Agrargiften im Durchschnitt um 30 Prozent anstiege, so verzeichnete Brasilien einen Anstieg um satte 78 Prozent. Dies stellte die Universitätsprofessorin der USP, die seit dem Jahr 2021 in Brüssel in selbstgewähltem Exil mit ihrer Familie lebt, da sie in Brasilien durch mutmaßliche Bolsonaristas bedroht wurde, auf einer Veranstaltung anlässlich der Vorstellung ihrer neuen Publikation über den zunehmenden Einsatz von Pestiziden in São Paulo klar.
| von Christian.russau@fdcl.org
Pestizidverbrauch in Brasilien weiter in alarmierend hohem Maße am Steigen
Foto: Christian Russau

Die Professorin und Forscherin Larissa Mies Bombardi wies darauf hin, dass die Europäische Union bereits 269 Pestizide verboten habe, während im Rest der Welt noch nicht einmal 100 verboten sind. In Brasilien sei die Situation noch schlimmer, fügte Larissa Bombardi hinzu. "Die Daten aus Brasilien sind noch alarmierender, denn während der Verkauf von Pestiziden in den letzten zehn Jahren weltweit um 30 Prozent gestiegen ist, hat er in Brasilien im gleichen Zeitraum um 78 Prozent zugenommen", sagte die Professorin. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt für Arbeit Pedro Luiz Serafim da Silva, Koordinator des Nationalen Forums zur Bekämpfung der Auswirkungen von Pestiziden und Transgenen, der ebenfalls auf dem Podium der veranstaltung teilnahm, wies in seinem Beitrag, so das Medienportal Rede Brasil Atual, darauf hin, dass die Arbeiter:innen an allen Prozessen in der Produktionskette beteiligt sind. Dazu gehörten Herstellung, Transport, Anwendung und Verbrauch. "Dies ist ein sehr ernstes Problem, das zu einer enormen Verschmutzung führt, auch des Wassers. Und wir alle trinken Wasser, das mit Pestiziden verseucht ist."

Letzteres wurde unlängst durch eine höchstaktuelle und ebenfalls sehr alarmierende Studie der Investigativjournalist:innen von Repórter Brasil bestätigt. Die Journalist:innen hatten anhand eines intensiven Datenabgleich des brasilianischen Gesundheitsministeriums der öffentlich zugänglicher Daten der verschiedenen dem Gesundheitsministerium unterstehenden Institutionen und Behörden im Wasser von 210 brasilianischen Gemeinden wie beispielsweise Campina, Fortaleza und São Paulo eine Mischung aus 27 verschiedenen Arten von Pestiziden nachgewiesen. Der von den Journalist:innen vorgenommene Datenabgleich stützte sich dabei auf Informationen des Informationssystems des Gesundheitsministeriums zur Überwachung der Wasserqualität (SISAGUA).

Die Datenbasis der Erhebung ist laut Repórter Brasil das Jahr 2022. Repórter Brasil fand heraus, dass bei den meisten Tests zwar nur eine Konzentration festgestellt wurde, die unterhalb der vom Gesundheitsministerium für jede einzelne Substanz als unbedenklich angesehenen Grenze läge. Demnach würde, so Repórter Brasil, das "bloße Vorhandensein der einzelnen Pestizide in einer Probe nicht unbedingt zu gesundheitlichen Problemen führen". Jedoch sei anzumerken, so Repórter Brasil, dass die brasilianischen Vorschriften nicht die Risiken von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten von Pestiziden berücksichtigten. Gerade die Vermischung von Substanzen beunruhige Fachleute, da die Befürchtung bestehe, dass es zu dem sogenannten "Cocktaileffekt" kommen könnte, was noch unbekannte Folgen für den menschlichen Körper haben kann, wenn mehrere verschiedenen Substanzen eine noch nicht wissenschaftliche analysierte Wechselwirkung, die sich gegebenenfalls noch chemisch verstärkend auswirken könnte, entwickeln würde.

Indessen berichtete der britische Guardian gestern, dass aus durchgesickerten Dokumenten hervorgehe, dass die EU ihr Versprechen offensichtlich aufgegeben habe, alle giftigen Chemikalien, die in alltäglichen Konsumgütern verwendet werden, mit Ausnahme der wichtigsten, zu verbieten. Weitere eigentlich geplante Rechtsvorschriften, die ebenfalls fallen gelassen werden, umfassten dem Guardianbericht zufolge das Verbot der Ausfuhr verbotener Chemikalien aus Europa in den Rest der Welt, das Verbot der Käfighaltung und ein Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme, den die Europäische Kommission einst als "Aushängeschild" ihrer Strategie "vom Erzeuger zum Verbraucher" bezeichnet hatte, so berichtet es der Guardian. Der Guardian beruft sich dabei eine der Zeitung zugespielte Kopie des Arbeitsprogramms der EU-Kommission für das Jahr 2024, die der Guardian einsehen konnte und die am heutigen Dienstag bekannt gegeben werden soll.

Indessen warten Pestizidkritiker:innen in Deutschlad noch immer auf das eigentlich im Koalitionsvertrag vorgesehene und vom bundesdeutschen Landwirtschaftsministerium im Mai angekündigte "Exportverbot für gesundheitsschädliche Pflanzenschutzmittel", die in Deutschland verboten sind und von daher auch nicht ins Ausland exportiert werden dürften. Die zivilgesellschaftliche Kritik an dem Vorhaben sieht zwar, dass der bisherige Vorschläg, nur gesundheitsschädliche, aber nicht alle für Mensch, Fauna und Umwelt toxischen Stoffe zu verbieten und dass er nur Pestizidprodukte aber eben nicht eine für den Export zu bannende Wirkstoffliste umfasst, fordert aber dennoch die Umsetzung des geplanten Exportverbots für gesundheitsschädliches Pflanzengift, da dies zumindest einen ersten Schritt darstellen würde. Doch die Ressortabstimmung innerhalb der Ampel-Koalition stockt noch immer, laut Medienberichten läge dies vor allem an der nach wie vor hartnäckigen Weigerung der FDP.

// Christian Russau