Die Bedrohung der Savannenlandschaft des Cerrado
Interview: Christian Russau
Die neuesten Zahlen zur Entwaldung Amazoniens deuten wieder auf einen Anstieg hin. Zwischen August 2015 und Juli 2016 sei die Entwaldung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 29 Prozent angestiegen. Gleichzeitig gibt es in Brasilien eine andere Region, die Savannenlandschaft des Cerrado, deren Entwaldungsraten deutlich höher liegen, aber in den Medien nicht im gleichen Maße wie Amazonien Beachtung finden. Woher kommt das?
Auf der einen Seite sollten diese Zahlen uns zurecht beunruhigen, auf der anderen Seite trifft es zu, dass im Gegensatz dazu die Entwaldung des Cerrados nicht die gleiche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit widerfährt. Denn im Cerrado ist die Abholzungsrate zweieinhalb Mal so groß. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile schon 55 Prozent der ursprünglichen Cerradolandschaft Landnutzungsänderungen erfahren haben und der Cerrado als Biom vom Aussterben bedroht ist. Dies hat weitreichende Konsequenzen für Mensch und Natur. Dort im Cerrado gibt es rund 13.000 Pflanzenarten, von denen es die Hälfte nur dort gibt. Derzeit gelten davon 600 Arten als stark in ihrer Existenz gefährdet, damit befindet sich allein im Cerrado ein Drittel aller in ganz Brasilien bedrohten Pflanzenarten. Der Cerrado ist damit die derzeit bedrohteste Region Brasiliens.
Warum genießt der Cerrado nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie beispielsweise Amazonien?
Der Cerrado hat nicht wie der tropische Regenwald Amazoniens die selbst jedem Außenstehenden leicht einsichtige Physiognomie eines großen tropischen Waldes. Die sandigen Böden sowie die geringe Fruchtbarkeit der Böden bewirken im Cerrado eher kleinwüchsige Bäume, meist krumm und schief, und so blieb der Cerrado lange Jahre außerhalb der Wahrnehmung der Agroindustrien. Dies galt so ungefähr bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. Nun ist es die Boomregion für die agroindustrielle Ausweitung von Soja und Eukalyptus. Beispielsweise in der sogenannten Matopiba-Region – also die Bundesstaaten Maranhão, Tocantins, Piauí und Bahia – hatte sich bereits zum Jahre 2010 die Landschaft grundlegend gewandelt: 60 Prozent der ursprünglichen Cerrado-Landschaft war dort bereits durch Sojamonokulturen ersetzt. Sehr lange war das eigentliche Geheimnis des Cerrado nicht bekannt: der des Wasserspeichers Brasilien. Es handelt sich beim Cerrado nämlich um große flache Hochebenen, in denen der Regen von den Böden aufgenommen wird und in die Grundwasserspeicher der Aquifere gespeist wird, die wiederum die Flüsse mit Quellwasser versorgen. Es ist im Cerrado, wo die Wasserspeicher Brasiliens wieder aufgefüllt werden. Das liegt an der besonderen Physiognomie und der besonderen Vegetation des Cerrado. Dieser krumme und hartrindige, knorrige Baumbewuchs des Cerrado lässt nur wenig Wasser verdunsten. Vor allem in der Trockenzeit ist das wichtig. Die tiefliegenden Wurzeln mit der zu Zweidritteln im Untergrunde aktiven Biomasse dieser „auf dem Kopf stehenden Wälder“ wirken wie ein Wasser speichernder Schwamm, der die Grundwasser führenden Schichten mit Wasser versorgt. All dies ist durch die Ausweitung der Monokulturen bedroht.
Könnten Sie das näher ausführen, wie sich der Zusammenhang zwischen Ausweitung von Monokulturen und Wasserverlust darstellt?
Wird die natürliche Cerrado-Vegetation durch Monokulturen ersetzt, wird auch der Wasserhaushalt der Region stark verändert. Der Wissenschaftler Vico Mendes P. Lima hat in einer Untersuchung jüngst anhand der Ausweitung von Eukalyptus-Monokulturen im Vale do Jequitinhonha aufgezeigt, wie sich die Ausweitung der Eukalyptus-Monokulturen auf den Wasserhaushalt der Region, also der Funktion, wie die Grundwasser führenden Speicher und Aquiferen mit Nachschub an Wasser versorgt werden, auswirkt. Er kam zu dem Schluss, dass bei angenommen gleichbleibenden äußeren Faktoren wie Regenanfall bei Eukalyptusplantagen die Wasserdurchlässigkeit in die Böden und somit die Wasserzufuhr der Grundwasser führenden Schichten einen Rückgang von 218 Milimeter je Quadratmeter je Jahr aufweist, im Vergleich zur ursprünglichen Cerrado-Vegetation. Er multiplizierte dies auf die 158.387 Hektar Eukalyptus-Plantagen allein in der Mikroregion von Capelinha und kam so auf die erschreckenden Zahlen von 345 Millionen Kubikmeter Wasserverlust je Jahr in der Region. Dies ist Wasser, das oberflächig abfliesst oder verdunstet, also dem Wasserkreislauf entzogen wird. Zum Vergleich: Diese Zahl entspräche 125 Prozent des im Dezember 2015 in den Staubecken von Paraopeba vorhandenen Wassers, das die Millionenmetropole Belo Horizonte mit Trinkwasser versorgt. Man muss also konstatieren, dass es die großen Monokulturen sind, die die schlimmsten Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, also auf die Flüsse, die Aquiferen und die Grundwasser führenden Schichten der Cerrado-Region haben.
Das Agrobusiness und die Politik wollen aber die Ausweitung der agroindustriellen Landwirtschaft im Cerrado betreiben...
Genau das ist die große Gefahr. Wir sehen mit größter Sorge, dass schon im Jahr 2015 das präsidentielle Dekret zur Ausweitung der agroindustriellen Landwirtschaft in der Matopiba-Region verabschiedet wurde. Matopiba steht als Akronym für die Bundesstaaten Maranhão, Tocantins, Piauí und Bahia. Die Regierung will also diesen Entwicklungsplan für Matopiba, den Plano de Desenvolvimento Agrícola MATOPIBA. Das ist die Region der letzten Agrargrenze, die dort massiv vorangetrieben werden soll. Was wir dort sehen, ist eine Verschärfung der bereits in Brasilien existierenden harten Konflikte um Land und Wasser zwischen traditionellen Völkern und Gemeinschaften auf der einen und Politik und Wirtschaft auf der anderen Seite. Beim Matopiba-Projekt sehen wir gegenwärtig die Ausweitung von Rodung ursprünglicher Cerradolandschaften, um Platz zu schaffen für Monokulturen, und dies schürt konkrete Landkonflikte mit der kleinbäuerlichen Bevölkerung und bedroht zudem den Wasserhaushalt Zentralbrasiliens.
Wie reagieren die traditionellen Bewohner des Cerrado auf die Veränderungen und Bedrohungen?
Für die traditionellen Völker und Gemeinschaften des Cerrado ist das Land heilig, es ist das Land, das sie ernährt. Die Kleinbäuerinnen und -bauern nutzen den Cerrado mit ihrer angepassten, seit Generationen vermittelten traditionellen kleinbäuerlichen und familiären Landwirtschaft. Es geht dabei um agrarökologische Produktion und um Rechte. Zum einen erarbeiten die traditionellen Gemeinschaften agrarökologische und wassersparende landwirtschaftliche Techniken, die ein Leben und Arbeiten mit der Dürre und nicht gegen die Dürre bevorzugt. Und, ganz wichtig, es geht um die Kontrolle über das Land, über das gemeinschaftliche Recht an dem Land. Die Gemeinschaften kämpfen um das Recht, ihr eigenes Territorium zu kontrollieren und über die Nutzung selbst zu entscheiden. Die traditionellen Gemeinschaften nutzen dafür sowohl brasilianisches Recht als auch internationale Rechtsnormen. Neuerdings nutzen sie auch die munizipale Rechtssprechung, um ihre Gebiete zu erhalten. Denn nur dann, wenn die dort lebenden und arbeitenden Menschen selbst das Land haben, können sie gemeinschaftlich über Raumnutzungspläne entscheiden und so letztlich den Monokulturen Einhalt gebieten und gleichzeitig damit den Wasserhaushalt in der Region schützen. Dazu braucht es natürlich auch einkommensschaffende Maßnahmen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft, Zugang zu lokalen und regionalen Märkten, Ausweitung der Schulspeisungsprogramme, die regional hergestellte und kleinbäuerlich produzierte, agrarökologische Nahrungsmittel in die Schulen der Region bringt.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die neue De-Facto-Regierung in Brasília?
Der aktuelle politische Kontext in Brasiliens, mit einer bedrohten Demokratie, vollzieht Maßnahmen, die einen massiven Rückschritt der von der Verfassung von 1988 garantierten Rechte bedeutet: Territoriale Rechte traditioneller Völker und Gemeinschaften werden bedroht, die kleinbäuerliche und agrarökologische Produktion als ganze ist bedroht, ja, selbst unser so erfolgreiches Konzept des Zusammenlebens mit der Dürre, das mittels kommunitäten Zisternenbau so erfolgreich der Dürre trotzt, all das gerät in Gefahr, ja selbst die demokratische Verteilung von Wasser gerät in Gefahr. Im Cerrado erleben wir den Vormarsch der Agrargrenze, die Ausweitung des Bergbaus bei gleichzeitigem Kappen und Zurückfahren der Rechte der lokalen Bevölkerung sowie der traditionellen Völker und Gemeinschaften. All die im Lauf der Jahre erkämpften Rechte geraten in Gefahr, das ist sehr besorgniserregend. Der brasilianische Cerrado und seine Bevölkerung droht in wenigen Jahren von der Politik untergepflügt zu werden. Aber die sich zusammenschließenden traditionellen Völker und Gemeinschaften zusammen mit den sozialen Organisationen und Bewegungen werden weiterhin unser Gegenmodell als gangbare Alternative hochhalten.