Das Gesetz zur Biologischen Sicherheit
1985 betraute das Gesetz zur Biologischen Sicherheit die CTNBio (Comissão Técnica Nacional de Biossegurança), eine technische Kommission von Wissenschaftlern, mit der alleinigen Kompetenz, über die Sicherheit genmanipulierter Produkte zu entscheiden. Dem Umweltministerium aber gab sie das Vorrecht auf wissenschaftliche Studien über die Auswirkungen der genmanipulierten Organismen. Im Dezember 2003 lag dem Nationalkongress ein Neuentwurf für das Gesetz vor. Der Entwurf sollte die starke Stellung der CTNBio einschränken. Die Entscheidungsmacht über genmanipulierte Produkte sollte dem Gesetzesentwurf zufolge ein Nationaler Rat der Biologischen Sicherheit (CNBS - Conselho Nacional de Biossegurança) erhalten, dem elf Minister angehören. Die CTN Bio hingegen sollte das Recht haben, Forschung zu genveränderten Produkten zu autorisieren, und der Umweltbehörde IBAMA sowie der Gesundheitsbehörde ANVISA gestand der Gesetzesentwurf ein Vetorecht bei der Freigabe gentechnisch veränderter Produkte zu. Damit sollte die letztliche Entscheidungsbefugnis über genetisch manipulierte Organismen aus dem rein technisch-wissenschaftlichen Bereich zurück auf die politische Ebene gehoben werden. Seither durchlief er verschiedene gesetzgebende Instanzen.
Die Kammer nahm ihn im Februar an. Daraufhin analysierten ihn verschiedene Senatskommissionen, die am 15. September den Vorschlag abstimmten - allerdings in stark veränderter Form. Am Tag danach sollte das Senatsplenum über den Gesetzesentwurf abstimmen. Doch die Abstimmung musste aufgrund fehlender Beschlussfähigkeit des Plenums vertagt werden. Etliche SenatorInnen, vor allem aus den Kreisen der Arbeiterpartei PT, boykottierten die Abstimmung des Gesetzes in der vorliegenden Form. Am 06. Oktober waren genügend SenatorInnen anwesend und das Senatsplenum nahm das Gesetz mit 53 Stimmen bei nur zwei Gegenstimmen (Heloísa Helena, PSOL-AL und Flávio Arns, PT-PR) und drei Enthaltungen an.
Da der Gesetzesentwurfs nach seiner Abstimmung im Kongress wesentlich verändert wurde, muss er nun nochmalig dem Kongress zur Entscheidung vorgelegt werden. Diese soll bis Ende Oktober fallen, denn in einigen Teilen Brasiliens hat bereits die Aussaat für die Ernteperiode 2004/2005 begonnen; und ab Ende Oktober wird der Großteil der Aussaat fällig. In der jetzigen ungeklärten Situation halten die Financiers zum Teil ihre Ernte-Vorfinanzierungen zurück.
In der jetzt abgestimmten Version obliegt der CTNBio die Entscheidungsmacht, ob ein genetisch verändertes Produkt eine Lizenzierung durch die Umwelt- oder Gesundheitsbehörde benötigt oder nicht. IBAMA und ANVISA können im Streitfalle lediglich noch den Nationalen Rat der Biologischen Sicherheit CNBS zur Schlichtung anrufen. Darüber hinaus erlaubt der jetzige Entwurf definitiv den Anbau von gentechnisch veränderter Soja in Brasilien, was ursprünglich nur für die Anbauperiode 2004/2005 vorgesehen war. Auch erlaubt das Gesetz jetzt, genetisch veränderte Sojasaat zu handeln und verbietet es ab 2005, einbehaltene gentechnisch veränderte Sojasamen zur Aussaat zu verwenden. Die Saat muss dann jährlich neu gekauft werden. Einzelne Bundesstaaten dürfen nach dem Entwurf die Verwendung gentechnisch veränderter Saat nicht mehr verbieten. Strittig war auch die Stammzellenforschung an Embryonen, die in der nun abgestimmten Version des Gesetzes erlaubt ist.
Das Gesetz ebnet in seiner jetzigen Form transnationalen Saatgutherstellern wie Monsanto entgültig den Weg in den brasilianischen Markt. Monsanto kann dem Gesetzesentwurf zufolge erstmals legal gentechnisch verändertes Saatgut in Brasilien verkaufen. In der vergangenen Woche verdoppelte das Unternehmen schon mal die Lizenzgebühren. Vor allem aber bleibt dies voraussichtlich nicht lange auf Soja beschränkt. Denn der Entwurf öffnet Tür und Tor für den Einsatz auch anderer gentechnisch veränderter Produkte ohne weitere politische Einflussmöglichkeiten und ohne, dass deren Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit noch geprüft werden müsste. Katastrophal für die kleinbäuerliche Familienwirtschaft, die sich die Zahlung von Patentrechten an Saatguthersteller nicht leisten kann und daher auf die Aussaat einbehaltener Samen angewiesen ist. Die Familienwirtschaft wird vor allem bei den Anbauprodukten ein Nachsehen haben, bei denen eine Auskreuzung möglich ist und wo die genetisch veränderten Organismen sich daher unkontrolliert verbreiten können.
Die sozialen Bewegungen protestierten während der vergangenen Wochen gegen den Gesetzesentwurf und gegen eine mögliche einstweilige Verfügung, mit der Lula die Aussaat gentechnisch veränderter Soja für den Anbauzyklus 2004/2005, oder gar das gesamte Gesetzesprojekt zur Biologischen Sicherheit in seiner jetzigen Form erlauben könnte. Am 22. September demonstrierten Greenpeace-AktivistInnen gegenüber dem Präsidentenpalast. In einem Schreiben forderten elf verschiedene Organisationen, darunter IDEC, die Landlosenbewegung MST und die Bewegung der Staudammbetroffenen MAB, die Regierung auf, den Gesetzesentwurf in seiner ursprünglichen Form wieder aufzunehmen und auf der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte zu bestehen. Die Kennzeichnung von Produkten, die mehr als 1 % genetisch veränderte Organismen enthalten, ist in Brasilien seit April 2004 vorgeschrieben, doch niemand wendet es bislang an. Zugleich forderten die Organisationen, die Unabhängigkeit der Bundesstaaten zu wahren, in eigenen Gesetzgebungen den Einsatz gentechnisch veränderten Saatgutes zu verbieten.
Greenpeace Brasilien und der Verbraucherverband IDEC verurteilten die Entscheidung des Senatsplenums. Sollte der Gesetzesentwurf in dieser Forum durch den Kongress gehen, ist die Niederlage für Marina Silva und die brasilianischen Umwelt- und Sozialbewegungen komplett. Ein kleiner Coup allerdings gelang der Senatorin Heloísa Helena mit einer Ergänzung zum Gesetz: Ohne sich wohl recht über die Konsequenzen im Klaren zu sein, stimmte der Senat ebenfalls positiv darüber ab, ein Verbot der Forschung und des Handels mit Hybridsorten, also Saatgut, das zur Wiederaussaat nicht verwendbar ist, in das Gesetz zur Biologischen Sicherheit aufzunehmen. Diese Regelung läuft den Interessen der internationalen Saatgutkonzerne zuwider, und könnte einen letzten Schutz für die kleinbäuerliche Familienwirtschaft in dieser Sache darstellen.