Campanha Despejo Zero: In Brasilien sind derzeit rund anderthalb Millionen Menschen von einer Zwangsräumung aus ihren Wohnungen bedroht

Eine heute veröffentlichte Studie der brasilianischen Campanha Despejo Zero zeigt, dass zwischen Oktober 2022 und Juli 2024 die Zahl der von Zwangsräumungen oder Zwangsumzügen betroffenen Menschen um 70 Prozent gestiegen ist. Rund 1,5 Millionen Menschen mußten demnach ihre Häuser verlassen oder sind von Zwangsräumung bedroht, so die Daten, die von 175 Organisationen im ganzen Land gesammelt wurden.
| von Christian.russau@fdcl.org
Campanha Despejo Zero: In Brasilien sind derzeit rund anderthalb Millionen Menschen von einer Zwangsräumung aus ihren Wohnungen bedroht
Gebietsbesetzung in Guarulhos durch die Bewegung der obdachlosen Arbeiter:innen MTST. Foto: christian russau (2019)

In Brasilien sind derzeit rund anderthalb Millionen Menschen von einer Zwangsräumung ihrer Wohnungen bedroht. Die von der Campanha Despejo Zero durchgeführte Erhebung, die von den in der Kampagne zusammengeschlossenen 175 Organisationen und Basisbewegungen, darunter die Landlosenbewegung (MST) und die Bewegung der obdachlosen Arbeiter:innen (MTST) oder NGOs wie Terra de Direitos, erstellt wurde, wurde am heutigen Mittwoch veröffentlicht. Aus der neuen Erhebung zitieren Medien wie Globo oder Brasil de fato. Eine geografisch aufgearbeitete Datenbank auf der Kampagnenwebseite ermöglicht die umfassende Online-Recherche zu Zwangsräumungen in Brasilien.

Der Bundesstaat São Paulo ist der neuen Erhebung mit Abstand derjenige, der diesen Index am stärksten anhebt. Dort sind 360.504 Menschen von Zwangsräumung bedroht, was 27 Prozent der gesamten Bevölkerung des Landes entspricht. Es folgt Pernambuco mit 173.644 Menschen, denen eine Zwangsräumung droht. Seit ihrer Gründung im März 2020 hat die Campanha Despejo Zero herausgefunden, dass landesweit zwischen Oktober 2022 und Juli 2024 insgesamt 165.160 Menschen zwangsgeräumt wurden. Insgesamt von Zwangsräumung betroffen waren oder sind der Erhebung zufolge 1.564.556 Menschen. Diese Zahl umfasst sowohl diejenigen, die bereits enteignet wurden, als auch diejenigen, die unter diesem Risiko leben. Davon sind 66 Prozent Schwarze, 60 Prozent Frauen, 17,1 Prozent Kinder und 16,8 Prozent ältere Menschen, so die Erhebungszusammenfassung in den Medien. Ausgangspunkt der Untersuchung war das Ende der Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichts (STF) im Zusammenhang mit dem Grundsatzurteil (ADPF) 828, mit dem Umzüge und Zwangsräumungen im Rahmen der Covid-19-Pandemie ausgesetzt wurden. (KoBra hatte hier, hier und hier darüber berichtet)

Für Raquel Ludermir von der Campanha Despejo Zero ist dieser "signifikante Anstieg in sehr kurzer Zeit" das Auffälligste an dieser neuen Erhebung. Sie warnte gegenüber Medien allerdings davor, dass der Index noch zu wenig aussagekräftig sei, da er beispielsweise die Obdachlosen nicht berücksichtige: "Wir sprechen also von einem alarmierenden Problem ersten Ranges", stellt sie fest.

Als das Verbot von Zwangsräumungen aufgehoben wurde, ordnete der Richter Luís Roberto Barroso am Obersten Gerichtshof (STF) an, dass die Gerichte in den Bundesstaaten sogenannte Landkonfliktkommissionen einrichten. Der STF stellte auch fest, dass die Behörden verpflichtet seien, die Vertreter:innen der betroffenen Gemeinschaften anzuhören, sie im Voraus vor der Situation zu warnen, eine "angemessene Frist" für die Räumung zu setzen und diejenigen, die sie benötigen, in "Notunterkünfte" zu schicken oder "eine andere wirksame Maßnahme zur Wahrung des Rechts auf Wohnung" zu ergreifen.

Fast zwei Jahre nach der Festlegung dieser Maßnahmen betont Ludermir, dass die bloße Existenz von Räumen zur Schlichtung von Landkonflikten vor den staatlichen Gerichten "ein Sieg" sei. Es gebe jedoch eine Reihe von Vorbehalten gegenüber deren Funktionsweise. "In einigen Fällen haben diese Stellen gut funktioniert, wie in Paraná. Es gibt auch einige Beispiele in São Paulo", sagt Raquel Ludermir gegenüber Medien. "Aber was nicht funktioniert hat, ist, dass diese Räume oft dazu genutzt werden, die Räumung zu bestätigen und zu organisieren, anstatt über Alternativen nachzudenken", erklärt Ludermir. "Wir haben auch festgestellt, dass Vermittlungskommissionen die Gebiete besucht haben, ohne die bedrohten Menschen vorher zu informieren", fügt er hinzu.

// Christian Russau