500-Millionen-Klage gegen BASF und Shell geht weiter
Brasília. Der juristische Streit um Millionenentschädigungen von BASF und Shell an verseuchte Arbeiter und Anwohner der ehemaligen Pflanzenschutzmittelfabrik in Paulínia im brasilianischen Bundesstaat São Paulo geht weiter. Auf der vom obersten Arbeitsgericht Tribunal Superior do Trabalho (TST) am Donnerstag anberaumten Schiedssitzung in Brasília konnte keine Einigung erzielt werden. BASF und Shell schlugen vor, den von ihnen anerkannten 884 betroffenen Arbeitern wegen der erlittenen Gesundheitsschäden die medizinische Versorgung, individuelle Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 52 Millionen Reais (umgerechnet 19,75 Millionen Euro) sowie eine Kollektiventschädigung zu gewähren, die laut den Rechtsvertretern der beiden Konzerne bei durchschnittlich 120.000 Reais (umgerechnet 46.000 Euro) je betroffener Familie liegen würde. Die Vertreter der betroffenen Familien verlangten zunächst detailliertere Klärung von Art und Umfang der medizinischen Versorgung und wiesen darauf hin, dass es um insgesamt 1.068 betroffene Personen gehe. Die Schiedsgerichtssitzung wurde vom zuständigen Richter auf den 28. Februar vertagt.
2011 waren BASF und Shell von einem brasilianischen Arbeitsgericht im Bundesstaat São Paulo in dritter Instanz zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 1,1 Milliarden Reais (umgerechnet 417 Millionen Euro) verurteilt worden. Das Gericht hatte damit das Urteil aus erster Instanz vom August 2010 bestätigt. Dieses hatte Entschädigungen in Höhe von 64.500 Reais an jeden der über 1.000 ehemaligen Mitarbeiter sowie an deren Nachkommen vorgesehen sowie die Zahlung von 622 Millionen Reais in einen Arbeiterschutzfonds. BASF hatte im Jahresbericht 2011 unter der Rubrik "Risiken aus Rechtsstreitigkeiten und -verfahren" auf "Einzelklagen und einer Sammelklage wegen erlittener und drohender Gesundheitsschäden früherer Mitarbeiter (einschließlich Fremdfirmenmitarbeiter), deren Angehörigen und Abkömmlingen, auf Grund der Beschäftigung an dem bei der Produktion von Pflanzenschutzmitteln erheblich kontaminierten Standort Paulinia/Brasilien" hingewiesen. Wegen der drohenden Kosten für Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von "insgesamt umgerechnet rund 490 Millionen € zuzüglich Zinsen", hatte BASF "am 30. März 2011 Klage gegen Shell erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass Shell BASF S.A. sämtliche Schäden zu ersetzen hat, die auf die von Shell verursachten Verunreinigungen des Standorts Paulinia zurückzuführen sind", erklärte BASF in seinem Jahresbericht 2011.
Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich am Donnerstag rund 50 Betroffene und Familienangehörige versammelt, um mit Transparenten auf die Todes- und Krankheitsfälle infolge der Verseuchung der Arbeiter und Anwohner durch die mittlerweile stillgelegte Pestizidfabrik hinzuweisen. Weisse Holzkreuze symbolisierten die 61 Verstorbenen, die laut Angaben der Betroffenen infolge der dreißig Jahre währenden toxischen Belastungen, die von der Fabrik in Umgebung und Grundwasser abgegeben worden waren, ihr Leben verloren hatten.
BASF und Shell sind die vormaligen Eigentümer des Werks, das bis 2002 Pflanzenschutzmittel für Brasiliens boomende konventionelle Landwirtschaft herstellte. Die Pestizidfabrik in Paulínia gehörte in den 1970er Jahren zu Shell, der US-Konzern American Cynamid erwarb das Werk 1995, bevor im Jahre 2000 BASF die Produktionsstätte, 117 km von der Landeshauptstadt São Paulo entfernt gelegen, übernommen hatte. Arbeiter und Anwohner beklagen, sie seien durch die Chemikalien vergiftet worden und das Grundwasser sei verseucht worden, das mit krebserregenden Stoffen durchsetzt ist. Nach Angaben der Arbeiter kam es neben den 61 Todesfällen zu Fällen von Krebs, Herz-und-Kreislauf- sowie weiteren Krankheiten auch bei Anwohnern.
In dem Prozess gegen BASF/Shell war von Fachleuten dargelegt worden, dass die im Erdreich neben anderen vorgefundenen Werte des Pestizids Aldrin die Richtwerte um das 860-fache überstiegen. Aldrin ist ein Insektizid, das gegen Termiten oder Heuschrecken eingesetzt wurde. Seit 2004 ist es weltweit verboten.