CIMI Studie besagt: Unterlassenes staatliches Handeln verursacht Gewalt an Indigenen
Laut Angaben des sozialökologischen Instituts ISA leben in Brasilien aktuell 240 indigene Völker. Mit 750.000 Menschen machen Indigene 4% der brasilianischen Bevölkerung aus.
Eine Studie des Indigenen Missionsrats CIMI über Gewalt an Indigenen1 wertet Daten von 2013 aus. Sie kommt zu dem Schluss, dass hauptsächlich staatliches Versagen zur Zerstörung indigener Lebensweise in Brasilien beiträgt. Gesetzlich vorgesehene Abgrenzungsprozesse indigener Gebiete (Demarkierung) sind im zurückliegenden Jahr völlig zum Erliegen gekommen. Dilma Rousseff macht daher mit durchschnittlich 3,6 abgegrenzten Gebieten pro Jahr Geschichte. Was die Rechte von Indigenen angeht, weist sie das schlechteste Ergebnis seit der Militärdiktatur auf.
Die Frage einer Landbesitzreform in Brasilien ist laut Adveniat, dem deutschen Partner der CIMI-Studie unmittelbar mit einer umfassenden Agrarreform verbunden.2 Diese müsste die Rolle der bislang vorherrschenden exportorientierten industriellen Landwirtschaft in Frage stellen. Für die indigenen Völker Brasiliens bedeutet eine Landbesitzreform, dass die noch fehlenden ca. 50 % von insgesamt 988 Indigenengebieten endgültig denjenigen Völkern zugesprochen werden, denen das Land ursprünglich gehörte. Auch die Quilombola-Gemeinden (Nachfahren der afrikanischen Sklav*innen) haben verfassungsgemäß einen Rechtsanspruch auf ihr Land. Dieses ist bisher noch weniger verwirklicht als bei indigenen Gemeinschaften.
Alarmierende Kindersterblichkeits- und Selbstmordraten, Morde an Indigenen, Rassismus, fehlende Versorgung im Gesundheits- und Bildungsbereich sind die Merkmale einer Regierung, die einen Teil der Geschichte ihres Landes ausblendet. Es fehlt an politischem Willen und der Anwendung von Minderheitenrechten gegenüber den indigenen Völkern. Dieses Fehlverhalten lässt sich nicht mit mangelnden finanziellen Ressourcen begründen. 21,6 Millionen Reais flossen 2013 in Aktivitäten zur Erfassung, Abgrenzung und rechtlichen Regulierung von indigenen Gebieten. Abgerechnet wurden jedoch nur 5,4 Millionen Reais (also knapp 25% des Betrags). Die restlichen 75% wurden für andere Verwaltungsaufgaben verwendet. Der Grund für den erlahmten Demarkierungsprozess ist in den politischen Plänen zur Entwicklung des Landes zu suchen. Holzfäller*innen, Minenbetreiber*innen, Besitzer*innen von Rinderfarmen und Beteiligte am Agrarbusiness werden politisch hofiert und mit Land versorgt. Für diese Vorhaben gelten Indigene als irrelevant und unnötig.
Obwohl die finanziellen Zuwendungen in den vergangenen vier Jahren laut Sesai (Sondersekretariat für indigene Gesundheit) vervierfacht worden seien, ist die gesundheitliche Versorgung der Indigenen mangelhaft. So erfasste das Sesai zwischen Januar und November 2013 693 Todesfälle bei Kindern von bis zu fünf Jahren, allein bei den Yanomami in Roraima waren es 124 Tote. Aktuelle Daten des Dsei (Distrito Sanitário Especial Indigena) von April 2014 belegen 90 tote Säuglinge und Kleinkinder im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.3 Die Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit der Indigenen liegt bei knapp 50 von 1000 Kindern. Das ist mehr als das Doppelte der landesweiten Rate bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Laut IBGE starben 2013 landesweit 19,6 von 1000 Neugeborenen bzw. Kleinkindern. Auch hier lässt sich nachweisen, dass es nicht an finanziellen Mitteln sondern an politischem Willen fehlte. Für das Programm zur Basisgesundversorgung indigener Gemeinden waren 27,7 Millionen Reais eingestellt worden. Lediglich 1,39% davon wurden ausgegeben. Mit den übrigen 27,3 Millionen Reais hätten sicherlich Gesundheitsposten gebaut werden können. Durchfallerkrankungen, die eine medizinische Ursache der Säuglings- und Kleinkindsterblichkeit darstellen, hätten so bekämpft werden können.
Im Bundesstaat Mato Grosso wurden erneut die meisten Menschenrechtsverletzungen an Indigenen festgestellt. 2013 wurden dort 33 Indigene ermordet, was 62% der landesweiten Mordrate ausmacht. Es gab 16 Fälle von versuchtem Mord (im Vergleich: 29 Fällen landesweit) und laut Angaben von Sesai 73 Suicide. 72 der meist zwischen 15 und 30 Jahre alten Selbstmordopfer gehören zum Volk der Guarani-Kaiowá.
Die Erhebungen des indigenen Missionsrats CIMI der zurückliegenden elf Jahre haben mindestens 616 indigene Mordopfer erfasst, 349 der Morde passierten in Mato Grosso do Sul. Die Mehrzahl der indigenen Gemeinschaften (meist Guaraní-Kaiowá) lebt dort unter prekären Bedingungen quasi im Straßengraben in provisorischen Behausungen oder zusammengedrängt in kleinen Reservas/Indigenenschutzgebieten. Diese waren Anfang des vorherigen Jahrhunderts vom Serviço de Proteção aos Índios (Dienst zum Schutz der Indigenen, SPI) geschaffen worden. In der Reserva Indígena de Dourados leben 13.000 Indigene auf einer Fläche von 3,6 Hektar. 18 der 73 Selbstmordopfer lebten dort.