Neue Kampagne gegen Staudämme und Wasserstraßen am Fluss Teles Pires

Indigene, Flussanwohnende und soziale Bewegungen vom Teles Pires-Fluss, einem der beiden großen Zuläufe des Tapajós-Flusses, starten Kampagne gegen Wasserstraßenausbau - gedacht für den vermehrten Soja- und Mineralientransport - sowie gegen Wasserkraftstaudämme.
| von Christian.russau@fdcl.org
Neue Kampagne gegen Staudämme und Wasserstraßen am Fluss Teles Pires
Kampagnenwebseite telespiresresiste.info

Soziale Bewegungen, indigene Völker und Flussanwohnende haben sich zusammengeschlossen und eine neue Kampagne zur Rettung des Flusses Teles Pires, des größten durch Wasserkraftwerke privatisierten Wasserlaufs im Amazonasgebiet, gestartet. Die Website telespiresresiste.info sammelt Anklagen gegen die von den Unternehmen begangenen Verstöße und stärkt den Kampf für die Rechte der betroffenen Menschen.

Die Hauptleidtragenden dieser großen Infrastrukturprojekte sind die im Einzugsgebiet des Flusses Teles Pires lebenden Flussanwohnenden, indigene Völker wie die Kayabi, Munduruku und Apiaká, die Siedler:innen der Agrarreform, die Fischer und die städtische Bevölkerung von mehr als 10 Amazonasstädten, die vom Fluss abhängen, so informiert die Kampagnenwebseite. Gegenwärtig sind vier große Wasserkraftwerke - Sinop, Colider, Teles Pires und São Manuel - am Teles Pires im Betrieb beziehungsweise kurz vor kommerzieller Inbetriebnahme. Die drei ersten Staudämme - Sinop, Colider, Teles Pires - beeinträchtigen laut Ansicht der Kampagnenseite die Lebenswelten der Menschen in den Großräumen der Städte Sinop, Cláudia, Colíder, Alta Floresta, Paranaíta, Sorriso, Ipiranga, Itaúba und Nova Canãa do Norte, alle im Bundesstaat Mato Grosso gelegen, ebenso wie der Staudamm São Manoel, der an der Landesgrenze von Pará und Mato Grosso in den Munizipien von Jacareacanga (Pará) und Paranaíta (Mato Grosso) liegt.

Zudem plant Brasília den Ausbau des Teles Pires-Fluss zu einem durchgehenden Wasserstraßenprojekt, um Soja und Mineralien aus dem Bundesstaat Mato Grosso leichter und damit kostengünstiger an die Amazonashäfen zu transportieren. Die Kampagnenwebseite telespiresresiste.info geht davon aus, dass von diesen Projekten schätzungsweise eine Million Menschen direkt betroffen sein werde.

Die Organisationen legen auch dar, wer von der Initiative profitiert: Die milliardenschweren Gewinne aus der Privatisierung des Flusses gehen an Unternehmen in sieben Ländern, weit entfernt von der betroffenen Region, die als die am stärksten gefährdete im Amazonasgebiet gilt, zwischen den Bundesstaaten Mato Grosso und Para. "Unter den Anteilseignern der Konsortien, die die Kraftwerke und die mit den Staudämmen am Teles Pires erzielten Gewinne kontrollieren, befinden sich internationale Investmentfonds, private Investor:innen, Banken, Pensionsfonds und staatliche Unternehmen aus Ländern wie Frankreich, Norwegen, Portugal, Spanien, China, den Vereinigten Staaten und Katar", heißt es auf der Website. Laut der Kampagnenwebseite sind weitere 29 Großstaudämme sowie bis zu 80 kleinere Wasserkraftwerke im gesamten Tapajós-Einzugsgebiet geplant.

Eine weitere Bedrohung der Region sehen die Macher:innen der Kampagnenwebseite in dem Plan, parallel zum Teles Pires und Tapajós eine neue Eisenbahnlinie zum Transprt agrarischer und mineralischer Güter zu bauen: Das Ferrogrão-Bahnlinienprojekt ist seit Jahren eines der Lieblingsinfrastrukturprojekte von Brasília als auch der Soja-Farmer:innen in Mato Grosso. Für die derzeitige Boomregion beim Soja – dem zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso – gibt es seit der Regierung von Dilma Rousseff Pläne für weitere Straßen-, Wasserstraßen- und Bahnbauprojekte. In der Vergangenheit wurde das Soja per LKW an die Verladeterminals der Häfen im Südosten des Landes, Santos und Paranaguá, geliefert. Als die Autobahn BR-163 auch gen Norden, Richtung Miritituba und Santarém, asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke, im Durchschnitt eine Ersparnis von zwei Tagen. Als dritten LKW-Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren.

Für die Soja-Farmer:innen sind die Logistikkosten die entscheidende Stellschraube zur verstärkten Eroberung des Weltmarkts für brasilianisches Soja. 2014 betrug der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos 150 US-Dollar pro Tonne, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer:innen des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen läge, so ein damaliger Bericht bei „Bloomberg“.

Doch diese Straßen erhöhen erwiesenermaßen den Druck auf die Waldflächen in Amazonien. Márcio Santilli vom Instituto Socioambiental (ISA) sprach bereits 2017 angesichts dieses Amazonien durchziehenden Straßennetzes von dem „zerhackten Amazonien“: Diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80 Prozent aller Rodungen in Amazonien erfolgen Erhebungen zufolge entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen.

Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer:innen die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand bei LKW und Fahrer:in verursache. Die BR-163 gen Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg nach Westen über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Nach Vorstellungen von Politik und Soja-Farmer:innen sollen es Wasserstraßen und Bahntrassen richten.

Infolge der Asphaltierung der Bundesstraße BR-163 gen Norden sind die Frachtkosten bereits um 34 Prozent je Tonne Soja gesunken. Bei den geplanten schiffbaren Wasserstraßen an den Flüssen Tapajós, Teles Pires und Juruena werden zukünftig gar Kostenersparnisse von weiteren 41 Prozent je Tonne Soja erhofft, was den Druck auf Landflächen in der Region noch weiter erhöhen wird.

Weitere Pläne sehen eben den Bau von Bahntrassen vor. Und hier kommt Ferrogrão ins Spiel. „Ferrogrão“ heißt einer der geplanten Süd-Nord-Bahnkorridore von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planern zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein.

Egal, ob Straße, Wasserstraße oder Bahn: Im Zuge solches Infrastrukturausbaus würden dann auch die Soja-Terminals massiv ausgebaut werden, so Politik und Farmer:innenlobby unisono: So sollen die Soja-Terminals von Santarém von 1,8 auf 8 Millionen Tonnen im Jahr, die von Porto Velho von 4 auf 7 Millionen Tonnen im Jahr und Miritituba von 3,5 auf 32 Millionen Tonnen bis Mitte der 2020er Jahre fast verzehnfacht werden. Ein Alptraum für die Savannenlandschaft des Cerrado und Amazonien sowie dessen Bewohner:innen.

All dieser Ausbau der Infrastruktur „zerhackt“ Amazonien, erhöht den Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen. Gleiches gilt für Mineralien.

Die Kampagnenwebseite telespiresresiste.info wurde von folgenden Kollektiven diese Woche online geschaltet: Coletivo Proteja, Movimento dos Atingidos por Barragens do Mato Grosso (MAB/MT), Associação Indígena DACE do povo Munduruku und Instituto Centro de Vida (ICV).

// Christian Russau