Doch kein Ende der Großstaudämme in Amazonien?
Es war eine große Nachricht, die auch in KoBras Berichtserstattung Widerhall fand:
Anfang Januar kursierten in den Medien relativ zeitgleich drei Zitate von hohen brasilianischen Politikern, Beamten und Wirtschaftsvertretern, die das historische Ende der Phase von großen Wasserkraftwerken in Brasilien andeuteten. Der frühere Direktor der staatlichen Energieagentur Aneel und Präsident der brasilianischen Wirtschaftsvereinigung der Energieverbraucher, Edvaldo Santana, deutete gegenüber Medien an, dass wohl von nun an keine großen Wasserkraftwerke mehr neu gebaut werden würden. Als Begründung führte er die Privatisierung der Eletrobras an, mittels derer die Regierung zuvor starken Einfluss auf Baugenehmigungen und Lizenzen habe nehmen könne und mit einer nun privatisierten Eletrobras sei "dies sehr viel schwerer".
Der Präsident der staatlichen Energieforschungsagentur EPE, Luiz Augusto Barroso, erklärte nahezu zeitgleich, seine für die Ausarbeitung der Ausbaupläne bei Energieinfrastrukturprojekten verantwortliche Staatsagentur werde von an vermehrt prüfen, ob sich ein großes Wasserkraftprojekt überhaupt lohne. "Wir von der EPE haben uns entschlossen, einen Schritt zurückzutreten, um den gesamten Prozess dieser Großwasserkraftwerke neu zu strukturieren. Da gibt es eine Grundhaltung, dass jede Wasserkraft gut und billig sei. Und wir überprüfen jetzt, ob diese Projekte richtig sind. Es geht nicht darum, ein Wasserkraftwerk um jeden Preis zu errichten", so Barroso. Barroso schätzte, dass von den in Brasilien bis 2050 bisher neu angedachten Wasserkraftwerken in einer Größenordnung von 50 Gigawatt "nur 23 Prozent Projekte sind, die nicht in indigene, Quilombola- und Naturschutzgebiete interferieren" würden. Diese Argumentation war zwar nicht neu, da dies genau die Argumentation der Umweltschützer, Indigenen, Flussanwohnern und weiteren Betroffenen ist, die seit Jahrzehnten durch Großstaudämme zur Zwangsumsiedlung, unter oft katastrophalen sozialen Umständen, gezwungen wurden. Neu aber war, dass dieses Argument nun, leicht gewandelt, aus regierungsnahen Kreisen hoher Beamter kam. Gleichwohl war die Argumentation leicht abgewandelt, denn die Motivation, die in erster Linie aus dem EPE-Präsidenten heraus spricht, ist die Kostenfrage. Und diese erläuterte, ebenfalls im gleichen Medienbericht, der dritte hochrangige Politiker, der am selben Tag sekundierte: "Wir haben keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen Großprojekte. Aber man muss die Sichtweise der Gesellschaft akzeptieren, die Vorbehalte gegen solche Projekte hat. Wir sind nicht bereit, die Kosten und Risiken zu verschleiern", sagte der Generalsekretär des Ministeriums für Bergbau und Energie, Paulo Pedrosa.
Doch bereits wenige Tage später erklärte die Nationale Energieagentur Aneel die Machbarkeitsstudien für das Wasserkraftwerk Jatobá am Tapajós-Fluss, zwischen Itaituba and Jacareacanga gelegen, für rechtens. Wußte da die eine Behörde nicht, was die andere gerade entschieden hatte?
Nun gibt es dazu eine neue These. Der US-amerikanische Wissenschaftler Philip Fearnside, der seit vielen Jahren in Amazonien lebt und forscht, weist in einem Beitrag auf die neuesten Entwicklungen in Brasiliens Politlandschaft hin, die das im Januar von hohen Ministerialbeamten verkündete Ende der Großstaudämme wieder rückgängig machen würden. Denn die oben zitierten hohen Beamten, Paulo Pedrosa und Luiz Augusto Barroso, wurden nach Amtsantritt des neuen Ministers für Bergbau und Energie, Moreira Franco, mittlerweile durch andere auf ihren Posten ersetzt. Und seit Januar habe es, so Fearnside, keine weiteren Meldungen von Seiten der Regierung in Bezug auf weitere eingestellte Staudammpläne gegeben. Daher geht Fearnside davon aus, dass die Politik der Großstaudämme in Amazonien doch weitergehe. Ein Rücktritt vom erklärten Rücktritt.
Da hat sich dann wohl doch die stärkere Lobby durchgesetzt.