Drei neue Studien weisen auf die Biodiversitätsverluste durch Staudämme und Staureservoirs in Amazonien hin
Eine in der Zeitschrift Conservation Science and Practice veröffentlichte Studie warnt davor, dass auf temporäre Migrationen angewiesene Tierarten gegenwärtig durch fast 900 Wasserkraftwerke im Amazonasbecken bedroht sind. Davon seien 434 fertig oder befänden im Bau, weitere 463 seien geplant. Die überwiegende Mehrheit der von den Wissenschaftler*innen untersuchten Projekte befinden sich in Brasilien, insbesondere in den Einzugsgebieten der Flüsse Tapajós, Araguaia und Tocantins. Die Wissenschaftler*innen errechneten, sollten alle diese Staudämme umgesetzt werden, so würden 18 von 93 Flüssen mit mehr als 500 km Länge unterbrochen sein - und somit die Wanderrouten vieler Wanderfische in Gefahr geraten. Von den 26 Flüssen über 1.000 km lang würden demnach nur neun ungestaut verbleiben.
Eine weitere Studie widmetet sich der Folgen der durch menschliche Eingriffe verursachten Waldfragmente im Amazonasgebiet und deren ökologischen Wechselwirkungen. Die in der Zeitschrift Current Biology veröffentlichte Studie, an der Forscher*innen der staatlichen Universitäten von Campinas und Santa Cruz sowie weitere brasilianische Forscher*innen in Einrichtungen in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich beteiligt waren, zeigt, wie Gebiete mit kontinuierlicher Vegetation ihre biologische Vielfalt zu bewahren vermögen im Gegensatz zu den durch Staureservoirs zu isolierten Gebieten gewordenen Gegenden, wo der Erhalt der biologischen Vielfalt nicht mehr gegeben ist wie in einem zusammenhängenden Wald. Die Umwandlung natürlicher Ökosysteme in vom Menschen veränderte Landschaften ist den Forscher*innen zufolge die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt in terrestrischen Ökosystemen. Denn selbst wenn Arten in den verbliebenen Lebensräumen überleben, könnten die Populationen so klein werden, dass ökologische Interaktionen funktionell verloren gehen und lokale Interaktionsnetzwerke gestört werden, so die Studie. Dazu untersuchten die Forscher*innen Daten aus Erhebungen über Waldwirbeltiere und kombinierten dabei Modellierungen und Netzwerkanalysen, um zu untersuchen, wie die Struktur von Räuber-Beute-Netzwerken durch die Insellösung von Lebensräumen beeinflusst wurde, die durch ein Wasserkraftwerk im brasilianischen Amazonasgebiet verursacht wurden. Die Forscher*innen fanden heraus, dass die Netzwerkkomplexität, gemessen an der Interaktionsvielfalt, mit abnehmender Waldfläche nichtlinear abnahm. Während auf großen Waldinseln (>100 ha) Beutetierarten mit 3-4 potenziellen Räubern verbunden waren, waren sie auf kleinen Inseln nur mit einem oder gar keinem Räuber mehr verbunden. Anhand von Aussterbesimulationen zeigen die Forscher*innen, dass die Unterschiede in der Netzwerkstruktur nicht durch das abundanzbedingte Aussterberisiko oder die Verfügbarkeit von Beutetieren erklärt werden können. Ihre Ergebnisse zeigten, so die Forscher*innen, dass der Verlust von Lebensraum zu einer abrupten Unterbrechung der terrestrischen Räuber-Beute-Netzwerke führen kann, wodurch Ökosysteme mit geringer Komplexität entstehen, die möglicherweise ihre Funktionalität nicht beibehalten. Die Freisetzung von Raubtieren auf einigen kleinen Inseln könne zu Kaskadeneffekten bei Pflanzen führen, die die Walddegradation beschleunigen, während Raubtier-Spillover auf anderen Inseln zu übermäßig ausgebeuteten Beutetierpopulationen führen könne. Die Analysen der Forscher*innen zeigten, dass der Schutz großer zusammenhängender Wälder neben der Erhaltung der Vielfalt für den Fortbestand von Interaktionsnetzwerken und damit verbundenen Ökosystemfunktionen erforderlich sei.
Eine dritte Studie - in der Fachzeitschrift Environmental Science & Policy veröffentlicht - kartiert die Dichte von Dämmen sogenannter kleiner Wasserkraftwerke mit einer Leistung von bis zu 30 Megawatt und Aquakulturfarmen im Bundesstaat Rondônia und in der Stadt Manaus im Bundesstaat Amazonas. Sie ermittelten 6.507 kleine Staudämme in diesen Regionen und stellten fest, dass deren kumulative Auswirkungen "in der Summe tiefgreifend sein können", was zu einem Verlust der biologischen Vielfalt und einer erhöhten Entwaldungsrate führt sowie Fischwanderungen verhindert und die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung beeinträchtigt.