Acht Jahre nach dem Dammbruch der Samarco bei Mariana
Am Montag, dem 6. November, versammelten sich Hunderte von Menschen vor der britischen Botschaft in Brasília, um Gerechtigkeit für die vom Bruch des Samarco-Damms in Mariana im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais am 5. November 2015 betroffenen Menschen zu fordern. Das anglo-australische Unternehmen BHP Billiton ist zusammen mit dem brasilianischen Unternehmen Vale eines der für Samarco verantwortlichen Unternehmen. Über den Protest der von der Bewegung der Stadammbetroffenen MAB organisierten Kundgebung vor der britischen Botschaft in Brasília berichtet Brasil de fato auf ihrer Internetseite.
Am 5. November 2015 brach der Damm des Rückhaltebeckens Fundão nahe der Kleinstadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen... Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Insgesamt starben 19 Menschen. Samarco ist eine Aktiengesellschaft, die zu gleichen Teilen im Besitz der australisch-britischen BHP Billiton Brasil Ltda. und der brasilianischen Vale S.A. steht.
Wenige Tage zuvor hatte in Adelaide, in Australien, die Aktionärsversammlung von BHP Billiton stattgefunden, und zwar am letzten Mittwoch, dem 1.11.. Mit von anderen Aktionär:innen erteilten Vollmachten erhielten die von der Tragödie Betroffenen das Recht zur Teilnahme, zum Rederecht und berichteten über ihre persönlichen und kollektiven Verluste. Sie argumentierten, dass BHP Billiton dem Markt keine Informationen zur Verfügung stelle, die mit dem Stand der Erholung des Ökosystems im Doce River Basin übereinstimmen würden. Vielmehr sei dies Greenwashing und billige Propaganda, vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Bergbauunternehmen keine gerechte und umfassende Entschädigung angeboten habe. Dies berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Agência Brasil auf ihrer Internetseite.
Mônica dos Santos, Mitglied des Komitees der Betroffenen in der Stadt Mariana, wollte ihren Protest in Adelaide dadurch zum Ausdruck bringen, indem sie den Führungskräften von BHP Billiton eine Flasche Schlamm und ein Plakat mit einem Foto der 19 Menschen überreichen wollte, die direkt durch den Dammbruch ums Leben gekommen waren. Dies wurde ihr jedoch nicht gestattet, sie durfte sich an die Direktor:innen des Unternehmens aus Sicherheitsgründen nicht annähern, so der Bericht bei Agência Brasil. BHP Billiton wollte sich nicht zur Teilnahme der Betroffenen an der Versammlung äußern, erklärte aber dem Medienbericht zufolge, man sei bereit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die eine vollständige Entschädigung garantieren würden.
Eine Studie der Staatlichen Vereinigung zur Verteidigung der Umwelt (Aedas) wurde unlängst in 15 Gemeinden in Minas Gerais durchgeführt. Insgesamt wurden dabei 1.873 Personen befragt, die etwa 600 Familien angehören. Agência Brasil hatte Zugang zu den vorläufigen Ergebnissen und zitiert daraus. Die Aedas-Studie zeige, so Agência Brasil, dass die Bevölkerung noch immer unter den Folgen des Zusammenbruchs des Samarco-Staudamms leidet: Der Fischmangel und die geringe landwirtschaftliche Produktion zeugten demnach von den nach wie vor anhaltenden Schäden, die das Einkommen und die Ernährung der Betroffenen weiterhin einschränken. Die Entwertung von Eigentum auf dem Immobilienmarkt wurde von 56,31 Prozent der Betroffenen angeführt. Außerdem gab mehr als ein Drittel der Befragten an, gar keinen Zugang zu Wiedergutmachungsprogrammen welcher Art auch immer gehabt zu haben, und mehr als 80 Prozent sind der Ansicht, dass weiterhin Maßnahmen zur Gewährleistung von Arbeit, Einkommen und Gesundheit erforderlich sind.
In Brasilien finden wegen des Dammbruchs Gerichtsprozesse statt, aber aussichtsreicher scheinen derzeit die Prozesse in Großbritannien zu sein. Einem in dieser Woche von der Anwaltskanzlei Pogust Goodhead veröffentlichten Bericht zufolge wird der Wert des Falles, der in UK verhandelt wird, auf 66 Milliarden Pfund geschätzt. Die Anwält:innen fordern außerdem Zinsen in Höhe von 12 Prozent pro Jahr ab dem Datum der Tragödie. Im Falle einer positiven Entscheidung sollten die Gelder entsprechend dem prozentualen Anteil am geschätzten Gesamtschaden aufgeteilt werden: 66 Prozent für Einzelpersonen, 23 Prozent für Gemeinden, 10 Prozent für Unternehmen. Das verbleibende 1 Prozent betrifft religiöse Einrichtungen, die den Verlust von Eigentum und die Beeinträchtigung der Beziehungen zu den zerstörten Gemeinden geltend machen, so der Agência-Brasil-Bericht. In der Klage werden u. a. Eigentums- und Einkommensverluste, erhöhte Ausgaben, psychologische Auswirkungen, Auswirkungen der Vertreibung und fehlender Zugang zu Wasser und Strom aufgeführt. Im Falle der indigenen Völker und der Quilombolas werden auch die Auswirkungen auf die kulturellen Praktiken und die Beziehungen zur Umwelt genannt. Denn für das indigene Volk der Krenak, das in ihrem indigenen Territorium in der Gemeinde Resplendor lebt, ist der Rio Doce heilig und wird Watu (oder Uatu) genannt. Der von der Kanzlei Pogust Goodhead veröffentlichte Bericht beschreibt die spirituellen, kulturellen und psychologischen Umwälzungen, denen die Indigenen sich ausgesetzt sahen. "Viele haben große Qualen erlitten, einige haben den Lebenswillen verloren und sind gestorben. Sie können nicht mehr schwimmen, baden, im Fluss fischen oder sein Wasser trinken, und viele der Pflanzen, die sie ernteten, und der Tiere, die sie jagten, sind zurückgegangen. Der Schaden, der ihrer Kultur und ihrem traditionellen Erbe zugefügt wurde, ist in der westlichen Kultur unvorstellbar", heißt es in dem Text.
BHP Billiton hat seinerseits die Behauptungen der Betroffenen bislang immer vollständig zurückgewiesen. Nun aber meldeten britische Medien unlängst, BHP sei für eine außergerichtliche Einigung mittlerweile bereit.