Landkonflikte in Brasilien: Gerechtigkeit im Fall Felisburgo? Auftraggeber des Massakers im Gefängnis.
Hört man derzeit aus Brasilien vor allem negative Schlagzeilen rund um die Kürzungen von Staatsausgaben, sowie großflächige Privatisierungsvorhaben unter der derzeitigen de-facto Regierung Michel Temer, hier eine positive Nachricht aus dem größtem Land Lateinamerikas. Der Fall Felisburgo erregte damals internationale Aufmerksamkeit, nicht nur, wegen der Brutalität des Überfalls, sondern auch weil der beteiligte Auftraggeber, Adriano Chafik Luedy, im Jahr 2013, also 9 Jahre danach und nach zähmen, monatelangem Ringen, zu 115 Jahren Haft verurteilt wurde. Jetzt, weitere vier Jahre später, sitzt er im Gefängnis.
Es mag befremdlich erscheinen, aber das Urteil ist ein großer Erfolg! Landkonflikte in Brasilien sind im Regelfall durch eine einseitige Straflosigkeit geprägt. Und wenn es überhaupt zu einem Prozess kommt, trifft es fast nie die Auftraggeber. Felisburgo war, nach dem Mord an der amerikanischen Ordensschwester Dorothy Stang (2005; Verurteilung 2010), der zweite Fall in den letzten Jahren, in dem ein Auftraggeber rechtskräftig verurteilt wurde. Und die Begründung für die hohe Haftstrafe lag in dem Ausmaß der Gewalt und der Brutalität des Überfalls.
Nun gehört es zu den Eigentümlichkeiten des brasilianischen Rechtssystems, dass Chafik bislang nicht verhaftet wurde. Bis zuletzt war er aufgrund eines Habeas Corpus in Freiheit, einem Instrument der brasilianischen Verfassung welches dem Bürger das Recht zusichert einen Prozess in Freiheit abzuwarten. Dieser war durch eine andere Gerichtsbarkeit noch vor dem Ende des Prozesses ausgestellt worden, und wurde erst im Juni diesen Jahres ausgesetzt. So war es möglich Chafik, der sich mittlerweile nach Uruguay abgesetzt hatte, nun auf seinen Ländereien in Bahia aufzugreifen und festzusetzen.
Recht ist in Brasilien eine Sache politischer Parteinahme und regionaler Aushandlungsprozesse. Entsprechend deutet die Landlosenbewegung die Festnahme Chafiks als eine Antwort der Landesregierung in Minas, eigentlich einer der letzten Bastionen der Arbeiterpartei (PT) in Brasilien, auf die Repressionen gegen die Bewegung der letzten Monate. Seit dem ‚kalten Putsch‘ Michel Temers 2016, bzw. dem Impeachment gegen die Präsidentin Dilma Rousseff, hatten die Landkonflikte landesweit drastisch zugenommen. So verzeichnete 2016 die Landpastorale der katholischen Kirche (CPT) wieder 61 ermordete Kleinbauern, Indigene oder Quilombolas in Auseinandersetzungen um Land – ein Anstieg von 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und der höchste Wert seit 2003. Ferner sind 2016 die Fälle von Vertreibungen von Kleinbauern um 232 Prozent gestiegen. Und auch wenn die abschließenden Zahlen von 2017 noch ausstehen, ist ein weiterer Anstieg zu erwarten, waren es im Mai doch bereits 36 Tote. Diese zunehmenden Landkonflikte sind eine Folge der politischen Veränderungen, bzw. der öffentlichen Kriminalisierung der nun ‚terroristischen‘ Movimento dos Sem Terra (MST) und anderer sozialer Bewegungen, durch die neue Regierung. Die Großgrundbesitzer, die Agrarlobby oder lokale Autoritäten fühlen sich so eingeladen die Dinge wieder auf ihre Weise regeln. Selbst Chafik fühlte sich offensichtlich so sicher, dass er nach seinem abtauchen in Uruguay nun wieder in Brasilien unterwegs war. Nachdem sich die Art und Weise der Austragung der Landkonflikte seit dem Amtsantritt Lulas 2002 aufgrund der stärkeren Intervention der Bundesbehörden demokratischere Züge angenommen hatte, verweist die Eruption von Gewalt seit dem Putsch deutlich darauf, dass weder die strukturellen Konflikte gelöst, noch die Einstellung der Großgrundbesitzer sich verändert haben.
Allein im Bundesstaat Minas kam es in 2017 zu zahlreichen Übergriffen: So wurde im April im Vale do Rio Doce ein Landloser erschossen, im Juni wurden drei MSTler im Norden (Capitão Eneas) durch Schüsse verletzt, im Triangolo Mineiro kam es jüngst zu einem Überfall durch Privatmilizen und in der Zona da Mata wurde ein Zeltlager in Brand gesetzt, während im Süden des Landes ein Anführer der Bewegung unter vorgehaltener Waffe bedroht wurde. Daher deutet die MST die plötzliche Festnahme Chafiks als eine Reaktion der Landesregierung in Minas. Trotz zunehmender Konflikte hatte diese sich zuvor mit einer klaren öffentlichen Positionierung zugunsten der MST zurückgehalten. Doch die zunehmenden Konflikte und deren Brutalität werden nicht nur durch die öffentliche Kriminalisierung gefördert, sondern auch durch die bestehende Straflosigkeit oder das Ausbleiben einer Agrarreform. Gegen die Straflosigkeit ist die Festnahme Chafiks ein deutliches Symbol. Und auch für eine Agrarreform in Minas gibt es frohe Neuigkeiten. Am selben Tag, hatte im Süden von Minas Gerais eine Richterin die Enteignung des Quilombo Campo Grande beschlossen. Seit mehr als 8 Jahren ist es die erste staatliche Enteignung in Minas! Der Konflikt um Campo Grande selbst dauerte bereits seit knapp 20 Jahren an. Aber, auch im Fall Felisburgo hatte der Landeschef Fernando Pimentel 2015 die Enteignung beschlossen, die bislang noch nicht ausgeführt wurde.
Trotzdem, in Minas Gerais feiert derzeit die Landlosenbewegung. Die Nachricht über die Festsetzung von Chafik platzte direkt in das Jahrestreffens der MST vor Ort. Mit Tränen in den Augen wird seit gestern rund um die Uhr getanzt. Die Erleichterung, bzw. die ständige Anspannung der letzten Monate und Jahre, ist spürbar. Immerhin war es auch jenseits der Konflikte ein gutes Jahr. Erst im November wurde ein Bauerkontor (Armazem do Campo) in der Landesauptstadt Belo Horizonte eröffnet. Nach São Paulo, ist es der zweite Laden der Bewegung, welcher ausschließlich mit Produkten aus Siedlungen der MST handelt.
Die aktuelle Stimmung in Minas darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Landkonflikte insgesamt zunehmen und sich ihre politische Aushandlung im föderalen Brasilien an den meisten Orten wieder zum schlechteren wendet. Wiederum am selben Tag kam es im Bundesstaat Pará, zur gewaltsamen Räumung des Zeltlagers Hugo Chavez durch die Militärpolizei, einer provisorischen Siedlung auf einer Besetzung durch die Bewegung der Landlosen. Nachdem letzte Woche die Familien des Lagers bereits von Privatmilizen mit Schusswaffen überfallen worden waren, war es diese Woche die Militärpolizei, welche gewaltsam die rund 300 Familien räumte (darunter 150 Kinder), obwohl sich NGOs, Kirchen und Bewegungen öffentlich für die Familien eingesetzt hatten. Während Felisburgo wohl als historisches Urteil in die lange Geschichte der Landkonflikte dieses Landes eingehen wird, wird der Überfall der Privatmilizen in Para hingegen wird vermutlich straflos bleiben.