Gaskraftwerk statt Kleinbauern und Fischer: Siemens, Siemens Energy, KfW-Ipex und der "Superhafen Porto de Açu" im Norden von Rio de Janeiro

Der brasilianische "Superhafen Porto de Açu" bei Campos dos Goytacazes im Norden des Bundesstaates Rio de Janeiro steht für Verschärfung der Klimakrise, für Umweltverschmutzung mit Ansage und für Land- und Territorialenteignung ohne Entschädigung für die dort kleinbäuerlich-familiäre Land- und Fischwirtschaft betreibenden Kleinbäuerinnen und -bauern und Fischer:innen. Auf dem Gelände des "Superhafens" befindet sich der klimaschädliche Gaskraftwerkkomplex Gás Natural Açu (GNA), der im Anteilsbesitz auch des deutschen Konzerns Siemens Energy ist, dessen Finanzierung auch durch Siemens Financial Services und die Exportkreditgarantie durch die bundeseigene KfW-Ipex-Bank erfolgte. Wo bleibt da die Einhaltung der Klimaverantworung und der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht der deutschen Konzerne und der bundesdeutschen Behörden und Ministerien?
| von Christian.russau@fdcl.org
Gaskraftwerk statt Kleinbauern und Fischer: Siemens, Siemens Energy, KfW-Ipex und der "Superhafen Porto de Açu" im Norden von Rio de Janeiro
Auch die Fischer:innen protestieren gegen den Bau des "Superhafens" Porto de Açu. Foto: Marcos Pedlowski (mit freundlicher Genehmigung)

Wenn ein Multi mit Superlativen ins Schwärmen kommt, so sollten alle Alarmglocken schrillen: "Mit einer installierten Kapazität von 3 GW sind GNA I und GNA II das größte Gaskraftwerksprojekt Lateinamerikas, das bis zu 14 Millionen Haushalte mit Energie versorgen kann", so Siemens im August 2020 anlässlich der Bekanntgabe des Einstiegs einer Tochtergesellschaft der chinesischen State Power Investment Corporation (SPIC) in die Gaskraftwerkprojekte GNA I und GNA II des Gás Natural Açu-Projektes im brasilianischen "Superhafen Porto de Açu" bei Campos dos Goytacazes im Norden des Bundesstaates Rio de Janeiro. Klar auch, dass in heutigen Zeiten der Verweis auf "Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien" im gleichen Absatz der Konzernpressemitteilung nicht fehlen darf, schließlich ist die Terminologie "Nachhaltigkeit" in Zeiten der sich rasch anbahnenden Klimakatastrophe das hippe Non-Plus-Ultra.

GNA I und GNA II sind die ersten zwei von insgesamt vier Gaskraftwerkblöcken auf dem Gelände des "Superhafen Porto de Açu", zu denen auch ein "LNG-Terminal mit einer Gesamtkapazität von 21 Millionen m3/Tag" gehört. Das Gas für den Kraftwerkskomplex soll aus dem vor der brasilianischen Küste in mehreren tausend Meter Tiefe liegenden sogenannten Pré-Sal entnommen werden.  "Der geschätzte Gesamtbetrag der geplanten Investitionen in den Gas- und Stromkomplex GNA beläuft sich auf etwa 5 Milliarden USD", prahlte Siemens Mitte 2020.

Nun Anfang 2022 hat sich die Eigentümerstruktur des "größten Gaskraftwerksprojekt Lateinamerikas" noch einmal verschoben, und zwar noch mehr in Richtung Deutschland. Denn Prumo Logística ist aus dem Konsortium für den GNA-Komplex mit BP, SPIC, Siemens und Siemens Energy ausgestiegen und hat seinen Anteil zu gleichen Teilen an BP und an Siemens Energy verkauft, während Siemens seinen Anteil komplett auf die per Börsengang vom Mutterkonzern abgespaltene Siemens Energy übertrug. Nach der erfolgten Zustimmung der brasilianischen Wettbewerbskontrolleur:innen der CADE am 31. Dezember 2021 stand Anfang Januar nur noch die Bewilligung der mittels Kreditvergaben in Höhe von 1,7 Milliarden Reais am Projekt beteiligten staatlichen Sozial- und Entwicklungsbank BNDES aus. BP und Siemens Energy werden zukünftig je 33,5% der Anteile am GNA-Gaskraftwerkomplex und SPIC 33% halten.

Mittels Krediten ebenfalls beteiligt sind neben der IFC, die das Projekt mit 288 Millionen US-Dollar unterstützt, auch die bundeseigene KfW-Ipex, die laut einem Bericht von urgewald und Deutscher Umwelthilfe das GNA-Projekt kofinanziert "durch eine Exportkreditgarantie mit einem Deckungsvolumen der Kategorie 5 (also über 200 Millionen Euro)", so Urgewald und Deutsche Umwelthilfe. Der genaue Betrag der KfW-Ipex-Exportgarantiedeckung beläuft sich laut Pressemeldungen auf genau die 1,76 Milliarden brasilianische Reais der Staatsbank BNDES (siehe IJGlobal, Issue 379, Summer 2020, S. 41). Urgewald und Deutsche Umwelthilfe kritisierten im September 2021 zurecht, dass die für das Agieren der bundeseigenen KfW-Ipex zuständige "Bundesregierung [...] durch Bürgschaften für die Öl- und Gasindustrie [die] internationale Energiewende" -- wörtlich: "sabotiert". Eines der von Urgewald und Deutscher Umwelthilfe "scharf kritisierten Projekte befindet sich in Brasilien: eben das LNG Gás Natural Açu-Projekt im Complexo Industrial do Superporto do Açu."

Es geht also um eines jener Projekte, das als vermeintliche "Brückentechnologie" die bisher konventionelle Energieversorgung aufrecht erhalten soll, die weiterhin die fossile Energiematrix mit all ihren katastrophalen Folgen für das Klima fortsetzt und deren Beibehaltung die sprudelnden Gewinne der Konzerne absichern soll. Nun ist die Anteilsübertragung von Siemens auf Siemens Energy nicht ein bloß eigentumsrechtlicher Vorgang mit Kapitalverschiebung in Millionenhöhe, der bedeutete, dass statt Siemens jetzt nur noch Siemens Energy im Fokus der zivilgesellschaftlichen und der die Ursachen und Verantwortung der Klimakrise beim Namen nennenden Kritik der Klimaschützer:innen stünde. Denn Siemens muss sich auch erklären, was die potentiell anhaltende Seite der Finanzierung durch Siemens Financial Services betrifft: Denn noch 2020 hieß es, "Siemens wird über seine Finanztochter Siemens Financial Services und in enger Zusammenarbeit mit Siemens Energy Kapital, innovative Technologie sowie seine Erfahrung beim Management ähnlicher Projekte beisteuern." Ein Ausstieg aus der Finanzierung des Projektes wurde seitens Siemens Financial Services bislang jedenfalls nicht kommuniziert.

Und, last but definitely not least, müssen Siemens und Siemens Energy Rede und Antworten stehen, was ihre menschenrechtsbezogene Mitverantwortung für den Bau des gesamten Areals des "Superhafen Porto de Açu" im Norden des Bundesstaates von Rio de Janeiro betrifft: Zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht in der Lieferkette zählt auch, dass Erwerb oder Pacht und Nutzung einer in einem deklarierten Hafengebiet wie dem "Superhafen Porto de Açu" gelegenen Fläche zur Errichtung eigener Industrieanlagen - wie es beim Gás Natural Açu-Projekt der Fall ist - sorgfältig geprüft wird, dass es dort zu keinen Umweltverstößen und zu keinen Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dies ist aber laut Auskunft des Universitätsprofessor Marcos Pedlowski von der Universidade Estadual do Norte Fluminense in Campos dos Goytacazes im Bundesstaat Rio de Janeiro, der Fall. Der "Superhafen Porto de Açu" hat Hunderten von Familien für den Bau des Hafens ihr Land enteignet und, laut Professor Marcos Pedlowski, "erhalten Hunderte von Familien, denen ihr Land für die Errichtung dieses Industriegebiets in São João enteignet wurde, weiterhin keine Entschädigung von der Regierung von Rio de Janeiro. Außerdem wird nicht mehr über die Versalzung des Kontinentalwassers gesprochen, die durch das Überlaufen des Salzwassers von den im Hafen von Açu errichteten Dämmen verursacht wird. Es wird auch nicht mehr über die Zerstörung des Strandes von Açu und die Schließung der bevorzugten Fischereigebiete für die Bewohner des V. Bezirks von São João da Barra gesprochen." Professor Pedlowski spricht im Fall des Porto de Açu von "legalem Landraub".

Professor Pedlowski geht dabei mit Siemens hart ins Gericht: "Die Beteiligung von Siemens am Gaskraftwerkspark des Hafens von Açu ist ein gutes Beispiel für ein Muster, das in der Tätigkeit multinationaler Unternehmen in Brasilien vorherrscht. Die Gaskraftanlagen von GNA sind nicht nur sehr umweltschädlich und erzeugen teure Energie, sondern tragen auch dazu bei, dass die globalen Ziele für Treibhausgasemissionen nicht eingehalten werden. Außerdem hätte die Geschichte der sozialen Verstöße und der Umweltzerstörung, die den Bau des Hafens von Açu kennzeichnet, die Beteiligung von Siemens an einem derart fragwürdigen Unternehmen verhindern müssen. Aber die Sorge um den Profit war offenbar größer als die Verpflichtung zu einer guten Unternehmensführung und zum Schutz der Umwelt und der lokalen Gemeinschaften", erklärte Pedlowski gegenüber dem Autor.

Siemens Energy, Siemens und die bundeseigene KfW-Ipex sind also mitverantwortlich für ein Festhalten an fossil-konventioneller Energieverarbeitung, die die Klimakrise weiter befördert. Zudem steht das Projekt für Umweltverschmutzung mit Ansage und bedeutet Land- und Territorialenteignung ohne Entschädigung für die dort kleinbäuerlich-familiäre Landwirtschaft betreibenden Kleinbäuerinnen und -bauern für ein Gelände, auf dessen Terrain ein klimaschädlicher Gaskraftwerkkomplex errichtet wird, der im Anteilsbesitz auch eines deutschen Konzern wie Siemens Energy ist, dessen Finanzierung auch durch Siemens Financial Services und die Exportkreditgarantie durch die bundeseigene KfW-Ipex-Bank erfolgte. Das muss ein Ende haben.

// Christian Russau