Erneuerbare Energien - Brasilien als Vorreiter
Die brasilianische Regierung erhofft sich durch Biotreibstoffe insgesamt etwa eine Million neuer Arbeitsplätze vor allem im Nordosten Brasiliens, und eine größere Unabhängigkeit von Treibstoffimporten. Bis November 2004 will sie ein neues Förderprogramm für Biotreibstoffe aufsetzen, das vorsieht, dem brasilianischen Kraftstoff zwei Prozent Biodiesel beizumischen und das mit 100 Millionen Real (ca. 27 Mio Euro) gefördert wird. Weitere 10 Millionen Real steuert die Privatwirtschaft bei. Das Programm fördert den Anbau sogenannter nachwachsender Rohstoffe, vor allem der Rizinuspflanze, aus der man Biotreibstoff gewinnen kann. Grundsätzlich eignen sich zur Produktion von Biodiesel auch die Sojapflanze und Baumwolle, Sonnenblumen, Dendê, Babaçu und weitere Produkte. Mit dem Programm soll die kleinbäuerliche Familienwirtschaft gesondert unterstützt werden.
Bereits seit 2003 unterstützt die brasilianische Regierung darüber hinaus in Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland den Kauf von alkoholbetriebenen Fahrzeugen mit je 1.000 Real. Die heutigen Modelle akzeptieren mehrere Treibstoffarten. Ein zeitweilig knapper Treibstoff, wie dies in der Vergangenheit bei Bioalkohol kurzfristig der Fall war, kann somit durch einen anderen Treibstoff ausgeglichen werden. So werden die alkoholbetriebenen Autos wieder attraktiv, und das Programm Proálcool gewinnt Auftrieb. Das Programm förderte bereits in den 70er Jahren massiv die Gewinnung von Bioalkohol aus Zuckerrohr als Treibstoff für PKWs.
Vor allem aber geht es Brasilien bei der Förderung von Biotreibstoffen um Exportsteigerung zum Schuldenabbau und – strategisch – um eine führende Stellung auf dem Weltmarkt. Durch die Erfahrungen mit dem Proálcool-Programm hat Brasilien sowohl bei Biotreibstoffen als auch bei Biotreibstoffmotoren technologisch die Nase vorn. Und durch den anhaltend hohen Ölpreis wie auch durch die 1997 mit dem Kyoto-Protokoll von etlichen Ländern unterzeichneten Verpflichtungen, die weltweiten CO2-Emissionen zu reduzieren, ist das internationale Interesse an technologischen Weiterentwicklungen in diesem Bereich groß. So soll dem Benzin in Deutschland zukünftig bis zu 15 % Bioalkohol aus Brasilien beigemischt werden. Damit könnte Deutschland seine Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll übererfüllen. Auch China und Japan sind an ähnlichen Kooperationen interessiert. Die japanische Regierung hat bereits die Beimischung von 3 % Alkohol zum Benzin beschlossen, und Premierminister Junichiro Koizumi befand sich erst jüngst auf einer Sondierungsreise in Brasilien. Der Brasilianische Landwirtschaftsminister Roberto Rodriguez sprach von einem Potential von 1,8 Milliarden Litern Bioalkohol Exportvolumen allein auf den japanischen Markt. Dagegen ist der Mitte September mit Thailand abgeschlossene Vertrag über 300.000 Liter Bioethanol nichts als Peanuts.
Die Zuckerrohrproduktion in Brasilien, das steht außer Zweifel, wird in absehbarer Zukunft kräftigst ansteigen. Insgesamt betrug die Alkoholexportmenge für Industriezwecke und als Treibstoff 800 Millionen Liter im Jahr 2003, für 2004 wird sie bereits auf ca. 2 Milliarden ansteigen (1) - bei steigender Tendenz. Das Energieunternehmen Petrobrás ist im Gespräch, als Exporttrading für Bioalkohol zu fungieren. Und die Regierung des Bundesstaates Paraná investiert derzeit in einen speziellen Terminal nur zum Export von Bioalkohol.
Die Situation auf dem internationalen Markt hat auf Brasilien verständlicher Weise eine enorme Anziehungskraft. Mit der Aussicht, weltmarktführend auf einem wichtigen Zukunftsmarkt werden zu können, verbinden sich auch Hoffnungen auf den Sprung vom Schwellenland zum Industrieland. Man freut sich auf eine vielverheißende Möglichkeit, die Exporte zu steigern und damit den Schuldenberg abbauen zu können, auf zukünftige Arbeitsplätze, die ihrerseits wiederum eine steigende Binnennachfrage schaffen und in letzter Konsequenz eine nachholende Entwicklung in Gang bringen könnten.
Dabei hat die massive Förderung von Zuckerrohr im Monokulturanbau für das Programm Proálcool erst vor wenigen Jahrzehnten die unsoziale Grundbesitzkonzentration im Nordosten zementiert. Die Arbeitsplätze, die im Zuckersektor entstanden, wogen die Verluste an Einkommensmöglichkeiten durch Vertreibungen vom Land, das fortan dem Zuckerrohranbau diente, nicht auf. Landkonflikte, menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse auf den Zuckerrohrplantagen und regionale Nahrungsmittelknappheiten waren die Folge. In einigen Regionen war eine Zonierung notwendig, um die Nahrungsmittelproduktion nicht vollständig durch die Zuckerrohrmonokultur zu verdrängen. In einer 2003 im Auftrag der GTZ durchgeführten Studie empfiehlt FIAN International daher dringend eine umfassende Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung, bevor die Anbaugebiete ausgeweitet werden. Auch sollte die brasilianische Regierung ihre Kontrollinstanzen im Zuckersektor verstärken, um negative soziale Auswirkungen einer Zuckerrohr-Anbauexpanison zu verhindern. Bereits Ende 2003 forderte die Organisation den Bundesumweltminister Trittin dazu auf sicherzustellen, dass das von der Bundesrepublik geförderte Projekt alkoholbetriebener PKWs nicht zu einer Vertreibung der Familien führt, die sich auf dem von den Zuckerproduzenten ungenutzten Land angesiedelt haben. Angesichts der rosigen Zukunftsaussichten im Zuckersektor haben bereits etliche der ehemals verlassenen und heute von ArbeiterInnen selbstverwalteten Zuckerverarbeitungsfabriken neue Investoren gefunden, und es droht eine Vertreibung der ArbeiterInnen.
Auch bei Rizinus für Biodiesel ist die Gefahr gegeben, dass es großflächig angebaut wird. Zwar gedeiht es am besten in Koexistenz mit anderen Produkten wie bspw. dem Grundnahrungsmittel Bohnen oder Mais, und ist für die Gebiete des Nordostens aufgrund seiner Toleranz gegenüber der Trockenheit gut geeignet. Ob jedoch vor allem die kleinbäuerliche Familienwirtschaft Rizinus für die Weiterverarbeitung zu Treibstoff anbauen wird, wie die brasilianische Regierung optimistisch projektiert, ist fraglich: Die mechanisierte Ernte von Rizinus aus Monokulturen ist möglich, und zur Produktion sind etliche agroindustrielle Vorprodukte (Düngemittel, etc.) erforderlich, die sich die Großgrundbesitzer viel eher leisten können als die Kleinbauern. Geeignet ist Rizinus aber vor allem auch gut in Rotation mit Soja! Die großen Sojaproduzenten könnten auf diese Weise elegant eine staatlich unterstützte Diversifizierungsstrategie einschlagen. Ob die im Regierungsprogramm vorgesehene Unterstützung der kleinbäuerlichen Familienwirtschaft hierzu ein Gegengewicht bilden kann, ist ungewiss. So sieht auch das Netzwerk ASA aus dem brasilianischen Nordosten zwar grundsätzlich eine Perspektive für Kleinbauern in der Rizinusproduktion. Es warnt jedoch vor der Gefahr eines Monokulturanbaus mit seinen verheerenden sozialen und ökologischen Folgen. Eine umfassende Wirkungsstudie vor einer Ausweitung der Produktion und Maßnahmen zum Schutz der kleinbäuerlichen Familienwirtschaft sind auch hier dringendst geboten.
Die tatsächliche Nachhaltigkeit nachwachsender Rohstoffe ist übrigens umstritten. So ist die CO2-Bilanz der nachwachsenden Rohstoffe häufig geringer als angenommen(2). Vor allem aber haben nachwachsende Rohstoffe als Treibstoffersatz eine äußerst geringe Flächeneffizienz. Ein Hektar Rizinus liefert nur etwa 1.200 Liter Öl – und dies wiederum entspricht nur knapp 15.000 gefahrenen Kilometern (3). Ein Hektar Zuckerrohr liefert etwa 6.400 Liter Bioethanol (4); das reicht für knapp 60.000 gefahrene Kilometer (5). Will man international im großen Stile Kraftfahrzeuge mit nachwachsenden Rohstoffen betreiben, sind folglich enorme Anbauflächen nötig. Diese Flächen stehen dann für den Anbau von Nahrungsmitteln nicht mehr oder nicht mehr im gleichen Umfang wie zuvor zur Verfügung. Und bei geringen beschäftigungswirksamen Effekten wird auch die Nachfrage nach Nahrungsmitteln nicht steigen, die deren Anbau wieder „konkurrenzfähig“ machen könnte. Subventionierter Treibstoff aus Monokulturen auf Kosten des Nahrungsmittelanbaus? Fragt sich, für WEN dies Entwicklung heißt.
(1) gemäß Schätzungen aus O Popular, 27.09.2004
(2) Ein Gutachten des Heidelberger Ifeu-Instituts bspw. zum Anbau von Rapsöl in Deutschland stellt die Wirksamkeit der CO2-Reduktion bei der Nutzung des Biotreibstoffs in Frage
(3) Greenpeace, 2004
(4) gemäß CDM-Projekt Deutschland –Brasilien.
(5) Eigene Berechnungen auf Basis des CDM-Projekts in Verbindung mit den Daten von Greenpeace zu Rizinus.