Kampf ums Überleben der Guarani Kaiowá in Brasilien

Jan Marot hat Ládio Veron, Cacique der Guarani-Kaiowá Interviewt der derzeit durch Europa reist und von der eskalierenden Situation in Mato Grosso do Sul berichtet. Ab dem 30. April ist Ládio im deutschsprachigen Raum unterwegs.
| von Jan Marot
Kampf ums Überleben der Guarani Kaiowá in Brasilien
Indigener Widerstand in Brasilien

Weite Teile unserer Siedlungsgebiete sehen aus, als hätte man eine Atombombe abgeworfen“, sagt Ládio Veron, Anführer der Guarani-Kaiowá im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul. Sein Volk und das ihnen heilige Land wird den Interessen der Agrarindustrie und des Großgrundbesitzes geopfert. Hunderte wurden in den vergangenen Jahren ermordet, fast ebenso viele verübten aus Hoffnungslosigkeit Suizid.

Interview: Jan Marot
Termine der Rundreise


F: Sie sind erstmals auf Reisen außerhalb Brasiliens, um im Zuge einer Europa-Tour die Öffentlichkeit über den Landraub, die Vertreibung, die Gewalt und die Morde wachzurütteln. Verbrechen gegen Ihr Volk, die Guarani-Kaiowá. Was sind Ihre bisherigen Eindrücke, nach Ihren Stationen in Spanien und Italien?


A: Vorweg will ich eines klarstellen: Ich bin nicht hier, um um Geld zu bitten. Oder gar als Tourist. Sondern um über uns zu sprechen, um aufzuzeigen, was mit unserem Volk, den Guarani-Kaiowá geschieht. Um Bewusstsein zu schaffen, für die Geschehnisse im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul. Allen voran geht es darum, ein nachhaltiges Netzwerk an Unterstützern für unsere Causa aufzubauen. Konkret will ich die Menschen hier aufklären, darüber, was die Unternehmen, nationale und internationale Konzerne, die in Mato Grosso do Sul aktiv sind machen. Darüber wie sie skrupellos sie vorgehen, und der einhergehende Genozid an uns Guarani-Kaiowá, den sie dabei begehen. Das Wichtigste ist, die Welt muss den Aufschrei unseres Volkes hören. Auf dass man uns unser Land zurückgibt. Und unsere Rechte endlich wahrt.

 

F: Im Zuge der voranschreitenden Vertreibung der Guarani-Kaiowá aus ihren ursprünglichen Ländereien wurde binnen weniger Jahre hunderte ermordet, darunter auch ihr Vater, Marcos Veron. Auch er versuchte wie Sie international für die Causa seines Volkes Aufmerksamkeit zu erreichen. Und bezahlte das mit seinem Leben. Auch Sie wurden mehrfach bedroht, Entführungsversuche konnten auch kurz vor Ihrer Abreise im März dieses Jahres eben noch verhindert werden. Fürchten Sie sich in Europa um ihre Sicherheit und Ihr Leben?


A: Meine Sicherheit ist für mich absolut nebensächlich. Ich habe keine Angst. Es geht darum, die Menschen wachzurütteln, sie über unser Schicksal in Kenntnis zu setzen. Ich fürchte den Tod nicht. Wenn sie mich umbringen, ändert das nichts. Nichts an unserem Kampf um unsere Existenz, nichts an unserer misslichen Lage. Unser Widerstand wird weitergehen, auch wenn ich sterben sollte, im Kampf für unser Volk.


F: Die Mörder an Ihren Stammesmitgliedern, sowie ihres Vaters, scheinen, betrachtet man die milden Urteile gegen sie, fast in völliger Straffreiheit zu agieren …


A: Es herrscht Immunität die für die Täter. Nur ein einziges Mal kam es sogar zu einem Prozess, gegen die Mörder meines Vaters. Weil wir Guarani-Kaiowá massiv Druck machen. Doch die Haftstrafe von zweieinhalb Jahren musste keiner verbüßen, nach der zweiten und dritten Instanz. Das hat Geschichte, um das zu verstehen, muss man zurückblicken, bis ins Jahr 1953 und noch weiter. Doch mit der massiven Abholzung des Regenwaldes und der Ausweitung des Großgrundbesitzes gingen Massaker an uns Guarani-Kaiowá einher. Über die Militärdiktatur haben diese zugenommen. In Mato Grosso do Sul halten diese bis heute an. Das Gros der Verbrechen wird gar nicht erst untersucht. Und das, was zu Ermittlungen führt, da wird auf halben Weg abgebrochen, ad acta gelegt. Bis heute zählen Attacken auf uns quasi zum Alltag der Guarani-Kaiowá. Drohungen, Auseinandersetzungen, Gewalt, und Morde. Erst vor wenigen Wochen hat man mein Dorf angegriffen …


F: … dahinter stehen folglich rein wirtschaftliche Interessen …

A: … wir sterben durch Kugeln, durch Macheten, Schläge, Tritte, werden angefahren und überfahren, mit Chemikalien, Pestizide und Herbizide aus der Luft besprüht, und dabei vergiftet. Nicht einmal in den Krankenhäusern sind wir sicher. Entweder man nimmt uns gar nicht auf. In anderen Fällen verweigert man uns den Zutritt um Verletzte zu besuchen, oder die Leichname unserer Toten zu sehen. Viele unserer Anführer, darunter auch mein Vater nachdem man ihn auf das Schwerste zusammengeschlagen hat, wurden in Spitäler eingeliefert, wo sie kurz nach der Aufnahme verstorben sind. Manchmal vergingen nicht einmal zehn Minuten. Wie nehmen an, man hat sie nicht oder nicht entsprechend behandelt. Oder selbst die Spitäler sind Teil jener Mafia, aus Großgrundbesitzern, nationaler und multinationaler Unternehmen und der Politik, die alles daransetzen, uns Guarani-Kaiowá aus Mato Grosso do Sul, und damit aus unserer Welt zu vertreiben.

 

F: Von wie vielen Todesopfern unter den Guarani-Kaiowá ist auszugehen?

A: Von den 1940 bis zum Schlüsseljahr 1953 waren wir etwa drei Millionen Guarani-Kaiowá. Mit den Ereignissen die folgten und der Militärdiktatur entsandte man die Armee gegen uns. Dörfer wurden niedergebrannt, und alle Bewohner, Frauen und Kinder auch, hat man umgebracht. Das ist ein Teil der brasilianischen Geschichte, der in Vergessenheit geraten ist. Damals war es der Ausbildung der Militärs dienlich, uns zu massakrieren, Häuser abzufackeln und ganze Dörfer zu verwüsten. Niemand entkam. Das dauert Jahre, bis 1966. Wir wurden fast vernichtet. Die Zahl der Guarani-Kaiowá, die überlebten war zwischen 15.000 und 20.000 in ganz Brasilien wohlgemerkt. Heute sind wir etwa 45.000. Und wir leben in den Gebieten, die man uns mit der Demarkation zugesichert hat. Und ebenjene nimmt man uns wieder, Stück für Stück.

 

F: Was kann ein Europäer tun, um den Guarani-Kaiowá zu helfen?

A: Sich den wachsenden Unterstützer-Gemeinschaften anschließen, Briefe an die Botschaften und Konsulate schreiben, Unterschriften sammeln, protestieren. Einfach Druck auf Brasilien und seine Regierung machen. Auf dass man uns unser Land zurückgibt, wie es längst in der Verfassung festgeschrieben ist. Die Regierung, keine Regierung der vergangenen Jahre will uns unser Land zurückgeben. Unser Land, das ohnehin schon großflächig von der Agrarindustrie kontaminiert wurde. Es ist komplett vergiftet. Europa muss sensibilisiert werden, in dieser Causa. Über alles, was mit den Guarani-Kaiowá geschieht. Wir wollen auch nicht das gesamte Gebiet von Mato Grosso do Sul. Wir wollen nur das Land, das unseren Vorfahren gehörte, und das uns heilig ist. Darum muss auch eine jede Regierung Europas Druck auf die Regierung Brasiliens ausüben. Ohne Druck von außen wird sich diese keinen Millimeter bewegen.


F: Das, was aktuell mit dem Land der Guarani-Kaiowá passiert ist nicht einzig ein lokales Problem, mittelfristig wird es Auswirkungen auf die gesamte Welt haben …

A: Das, was Brasilien macht, ist grob fahrlässig. Die Regierung, der Senat, das Parlament, die Regionalverwaltungen, alle sind Teil jener Mafia wie ich sie nenne. Unser Brasilien könnte dabei ein Land sein, in dem wir alle gemeinsam leben, und existieren können. Familien der Guarani-Kaiowá brauchen ein Stück Land, auf dem sie leben können, darum muss man unsere Gebiete für uns schützen. Wir wollen auch nicht der Wirtschaft des Landes schaden, wir wollen nur das, was uns zusteht. Unser uns heiliges Land. Wir schützen das Land, die Wälder, die Umwelt, all das wird Brasilien eine in Zukunft eine große Hilfe sein. Auch in Hinblick auf das Weltklima, und die globale Erwärmung. Es betrifft uns alle, auf unserem Planeten.


F: Wäre Boykott von Produkten, die direkt oder indirekt mit dem Anbau von Soja als Tierfutter, Mais und Zuckerrohr für Bioethanol zusammenhängen, ein Weg?

A: Die Schäden, die die brasilianische Agrarindustrie anrichtet, sind enorm. Zum einen lässt sie hunderte Menschen, darunter viele Guarani-Kaiowá umbringen, aber auch Umweltaktivisten. Dabei kennt sie kein Limit, freilich auch nicht mit der Natur. Es wird einfach alles zerstört, was im Weg steht. Der Regenwald, Tiere, die gesamte Vegetation, die Luft, das Grundwasser. Die Effekte, die verursachen nicht nur großes Leid unter uns indigenen Völkern, die Bevölkerung ganz Brasiliens spürt dies bereits. Und ja, um Ihre Frage zu beantworten, ein Boykott wäre definitiv ein Weg. Doch dafür braucht es zu allererst Information und ein geschärftes Bewusstsein.


F: Viele Erzeugnisse und Rohstoffe gehen an Staaten der EU, zu einem sehr hohen Preis …

A: … weitreichende Landstriche sehen aus, als hätte man eine Atombombe darauf abgeworfen. Wälder werden gerodet, unentwegt. Düngemittel- und Chemiefabriken siedeln sich neben den Agrargroßbetrieben an, und vergiften alles zusätzlich. Es muss doch einen Weg geben, anders zu wirtschaften. Das muss sich einfach grundlegend ändern. Alles zu töten, kann doch nicht das sein, was wir wollen. In Mato Grosso do Sul schießen derzeit Fabriken aus dem Boden, die allesamt Produkte, Rohstoffe für Europa produzieren, Futtermittel, Maisstärke, und vieles mehr. Im Anbau wird auf transgene Mais- und Sojapflanzungen gesetzt. Es braucht Kontrolle, seitens der EU-Behörden, über das, was importiert wird. Und Bewusstsein, welche Schäden an der Natur dadurch entstehen und welche Verbrechen dafür an uns indigenen Völkern verübt werden. Wir Guarani-Kaiowá verlieren dadurch alles, unsere Freunde, unsere Familien. Unser heiliges Land.


F: Wie sehen Sie die Zukunft der Guarani-Kaiowá?

A: Wir werden nur dann eine Zukunft haben können, wenn man uns unser Land zurückgibt. Alles werden wir nicht bekommen, das wissen wir. Wir wollen auch nicht ganz Mato Grosso do Sul. Aber wir geben uns nicht mit Stückchen zufrieden. Und, wenn man uns unser Land gibt, werden wir es natürlich schützen, achten und pflegen, wie es unsere Vorfahren über Jahrtausende handhabten. Den Urwald wieder aufforsten, für die Tierwelt und die Flora, und uns Menschen. Dafür muss das Gesetz gewahrt werden, und die Demarkation unserer Territorien.


F: Gibt es einen Schulterschluss mit weiteren indigenen Völkern Brasiliens?

A: Bergbau, Agrarindustrie, daran geknüpft der Großgrundbesitz, die Bauindustrie und Immobilien, all das drängt uns zurück. Man vernichtet uns sukzessive. Wir sind mittlerweile teilweise vernetzt, auch über NGOs, teils wehren wir uns auch gemeinsam in Protesten, wie etwa um die Fußball-WM. Oder mit Petitionen, die wir gemeinsam an den Justizminister stellen. In vieler Hinsicht vereinen wir unsere Anstrengungen. In anderen sind wir allein.


F: Werden Sie jemals das „Land ohne Übel“, das ihre Vorfahren einst gefunden haben, wiederfinden?

A: Zurückzukehren, dahin wo wir einmal waren ist unmöglich. Dessen sind wir uns Guarani-Kaiowá bewusst. Zuerst muss sich die Situation normalisieren. Erst dann können wir uns auf das Mögliche konzentrieren.


F: Welche Botschaft wollen Sie uns Europäern, und all jenen, die Ihre Causa unterstützen, mitgeben?

A: Meine Hoffnung ist, dass das Netzwerk an Unterstützern, das wir eben versuchen auf meiner Reise in Europa aufzubauen, und das stetig wächst, auch noch lange nach meiner Rückkehr nach Brasilien im August halten, andauern und weiterwachsen wird.


Zur Person:
Ládio Veron (etwa 50 Jahre alt) ist „Cacique“ (dt. Kazike), Anführer und damit einer der wichtigsten Vertreter der Guarani-Kaiowá, ein indigenes Volk, wo er knapp 45.000 Mitglieder im Bundesstaat Mato Grosso do Sul in Brasilien vertritt. Er studierte Geschichte an der Universität von Grande Dourados und lebt als Bauer in seiner indigenen Gemeinde. Weitere Guarani-Kaiowá leben in Paraguay, Bolivien, Uruguay und Argentinien. Veron ist seit März und bis August auf einer Europa-Rundreise, um auf die Verbrechen – Landraub, Vertreibung, Gewalt und Morde – gegen sein Volk aufmerksam zu machen. Dem die Verfassung Brasiliens 1998 weitreichende Landstriche in Demarkationsgebieten zusicherte. Was jedoch seitens des Staates nicht eingehalten wird, und daher seit Dekaden vor allem Agrargroßbetriebe und Großgrundbesitzer die Guarani-Kaiowá mit allen Mitteln sukzessive zurückdrängen. Um Futtermittel-Soja, Mais oder eben Zuckerrohr für Bioethanol extensiv zu kultivieren. Internationale Konzerne schielen zudem auf das größte Süßwasser-Depot der Erde, das just unter dem Stammesgebiet liegt, das Aquífero Guarani (1,2 Mio. Quadratkilometer) Sein Vater, Marcos Veron, versuchte vor 14 Jahren dasselbe, nämlich international Bewusstsein für das Schicksal seines Volkes zu schaffen. Er wurde ermordet. Wie mehr als 800 Guarani-Kaiowá. Und viele weitere – offiziellen Zahlen zu Folge 684 –nahmen sich im selben Zeitraum aus Verzweiflung das Leben. Unter den Suizidopfern sind zahlreiche Minderjährige. Mehr als 200 sind wegen ihres Widerstands gegen Großgrundbesitzer in Haft, laut der NGO Survival International.