"Der größte Feind der Umwelt in Brasilien ist der aktuelle Umweltminister"

Interview mit Jose Ivanildo Gama Brilhante, Mitglied im Conselho Nacional das Populações Extrativistas (CNS)
| von Fabian Kern
"Der größte Feind der Umwelt in Brasilien ist der aktuelle Umweltminister"
Interview auf dem Amazonas

Reden wir über die aktuelle politische Konjunktur. Was hat die Regierung in den vergangenen neun Monaten bereits von ihren drastischen Wahlversprechen umgesetzt?

 

Die aktuelle Regierung schürt den Hass gegen die ärmeren Teile der Bevölkerung. Arm in einem volkswirtschaftlichen Sinne weil ich glaube, dass unsere Gemeinden sehr reich an natürlichen Ressourcen sind – aber die werden im Bruttoinlandsprodukt eben nicht berücksichtigt.

Bolsonaro schützt die Aggressionen der Agrarindustrie, die immer mit dem Motto: „Abholzen um zu entwickeln“ vorgegangen ist, indem er die Umweltgesetzgebung aufweicht. Die Holzfäller und Großgrundbesitzer haben durch ihn das Signal bekommen, dass sie abholzen können, ohne dafür bestraft zu werden. Das limitiert natürlich den Handlungsspielraum nicht nur für den CNS sondern auch für die Indigenen und die Quilombolos hier im Amazonas. Alle diese Akteure teilen die Sichtweise, dass sie nicht Eigentümer der Ressourcen sind, sondern dass diese Teil des Lebens sind und dass der Fortbestand dieser Ressourcen wichtig ist für ihre Zukunft.

Die aktuelle Regierung beendet den Dialog mit der Gesellschaft und argumentiert, dass die demokratische Wahl der Abgeordneten ausreichend Beteiligung ist. Auch wenn unsere Argumente in den Räten die Vorgängerregierungen nicht immer überzeugen konnten, war es doch eine Gelegenheit unsere Stimme zu erheben und andere Perspektiven aufzuzeigen.

Bolsonaro versucht auch die internationalen Geldflüsse wie zum Beispiel beim Fundo Amazonas von den Gemeinden und NROs abzuziehen und unter seinen Alliierten zu verteilen. Er nimmt dabei auch in Kauf, dass die Zahlungen eingestellt werden, weil diese in seinen Augen nur die „sozialistischen NROs“ unterstützten, die ihm bei der Ausbeutung des Amazonas-Gebiets im Weg stehen, indem sie seine Regierung auf internationale Vereinbarungen verpflichten. Er will den NROs das Geld entziehen damit diese keine unbequemen Fragen mehr stellen.

Wir haben natürlich auch unsere Kritik am Fundo Amazonas. Aus unserer Sicht ist zu wenig von dem Geld bei den Extrativista-Gemeinden selbst angekommen. Also bei denjenigen die wirklich vor Ort den Regenwald schützen. Aber immerhin finanzieren diese Internationalen Programme einige staatlichen Organe wie das ICMBio oder das IBAMA, die bei Verstößen gegen den Umweltschutz vor Ort Sanktionen ergreifen können. Diese staatlichen Organe waren dann auch die Ansprechpartner, wenn wir illegale Aktivitäten entdeckt haben.

 

Warum ist es so wichtig, den Amazonas Regenwald zu schützen?

 

Wir sind der Überzeugung, dass der Amazonas Regenwald nicht primär die Aufgabe hat, das Weltklima zu retten. Da hilft er natürlich auch, aber für uns ist er eine riesige Wasserfabrik. Wasser ist Leben! Mit diesem Wasser werden Flüsse in großen Teilen des Kontinents gespeist. Wir fordern eine Politik, die diesen Kreislauf im Amazons schützt.

Weil sich der Staat bisher nicht besonders für die Umstände der Menschen hier interessiert hat, bleiben wir für ihn unsichtbar. Wir brauchen hier kooperative Strukturen, die auf Grundlage einer adäquaten Infrastruktur zeigen können, dass wir hier etwas wertvolles leisten.

 

Mit welchem staatlichen Organisationen könnt ihr heute noch eure Anliegen besprechen und vielleicht einen Einfluß auf die politische Debatte zu haben?

 

Die von der Regierung der Arbeiterpartei eingerichteten Räte waren sehr wichtig für uns. Es ist sehr wichtig, dass der Staat den Umgang mit dem CONAMA (Nationaler Rat für Umweltfragen) noch einmal überdenkt und den Dialog mit der Zivilgesellschaft aufrecht erhält. Die demokratische Legitimation der Abgeordneten ersetzt nicht den Dialog mit der Zivilgesellschaft. Um Wahlen gewinnen zu können, lassen sich viele Abgeordnete ihre Kampagnen von den Firmen finanzieren, die in einem Konflikt mit lokalen Gemeinschaften stehen. Dadurch sind die Abgeordneten nicht mehr unabhängig bei der Ausübung ihres Mandats. Wir haben sehr viele Erfahrung im Umweltbereich. Diese Räte sind auch ein wichtiges Werkzeug, um Minderheiten in den politischen Institutionen besser zu repräsentieren.

Der Umweltminister Salles muss aus dem Amt gejagt werden. Unter dessen Leitung wurde die Überwachung von Schutzgebieten und die Bestrafung von Umweltverbrechen massiv zurückgefahren. Der größte Feind der Umwelt in Brasilien ist der aktuelle Umweltminister. Er kennt den Amazonas auch nicht. Er war noch nie hier. Er hat einen gefährlichen und rassistischen Diskurs gegenüber den Gemeinden hier am Amazonas.

 

Du hattest die Gelegenheit an einer Universität in Altamira zu studieren. Welche Rolle spielt Bildung hier in der Amazonas Region?

 

Die Entwicklung der Bildung in der Region teilt sich ganz klar in eine Zeit vor der PT Regierung und nach der PT-Regierung auf. Ich hatte erst mit 18 Jahren Zugang zu Schulbildung. Es gab einfach vorher keine Schule. Das Sozialprogramm Bolsa Familia hatte einen sehr großen Einfluß auf die Bildung. Früher sind die Kinder mit 12 Jahren schon bei den täglichen Arbeiten mitgegangen. Sie haben gejagt, gefischt und so weiter – das war eine Art Ausbildung. Allerdings funktionierte das nicht gut, wenn das Kind auch in die Schule sollte. Um Bolsa Familia zu bekommen mussten die Kinder aber in die Schule geschickt werden. Dadurch wurde auch die Kinderarbeit zurückgedrängt. Ein anderes Problem war, dass die Menschen hier in vielen Fällen überhaupt kein öffentliches Dokument besaßen. Für den Staat existierten diese Menschen gar nicht. Lula hat ein Programm aufgelegt, in dem jeder das Recht hatte sich kostenlos einen Personalausweis zu holen. Diese Ausweispapiere waren auch notwendig um an staatlichen Programmen teilzunehmen.

Vor dem Amtsantritt Lulas waren die besten Schulen Privatschulen. Die reichen Kinder wurden auf Privatschulen ausgebildet, um dann die Aufnahmeprüfung für die staatlichen Universitäten zu schaffen. Lula hat nicht den Reichen Möglichkeiten weggenommen, aber die Möglichkeiten für die anderen Schichten erhöht, in dem er das Angebot ausbaute. Er hat auch die Zulassungsbedingungen für die Universität angepasst. Er hat verstanden, dass die jungen Menschen aus den Gemeinden sehr viele Fähigkeiten hatten die aber in der bisherigen staatlichen Zugangsprüfung nicht relevant waren. Deshalb hat er das Programm der differenzierten Hochschulzulassung geschaffen. Damit konnten Bildungswissenschaftler einen Prozess entwickeln, der es Indigenen, Quilombolas und anderen traditionellen Völkern und Gemeinschaften ermöglichte zur Universität zu gehen.

Der Studiengang „ethnische Entwicklung“ (ethnodesenvolvimento) ist ein fantastisches Programm, durch das auch traditionelles Wissen dieser neuen Studierenden in den universitären Kanon aufgenommen wurde. Dieses interdisziplinäre Programm lässt praktische Erfahrungen und Forschungen in den Gemeinden der Studierenden in den Lehrplan einfließen und erfasst damit auch gemeinschaftlich erlangtes Wissen der Gemeinschaften. Am Ende des Studiums findest du gemeinsam mit deiner Gemeinde ein Forschungsprojekt, dass auch einen konkreten Nutzen für alle vor Ort hat. Dadurch wird die lokale Entwicklung der Gemeinden unterstützt und traditionelles, praktisches Wissen fließt in den akademischen Elfenbeinturm.

Bolsonaro hat nun drastisch die Bildungsausgaben gekürzt unter anderem mit dem Argument, dass die Armen und Schwarzen aus den Universitäten verschwinden sollen. Bolsonaro ist völlig ungeeignet für die Aufgaben, die ihm nun aufgebürdet werden. Er weckt die Vorurteile, die in großen Teilen der Bevölkerung schlummern. Für diese Menschen ist es ein Unding, dass Arme neben ihnen im Flugzeug sitzen oder Schwarze mit ihnen studieren. Die Kürzung der Bildungsausgaben hat nicht nur eine Sparfunktion – hier geht es um soziale Auslese. Er hat zum Beispiel alle Stipendien für die alternativen Bildungswissenschaften gestrichen, damit diese alternativen Konzepte gestoppt werden. In seinen Augen wird da Politik und keine Forschung betrieben. Deswegen kämpft er dagegen.

Wir hoffen, dass die internationale Aufmerksamkeit durch die Amazonasbrände einen gewissen Druck auf Bolsonaro ausübt. Die Bildung verändert das Leben und das Verhalten der Menschen – sie werden das nie vergessen.

 

Wenden wir uns der Infrastruktur in der Region zu. Was hat sich in den letzten 20 Jahren im Bezug auf Kommunikation & Transport am Amazonas getan?

 

Ich würde hier gerne die Gedanken eines Anführers aus dem Regenwald, die mich bis heute sehr berührt. „Unser Hunger hier in der Amazonas Region ist nicht der Hunger nach Nahrungsmittel. Wir haben hier genügend und gutes, ausgewogenes Essen. Wir haben Hunger nach Sicherheit, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung!“

Im Bezug auf Infrastruktur gibt es ein großes Vorurteil zum Nachteil des Nordens. Obwohl viele Rohstoffe aus dieser Region kommen, wird ihr nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, wenn es um Investitionen geht. Bei den Flüssen, auf denen wir uns hier fortbewegen, gibt es keine Ausgaben für ihre Errichtung wie bei einer Straße zum Beispiel. Im Rest vom Land werden Straßen und Busbahnhöfe gebaut und erhalten. Hier fliest das Wasser einfach und weil es kein Preisschild gibt, wird oft übersehen, dass das wichtige Infrastruktur ist. Die staatlichen Investitionen und auch Sicherheitskonzepte haben sich nie mit den Flüssen beschäftigt. Ausschließlich private Firmen bieten hier kaum regulierte Dienstleistungen an. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden zwar einige Regeln bzgl. der Sicherheit und des Reisekomforts erlassen, aber diese Regeln werden nicht kontrolliert und setzen sich deshalb auch kaum durch. Es gibt keine Preispolitik! Eine Analyse wieviel, welche Gemeinde für Transport ausgeben muss, gibt es nicht. Je nachdem, wo du hier unterwegs bist, kann der Preis sehr schwanken. Die Preise für Verpflegung auf den Booten sind sehr teuer und die Qualität wird nicht überwacht. Auf einer Reise, die mehr als 24 Stunden andauert, musst du aber etwas essen.

Ein großes Problem ist auch die Sicherheit auf den Flüssen. Wenn du im Landesinneren auf einer Bundesstraße fährst, gibt es ständig Polizeikontrollen. Hier auf den riesigen Flüssen gibt es kaum Kontrollen. Wenn ein Schiff überfallen wird, macht die Polizei mal eine Aktion, aber das hat kein System. Es ist auch kaum möglich, auf den Schiffspassagen zu kommunizieren. Das Handynetz ist nur in einigen wenigen Städten ausgebaut, aber wenn dein Schiff 4 km von der Stadt entfernt, ist verschwindet das Handy Netz wieder.

Die Kommunikation hat sich in den letzten Jahren sogar etwas verbessert, aber die Situation ist noch immer sehr prekär.

Der Transport auf den Flüssen sollte günstiger und schneller werden. Viele der langsamen Schiffen fahren zwischen 12 und 17 km pro Stunde. Der Staat könnte hier in bessere Boote investieren. Schließlich wird auch in der Stadt in öffentlichen Verkehr investiert. Auch hier leben Menschen die wählen, die an der Wirtschaft teilnehmen, die Steuern bezahlen. Wir haben auch ein Recht auf öffentliche Dienstleistungen. Wir fordern Trinkwasser, eine Kanalisation bzw. Abwasserbehandlung. Es gibt kein einziges staatliches Müllboot, das an den Gemeinden Müll einsammelt. In der Staat gibt es eine Müllabfuhr – bei uns gibt es nichts. Deshalb fühlen sich die Gemeinden abgehängt.

Unter Lula gab es einige politische Programme die diese Umstände verbessert haben, aber bei weitem nicht alle Pläne wurden auch umgesetzt. Die Gemeinden, die am weitesten weg sind von den Zentren, müssen am längsten warten.

Die Verteilung der kommunalen Finanzmittel bezieht auch nicht die Umstände der Gemeinden mit ein. Wenn eine Gemeinde im Amazonas die gleichen Dienstleistungen bereit stellen will wie eine urbanisierte Gemeinde ist das nun einmal viel teurer, weil größere Strecken zurückgelegt werden müssen, die Treibstoffkosten hoch sind und die Reisen lange dauern. Kleintransport ist dreimal so teuer wie an einer Straße – das muss sich auch in der Finanzierung widerspiegeln. Wir haben uns mit den Kommunen eingesetzt für ein Umdenken bei dieser Gemeindefinanzierung, aber dann kam der Putsch und der Prozess wurde abgewürgt.

 

Bleiben wir beim Thema Sicherheit. Wie sieht es um die Möglichkeiten der Gemeinden aus, ihre Ländereien zu verteidigen?

 

Von Sicherheit können die Gemeinden nur träumen. Die Sicherheitslage ist sogar noch schlechter geworden in letzter Zeit.

Es gibt im Grunde zwei Szenarien in denen es hier zu Gewalt kommt. Durch den stärker werdenden Handel sind Überfälle auf Menschen, die Geld transportieren oder Wertsachen in ihren Häusern haben, gestiegen. Außerdem gibt es eine zunehmende Gewalt gegen diejenigen, die sich für ihre Rechte einsetzen. Das sind die Anführer*innen unserer Vereine und Kooperativen.

Der CNS hat sich immer für Gemeinschaftsflächen eingesetzt. Wir streben nicht den Privatbesitz an sondern, dass den in dem Gebiet Lebenden das Nutzungsrecht an den staatlichen Flächen eingeräumt wird. Das Land soll weiter der Regierung gehören. Als rechtlichen Rahmen gibt es hier die Reservate und die Siedlungen (assentamentos). Innerhalb dieser Nutzungsrechte werden auch Nachhaltigkeitsregeln aufgestellt, die den Erhalt der natürlichen Ressourcen garantieren. Diese basieren auf nationalen Gesetzen aber gehen oftmals über diese hinaus, weil der Staat bei der Erstellung der Gesetze die lokalen Umstände nicht im Blick gehabt hat. Wenn sich nun herausstellt, dass in diesen Gemeinschaftsflächen Gold zu finden ist oder ein Holzfäller wertvolle Bäume schlagen will, dann werden Pistoleiros angeheuert und die Anführer der Gemeinschaft ermordet. Die strukturelle Schwäche der Gemeinden bietet hier wenig Schutz von offiziellen Stellen. Deswegen versuchen wir vom CNS uns gegenseitig zu schützen. Wir bringen zum Beispiel besonders bedrohte Personen in andere Gemeinden bis sich die Situation wieder etwas beruhigt hat. Die Polizei ist viel zu weit weg und der Personenschutz, den wir auch schon versucht haben zu erwirken, ist viel zu träge. In einem Fall haben wir diesen beantragt, aber er wurde erst zwei Jahre später bewilligt. Das macht natürlich keinen Sinn. Wir haben schon viele Anführer*innen verloren. Nicht nur Chico Mendez – der war das bekannteste Gesicht, aber es gab viele andere die getötet wurden. Der Staat muss dieses Problem lösen. Eigentlich sollte der Staat den Schutz der natürlichen Ressourcen übernehmen oder wenigstens diejenigen bezahlen, die den Schutz garantieren. Aber er schafft es nicht einmal diejenigen zu schützen die ihr Leben riskieren für den Schutz des Amazonas Regenwalds. Die Gemeinden verzichten auf einen materiellen Luxus, weil sie eben nicht die Bäume fällen und sie zu Geld machen. Für diese Dienstleistung sollten sie eigentlich belohnt werden und nicht umgebracht!

Der von den Gemeinden geschützte Amazonas Regenwald sorgt dafür, dass es in weit entfernten Landesteilen regnet. Das Wasser des Amazonas ist wichtig für das ganze Land.

 

Ein weiterer Akteur, der hier in der Region stark vertreten ist, sind die evangelikalen Kirchen. Wie haben die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

 

Diese Region hier ist sehr herausfordernd. Die Bevölkerung hier ist sehr gläubig. Ich bin katholisch und deswegen wäre es sehr einfach für mich einfach auf den evangelikalen rum zu hacken und ihnen den schwarzen Peter zu zu schieben. Aber auch die katholische Kirche hat mit den Jesuiten einen Katechismus durchgesetzt, der die Gemeinden kontrollieren konnte. Heute sind eben die evangelikalen Kirchen stärker.

Die Bevölkerung hier findet spirituelle Antworten auf ihre Lebensfragen in der Natur. Sie glauben, dass die Natur sich rächen wird, wenn du ihr Schaden zufügst. Das ist ihre Erklärung für Naturkatastrophen. Eine schlechte gemachte Schulbildung und auch die verschiedenen Kirchen zerstören diese romantische Vision und versprechen ihnen materiellen Wohlstand, der aber nie eintritt. Die Kirchen überzeugen die Menschen eine Kleidung zu tragen, die dieser Hitze völlig unangemessen ist und riesige Geldbeträge aufzubringen, um eine schöne Kirche zu bauen. Gleichzeitig leben die Familien aber selbst in sehr erbärmlichen Hütten.

Ich glaube an einen Gott. Ich will hier keine anderen Gläubigen diskreditieren, aber wenn deine Kirche dich praktisch versklavt, stimmt etwas nicht mit ihr. Ich glaube, dass die Kirche dich spirituell stärken muss, damit du ein besserer Mensch wirst. Es geht nicht darum, dass die Kirche besser ist als du. Es gibt keinen physischen Ort der wichtiger ist als dein Leben. Egal ob Mann oder Frau.

Es gibt auch ein großes Ungleichgewicht beim Thema Umwelt in den Kirchen und das ist eine Bedrohung. Diese Strukturen unterstützen dieses Projekt des schlanken Staates. Der Pastor braucht ein gutes Haus. Seine Helfer vielleicht auch noch, aber der Rest kann sehen wo er bleibt. Das ist eine Bedrohung für Amazonien und für die Welt.

Aber es ist nicht einfach über Religion, Glaube und Politik zu diskutieren, weil jeder von einem gewissen Hintergrund kommt, seine Sichtweise verteidigen will und nicht bereit ist, seine Sicht zu hinterfragen. Das ist die größte Bedrohung – diese aggressiven Einschnitte in unserem Kontext.

Viele dieser Kirchen sind gegen die Ausweisung von Reservaten und gegen gemeinschaftliches Land. Alle sollen dem Pastor dienen. Ich glaube nicht, dass es einen Gott gibt, der sich nur um einige wenige kümmert und den großen Rest sich selbst überlässt. Gott ist inkludierend und muss alle berücksichtigen.

 

Meine Themen sind alle durch. Hast du noch etwas hinzuzufügen?

 

Lass uns auch mal über Lösungen nachdenken und nicht nur Probleme aufzählen. Wichtig ist erst einmal die Erkenntnis, dass Amazonas eine sehr diverse Region ist, die in ständigem Wandel ist. Überall gibt es viele und unterschiedliche natürliche Ressourcen. Dieser Raum ist sehr wichtig für die Menschheit aber auch für die Menschen, die hier leben. Der Grund, warum es heute die Reichtümer des Amazonas noch gibt, liegt in den Menschen, die ihn vor Ort verteidigen. Im Allgemeinen wohnen die Zerstörer des Amazonas nicht hier in der Region. Sie kommen hierher, um die Region zu kolonialisieren. Es ist wichtig, dass die Menschheit diesen Verteidigungskampf versteht und anerkennt. Ich leugne nicht, dass es auch Kleinbauern gibt, die die Ressourcen zerstören. Viele Einwanderer aus anderen Regionen wurden hierher geschickt und sind mit dem Leben am Fluss nicht vertraut. Aber am Ende sind auch diese Migranten Opfer eines Kapitalismus, der sie aus ihrer Heimat vertrieben hat. Sie suchen nur nach Möglichkeiten zum Leben.

Die die großflächig zerstören sind die Sojabarone, die Bergbaukonzerne und die Wasserkraftwerks-Betreiber. Mit diesen riesigen Staudämmen hast du einen riesigen Einfluß, nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die sozialen Beziehungen in der Region. Wir müssen Amazonas als Potential wahrnehmen. Hier gibt es viel Wissen, das nicht genutzt wird. Es gibt hier viele orale Traditionen, die nicht aufgeschrieben wurden und deshalb nicht im universitären System aufgenommen werden. In der Akademie hat das Wissen immer einen Eigentümer. Aber bei uns kommt Wissen nicht von einer einzigen Person. Eine Gemeinde hat über viele Generationen etwas herausgefunden. Aber für die Universität braucht es immer einen Forscher, der das Wissen aufschreibt und verteidigen muss. Wenn jemand zum Beispiel über das Fischen forscht. Dann verbringt der Forscher einige Wochen bei einer Gemeinde, macht Fotos und publiziert danach. Alle werden dann später diesen einen Forscher zitieren, aber nicht die Gemeinde, die ihm diese Erkenntnisse zur Verfügung gestellt hat. Die Struktur war eben immer so. Aber hier funktioniert das nicht. Hier interessiert es nicht, wer es erfunden hat. Es ist wichtig, dass du es verstanden hast und bereit bist, es anderen zu erklären.

Es ist sehr wichtig auf diejenigen zu hören, die vor Ort leben. Es gibt hier viele unterschiedliche Organisationsformen, unterschiedliche Beziehungen. Wenn wir über den Amazonas abseits der Flüsse sprechen ist das wieder eine ganz andere Realität. Es ist sehr dynamisch und plural. Nur diejenigen, die hier leben, können diese Realität auch weiterentwickeln. Die Entwicklungsgelder belohnen immer diejenigen, die abgeholzte Flächen wieder aufforsten. Du belohnst also diejenigen die Bäume fällen, denn um wieder aufzuforsten, muss der Wald ja erst einmal verschwinden. Wenige Ressourcen erreichen die Gemeinden, die ihren Wald geschützt haben. Wir müssen also diejenigen wertschätzen, die schon lange ihre Ressourcen schützen und eine Logik entwickeln, die den Raum und die Personen mit einbezieht. Es macht auch keinen Sinn, den Wald zu schützen und den Menschen die Lebensgrundlage zu entziehen.

Die Mission des CNS besteht darin, Leben zu schützen. Und um Teil des CNS zu sein, musst du nicht im Amazonas leben – du musst nur das Leben schützen. Natürliche Ressourcen ohne Menschen sind für uns kein Wert an sich. Der brasilianische Staat könnte sein ganzes Militär hierher schicken um den Wald zu schützen und das würde nicht klappen. Wir brauchen Schulen und Fakultäten, die die Wichtigkeit des Amazonas anerkennen wie er ist. Die Menschen, die hier leben müssen auch die Protagonisten der Entwicklung sein. Wenn die Schule sich nicht anpasst bringt sie uns nichts. Der normale Lehrplan motiviert die Jugendlichen nur dazu wegzuziehen, weil dort nur schlecht vom Amazonas gesprochen wird. Hier gäbe es Krankheiten, gefährliche Tiere,  Moskitos usw. Wenn aber in der Schule darüber reflektiert wird, wie wichtig diese Region ist und was es hier für Potentiale, Wissen und Ressourcen gibt, dann bleibt die nächste Generation auch gerne hier und schützt den Wald.

 

Dieses Interview wurde am 16. September geführt.