Alles Bio - oder was? Pflanzentreibstoffe in Brasilien
Dabei weisen Entwicklungs-NGOs schon seit längerem auf die Flächenkonkurrenz zwischen nachwachsenden Rohstoffen und Nahrungsmitteln hin. Alternativen wie die Einsparung von Mineralöl oder gar die gezielte Förderung des öffentlichen Transports geraten zunehmend in Vergessenheit, wird doch das herrschende Konsummodell, das den hohen Treibstoffverbrauch erst verursacht, in der Diskussion häufig gar nicht mehr in Frage gestellt.
Sogenannte Biotreibstoffe haben international eine gute Konjunktur. Sowohl die EU als auch die USA haben Beimischungsrichtlinien zu den Treibstoffen eingeführt. Große internationale Absatzpotentiale entstehen sowohl für sogenanntes Biodiesel als Zusatz zum herkömmlichen Dieseltreibstoff als auch für Ethanoltreibstoff zur Beimischung zum Benzin. So reicht bspw. das eigene Produktionspotential in Deutschland ab einer Beimischung von 5 % nicht mehr aus. Derzeit sind hierzulande beim Diesel 4,4 % und beim Benzin 2 % Beimischung vorgeschrieben. Ab 2009 steigen diese Grenzwerke auf über 5 %; Deutschland wird demnach spätestens dann Pflanzentreibstoffimporteur sein.
Im folgenden verzichte ich auf die Bezeichnung „Bio“, da diese irreführend ist. Pflanzentreibstoffe werden nur in den seltensten Fällen biologisch angebaut und auch ihre Umweltwirkungen sind nicht in jedem Falle positiv oder weniger schädlich als die herkömmlicher Treibstoffe. So kam das ifeu-Institut in Heidelberg bei einer Untersuchung 2003 bspw. zu dem Schluss, dass die Wirkungen auf den Ozonabbau beim Ethanol deutlich stärker sind als beim herkömmlichen Treibstoff. Somit könnte ein massiver Umstieg bspw. auf Ethanoltreibstoffe auch mit einem „Umstieg“ auf andere Umweltprobleme einhergehen.
In Brasilien gelten Soja, Rizinus und Palmfrüchte als die vielversprechendsten Pflanzen zur Gewinnung von Pflanzendiesel; Ethanol wird dort im Zuge des damaligen Proálcool-Programms bereits seit den 70er Jahren aus Zuckerrohr gewonnen. Eine Ethanol-Beimischung von 20-25 % zum Benzin ist seit 1975 vorgeschrieben. Das Proálcool-Programm hatte die ungerechten Einkommens- und Landverteilungsverhältnisse im Nordosten des Landes in den 70er Jahren zementiert.
Das brasilianische Biodieselprogramm
Vor knapp zwei Jahren rief die brasilianische Regierung das sogenannte Biodieselprogramm ins Leben, das vor allem Kleinbauern beim Anbau von Rizinus und Palmen für die Verarbeitung zu Pflanzendiesel unterstützen soll. Mit der Pflanzendieselproduktion, so die Hoffnung, könnten sich die ökonomischen Strukturen in Brasilien zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit verändern. Das Programm sieht vor, dem brasilianischen Diesel stufenweise mehr Pflanzentreibstoff beizusetzen, bis es ab 2013 mindestens 5 % enthalten soll.
Die Produzenten erhalten Vergünstigungen bei den Sozialabgaben, die sich nach Standort, Produkt und Betriebsgröße unterscheiden, so dass vor allem kleinbäuerliche Familienbetriebe in ärmeren Regionen stärker begünstigt werden.
Für die weiterverarbeitende Industrie gibt es ein Sozialsiegel. Dieses erhalten die Unternehmen, wenn sie einen Mindestprozentsatz ihrer Vorprodukte von Kleinbauern liefern lassen: im Nordosten liegt diese Marke bei 50 %, im Süden und Südosten bei 30 % und im Norden bei 10 %. Das Siegel ist auch Voraussetzung für die Teilnahme an den nationalen Ersteigerungen der Beimischungsmenge durch die Agência Nacional do Petróleo, Gas Natural e Biocombustíveis (ANP). Bislang fanden vier Ersteigerungen statt.
Die sozialen Bewegungen in Brasilien kritisieren am Programm vor allem, dass es die Familienwirtschaft auf eine Rolle als Rohstofflieferanten reduziert und diese somit nicht an der Mehrwerterzielung bei der Weiterverarbeitung beteiligt ist. Die Zielmarken des Sozialsiegels seien zudem so gering, dass derzeit quasi die gesamte Pflanzendieselproduktion des Landes ein Sozialsiegel erhalte.
Rückblick auf die Entwicklungen der letzten zwei Jahre
Binnen eines Jahres nach dem Start des Biodieselprogramms ließ sich eine Steigerung der Rizinus-Anbauflächen um 22 % auf 215.000 Hektar beobachten – das entspricht etwa einer Produktionsmenge von 170.000 Tonnen Rizinus bzw. knapp 65 Mio Liter Pflanzendiesel. Allerdings hatten die Produzenten Schwierigkeiten, ihre Ware abzusetzen. Die Preise lagen zum Teil unter den Produktionskosten, so dass viele Produzenten sich bereits wieder anders orientieren. Weitere Probleme bestehen in einer niedrigen Qualität des Saatgutes, es gibt nur wenig Verarbeitungskapazitäten und vor allem kaum lokale Verarbeitung. Dementsprechend kaufen relativ wenige Akteure die Rizinusproduktion auf. Aufgrund der hohen Produktionskosten für Rizinusöl – diese liegen dreimal so hoch wie die von Sojaöl – kann Rizinus trotz Subventionierung kaum mit anderen Energiepflanzen konkurrieren. Das maximale Potential für Rizinus liegt nach einer GTZ-Studie bei einer Anbaufläche von 540.000 ha.
Die Dendê-Palme kann grundsätzlich in Familienwirtschaft angebaut werden und hat damit hohe Beschäftigungseffekte. Allerdings zeigen die Erfahrungen in Südostasien, dass es eine Tendenz zum Anbau von Palmen in großen Plantagen gibt, die sich zum Nachteil der Einkommensverteilung und der Regenwälder auswirkt. In Brasilien ist Palmöl bislang ebenso wie Rizinus nur marginal an der Pflanzendieselproduktion beteiligt: Im Jahr 2004 wurden auf knapp 60.000 ha 132.000 Tonnen Pflanzenöl gewonnen. Diese jedoch waren allesamt durch einen großen Akteur, die Agropalma, zentralisiert.
Mit weiteren Oleaginosen, wie der Jatropha-Pflanze, wird experimentiert. Insgesamt gibt es gut 100 verschiedene Pflanzen in Brasilien, aus denen Öl gewonnen werden kann. Sie haben allerdings bislang ein begrenztes Potential.
Auch Soja lässt sich zu Pflanzendiesel verarbeiten, und der Sojaboom hält unvermindert an. Der größte Vorteil der Sojeiros gegenüber den Produzenten von Rizinus oder Palmöl liegt darin, dass sie auf eine bereits bestehende Produktionskette zurück greifen können. Die Sojaindustrie hat damit die Möglichkeit, rasch auf eine hohe Nachfrage nach pflanzlichem Treibstoff zu reagieren, und sie nutzt dies auch: 1,2 Millionen Tonnen Soja sollen 2007 für die Produktion von Pflanzentreibstoffen verwendet werden. Diese Größenordnung zeigt deutlich, wohin die Entwicklung beim brasilianischen Pflanzendiesel geht: zur Soja. Dies bestätigen auch die Ersteigerungen von Pflanzendiesel durch die ANP: bereits bei der ersten Ersteigerung war ca. ein Drittel des ersteigerten Pflanzendiesels aus Soja – entgegen den durch das Biodieselprogramm verfolgten Absichten.
Es zeigt sich also, dass in Brasilien in erster Linie die Sojaindustrie vom Pflanzendieselboom profitiert. Auf der anderen Seite beschränken die hohen Produktionskosten und vergleichsweise hohen Marktpreise für Rizinus dessen Nutzung auf subventionierte Programme, während die Dendê-Verarbeitung monopolisiert ist. Eine Studie der Fundação LaGuardia kommt auf Basis von Fallstudien zu dem Schluss, dass das Biodieselprogramm ein hohes Risiko der Einkommens- und Bodenkonzentration aufweise, und einen Beitrag zu Landflucht und Verringerung der Grundnahrungsmittelproduktion leiste. Dies liegt vor allem an der starken Konzentration der Verarbeitungsbetriebe und ihrer weiten Entfernungen von den Produzenten. Das Biodieselprogramm setzt somit z.T. nicht nur auf die falschen Produkte, es vernachlässigt darüber hinaus strukturelle Faktoren, die zu Machtungleichgewichten und damit zu Armut führen.
In Bezug auf die Ethanolproduktion hat sich Zuckerrohr bislang als die effizienteste Pflanze erwiesen – und zugleich ist Brasilien hier weltweit der billigste Anbieter, was vor allem auf die schlechte Entlohnung der Erntearbeiter zurück zu führen ist. Der Zuckersektor ist in Brasilien innerhalb der letzten Jahre stark gewachsen, und dringt in den Mittleren Westen vor. Gut die Hälfte der Zuckerproduktion geht derzeit in die Herstellung von Ethanol. Zuckerrohr wird heute auf 5,5 Mio ha angebaut, und es wird geschätzt, dass die Anbaufläche aufgrund der steigenden Nachfrage nach Ethanol bis 2015 um 3-4 Mio ha steigen wird. Wie auch die Sojaindustrie kann der Zuckersektor auf eine bestehende Infrastruktur zurück greifen, was schnelle Reaktionen auf Nachfragesteigerungen ermöglicht.
Pflanzentreibstoffe und die sozialen Bewegungen
Sowohl für den Soja- als auch für den Zuckersektor ist charakteristisch, dass sie Einkommen bei relativ Wenigen konzentrieren, da sich am ehesten der großflächige Anbau lohnt und die Produktion wenig beschäftigungsintensiv ist, dafür aber umso mehr Kapital erfordert. Flächenausdehnungen erfolgen häufig auf Kosten von Kleinbauern, die entweder keine Landtitel haben oder zum Verkauf gedrängt werden, und damit ihre Einkommens- bzw. Subsistenzquelle verlieren. Soja begünstigt zudem indirekt die Regenwaldabholzung. Damit könnte sich die vielgerühmte positive CO2-Bilanz von Pflanzentreibstoffen ganz schnell ins Negative verkehren.
Von Seiten der brasilianischen NGOs ist derzeit wenig zum Thema Pflanzentreibstoffe zu hören. Zwar äußern sie sich z.T. verhalten kritisch, wie bspw. die CPT 2004 in ihrer Kritik am Zuckersektor, in der sie auch die Gefahren eines neuen Ethanolbooms anspricht. Die sozialen Bewegungen in Brasilien kritisieren jedoch vor allem das Biodieselprogramm selbst. FETRAF, CUT und CONTAG fordern, Zielsetzungen bezüglich der Arbeitnehmerrechte und der Umweltverträglichkeit in das Sozialsiegel einzubeziehen. Darüber hinaus setzen sie sich dafür ein, dass das Sozialsiegel im Hinblick auf die Ernährungssicherung Mindestmarken für die lokale Produktion von Grundnahrungsmitteln festsetzt. Auch wenn eine öffentliche Infragestellung der Pflanzentreibstoffproduktion ausbleibt, zeugen diese Forderungen von einem durchaus vorhandenen Problembewusstsein.
Dennoch formiert sich keine hörbare Bewegung. Einzig das FBOMS hat Kriterien und Nachhaltigkeitsindikatoren für Biomasse-Energie formuliert, die jedoch nicht stark diskutiert werden. Die brasilianischen NGOs scheinen in einem Dilemma zu stecken: Damit der Markt nicht gänzlich den Sojeiros überlassen bleibt, versuchen etliche von ihnen zugunsten ihrer Zielgruppen, beim Sozialprogramm mitzumischen, und somit zumindest noch einen kleinen Teil des Kuchens abzubekommen.
Viele internationale NGOs weisen bereits seit längerem auf eine Flächenkonkurrenz zwischen Energiepflanzen und Nahrungsmittelpflanzen hin. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn aus der Energiepflanzenproduktion keine breiten Einkommenseffekte entstehen – ein Prozess, der sich in Brasilien bereits abzeichnet. Ohne diese Einkommenseffekte wird auch keine erhöhte Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln generiert, so dass der Anbau von Grundnahrungsmitteln für den Verzehr immer weniger konkurrenzfähig gegenüber Ethanol- und/oder Diesel-Vorprodukten sein wird. Der brasilianische Kleinbauer oder Landlose müsste mit seiner Nachfrage gegen den deutschen Autofahrer konkurrieren – und kann dabei nur verlieren.
Schon heute sind die Weltmarktpreise für etliche Grundnahrungsmittel, die sich im Prinzip auch zu Pflanzensprit verarbeiten lassen, aufgrund der Nachfrage nach Pflanzentreibstoffen stark gestiegen. Dies stellt bereits jetzt etliche Länder in Afrika vor das Problem, ihre Nahrungsmittelimporte nicht mehr zahlen zu können. Sprit für diejenigen, die es sich leisten können zulasten der Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern?
Da diese Entwicklung sich nicht aufhalten lässt, sehen viele NGOs die Notwendigkeit, Nachhaltigkeitskriterien zu definieren, um zumindest noch Regulierungsmechanismen für diesen Markt zu schaffen und damit das Schlimmste abzuwenden. Dabei aber befinden sie sich in einem Dilemma, denn zugleich legitimieren sie damit die Pflanzentreibstoffe, ähnlich wie dies in der Vergangenheit mit Tropenhölzern geschah:
Waren sich die Konsumenten noch in den 80er und frühen 90er Jahren dank der Aufklärungsarbeit der NGOs durchaus bewusst, dass der Kauf von Tropenholz problematisch ist, so hat man mit dem FSC-Siegel (Siegel des Forest Stewardship Councils) eine Art „ökologisches Tropenholz“ geschaffen. Heute sorgt das Siegel als Marketinginstrument erster Güte für Verkaufssteigerungen bei zertifizierten Hölzern – die Problematik der Regenwaldvernichtung geriet damit aus dem Blickfeld der meisten Konsumenten. Genauso wie heute der „Biotreibstoffboom“ die Illusion nährt, dass die Automobilität nach hiesigem Muster mit Pflanzensprit ohne Probleme fortschreiben lasse.
Wichtig ist daher eine breite Aufklärungskampagne über die sozialen und ökologischen Folgen eines hohen Pflanzentreibstoffverbrauchs, um die Konsumenten auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, das Konsumverhaltens zu ändern. Veränderte Konsumgewohnheiten lassen sich durch eine Gesetzgebung unterstützen, die in der derzeitigen Debatte verstärkt eingefordert werden muss. Dabei sollten steuerliche Anreize die Mobilität in den öffentlichen Transport lenken; zuallererst durch den Abbau von Subventionen für Flug-, LKW- und Autoverkehr zugunsten des öffentlichen Transports. Als drittes müssen Effizienzsteigerungen zur Energieeinsparung – sparsame Autos, Verbrauchs-Grenzwerke für Kraftfahrzeuge etc. - nachdrücklich als sozial- und klimapolitisch vorteilhafter im öffentlichen Bewusstsein verankert werden, als sogenannter Biosprit dies je sein könnte.