KoBra Frühjahrstagung 2025 Tagungsbericht

Verboten in Europa, verkauft nach Brasilien - der Neokoloniale Handel mit Agrargiften vom 21.-23. März traf sich die Kooperation Brasilien zu ihrer jährlichen Frühjahrstagung in Berlin in der Jugendherberge am Wannsee. 36 Interessierte kamen für Vorträge, Diskussion und Vernetzung an diesem Wochenende zusammen.
| von Cédrick Hückstädt
KoBra Frühjahrstagung 2025 Tagungsbericht
Foto: Ernst Müller

Hauptthema der drei thematischen Inputs mit verschiedenen Referent*innen waren die Agrargiftexporte (Agrotoxicos) aus Europa nach Brasilien, wo diese Produkte Jahr für Jahr verheerende Folgen für Mensch und Umwelt haben. Indigene und traditionelle Gemeinschaften leiden unter Gesundheitsproblemen, Vertreibungen und dem Verlust ihrer Lebensgrundlagen. Während viele der eingesetzten Pestizide in Europa längst verboten sind, werden sie weiterhin von Herstellern wie BASF und Bayer nach Brasilien exportiert. Die Erträge der brasilianischen agrarindustriellen Produktion fließen jedoch vor allem in den globalen Norden – ein neokoloniales System, das auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert und zudem gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung auch in Deutschland hat.

Während der Tagung wurde erneut ein Awareness-Konzept umgesetzt, bei dem die ganze Tagung über zwei geschulte Personen für Teilnehmende ansprechbar waren.

Die vollständige Dokumentation mit drei ausführlichen Protokollen und vielen Bildern findet ihr hier.

Made in Germany: Pestizide und die Bedrohung indigener Völker in Brasilien

Biancka Arruda Miranda, KoBra Vorstandsmitglied, moderierte den ersten Abend. Online zugeschaltet waren aus Brasilien Alan Tygel, Aktivist der Campanha Permanente Contra os Agrotoxicos e Pela Vida, einem brasilianischen Bündnis gegen Agrargifte und für das Leben. Außerdem Kretã Kaingang, indigener Sprecher einer indigenen Gemeinschaft aus Paraná und Mitglied der Articulação dos Povos Indigenas do Brasil, der politischen Vertretung indigener Völker in Brasilien.

Die Veranstaltung fand auf Portugiesisch statt und wurde simultan von Christian Russau und Camila de Abreu ins Deutsche übersetzt.

Alan eröffnete den Abend mit einer Skizze des Agronégocios, dem Konglomerat aus Industrie und Logistik in der Landwirtschaft sowie allen teilhabenden Wertschöpfungsketten. Ihr Ziel ist die Gewinnmaximierung, verbunden mit großer Umweltbelastung und großen sozialen Ungerechtigkeiten. Der Einsatz von Agrargiften im großen Stil verursacht die Zerstörung der Lebensgrundlage vieler indigener Völker und hat verheerende ökologische Folgen.

Das Zentrum von zwei der wichtigsten Herstellerfirmen für Agrargifte liegt in Deutschland: BAYER und BASF.

6 der 10 am meisten exportierten brasilianischen Produkte stammen aus dem Agronégocio      

Alan Tygel 

Es handelt sich also um eine sehr mächtige und einflussreiche Gruppe mit jährlichen Milliardenumsätzen und hohem politischen Einfluss. Fast 2/3 der Abgeordneten in der Abgeordnetenkammer werden zur BBB-Gruppe gezählt: Boi-Bala-Bíblia (Rind-Gewehrkugel-Bibel). Von dieser Gruppe, die eher politisch konservativ bis rechts orientiert ist, werden sehr viele Interessen der großen Agrar- und Waffenkonzerne verteidigt sowie häufig frauenfeindliche und homophobe Werte propagiert.

Das Bündnis gegen Agrargifte  wurde 2011 von verschiedenen sozialen Bewegungen gegründet. Es besteht aus Wissenschaftler*innen und Mitgliedern verschiedener Sozialbewegungen und setzt sich für eine nachhaltige und gesunde landwirtschaftliche Produktion ein. Dazu führt es wissenschaftliche Studien zur Erforschung von Agrargiften und deren Einsatz durch, geht mit der Gesellschaft in Austausch und organisiert Events.

2018 wurden z.B. 2 Millionen Unterschriften gesammelt um ein Gesetz zu verhindern welches im Volksmund „Giftpakt“ genannt wird. Trotz großem Protest wurde dieses Gesetz 2023 in Mato Grosso verabschiedet, das sehr zu Gunsten der Agrarlobby ausgerichtet ist.

Die Campanha Permanente Contra os Agrotoxicos e Pela Vida hat vier Handlungsschwerpunkte: 

  1. Einflussnahme auf die Politik, wo Gesetzesvorschläge auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene vorgeschlagen werden. Wie z.B das Verbot der Giftausbringung über die Luft. 
  2. Rechtsbeistand für Betroffene und Klagen organisieren, wie z.B. gegen BAYER 
  3. Bildung in Schulen, bei traditionellen Gemeinschaften wie den Ribeirinhos sowie in Kommunen
  4. Kommunikation und Publikation wie z.B. den Film o veneno está na mesa (Das Gift landet auf dem Tisch) von 2011

Kretã Kaingang ist indigener Sprecher der Kaingang, einer indigenen Ethnie, die bei der APIB Articulacao dos Povos Indigneas do Brasil mitwirkt und 2019 mit anderen indigenen Repräsentant*innen in 35 Tagen 12 europäische Länder bereiste um über die Lage der indigene Bevölkerungen in Brasilien zu berichten. An entsprechender Stelle wurde auch die Mitschuld europäischer Firmen angeprangert und über Lösungen debattiert. Der Name der Kampagne hieß Nenhuma gota de sangue a mais (Kein weiterer Tropfen Blut)

Im Durchschnitt wird im Kampf gegen das Agronégocio ein Indigener pro Woche getötet          

Kretã Kaingang

Kretã berichtete auch über die spezifische Lage der Indigenen in Südbrasilien:

Die südliche Region ist der Ort, an dem das Agronégocio in den 70er Jahren begann und sich in den 80er Jahren entwickelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten viele Italiener und Deutsche Land im Süden Brasiliens. Sie zogen durch den Mittelwesten und dann in den Norden. Die meisten von ihnen sind tatsächlich europäischer Abstammung und haben europäische Nachnamen. Und die wichtigsten Abgeordneten, die gegen die Rechte der Ureinwohner sind, kommen auch aus dem Süden Brasiliens, sie sind sehr rassistisch und faschistisch. Im Lauf der Geschichte haben die Indigenen im Süden ihre Gebiete verloren und der atlantische Regenwald wurde drastisch reduziert. Im Süden gibt es eine sehr hohe Krebsrate aufgrund von Pestiziden und Giften im Körper – 7 Liter Gift pro Jahr für jeden Bewohner des Südens           Kretã Kaingang

Kretã kritisiert auch deutlich die Regierung unter dem 2022 erneut gewählten Präsidenten Lula:

Man muss die „sozialistische“ Regierung kritisieren, die auch besonders von Indigenen gewählt wurde, weil sie sich im politischen Alltag immer wieder mit dem Kapitalismus vereint. Häufig werden indigene Verwandte in der Regierung genutzt um den Anschein zu geben, alles sei gut, es ist aber für uns indigene Völker nicht alles gut. Die Interessen der Agrarlobby werden bearbeitet, nicht die unseren, und wenn doch, dann können nur minimale Fortschritte verbucht werden.      Kretã Kaingang 

Macht & Kritik: Lobby und Politik hinter dem deutschen Agrargifthandel 

Am Samstag führte KoBra-Vorstandsmitglied Felipe Bley Folly Christian Russau den Referenten des Tages ein. Christian ist Investigativ-Journalist, im Vorstand der kritischen Aktionär*innen aktiv und langjähriges Mitglied von KoBra. Mit einem Rückbezug auf den vorherigen Tag wurde die Zahl des pro Jahr durchschnittlich konsumierten Agrargifts von 5 auf 7,1 l pro Person korrigiert.

Eines der größten Probleme dabei ist, dass die kumulative Wirkung verschiedener Wirkstoffe noch sehr unerforscht sind, so auch der Einfluss auf Mensch und Umwelt.

Eine bekannte und renommierte Forscherin, Dr. Larissa Mies Bombardi musste nach großer Kritik an der Agrarlobby und dem Bolsonaro Regime nach Europa emigrieren. Ihre Arbeit und ihre Karten, die die Entwaldung und den Pestizideinsatz in Korrelation setzen und auch auf die Rolle der in der EU produzierten Gifte verweist, sind von großer Wichtigkeit im Kampf gegen die weitere Zerstörung der Umwelt in Brasilien. So erschreckt beispielsweise die Zahl, dass im Süden Brasiliens 40 Agrargiftvergiftungen auf 100.000 Personen kommen. 

Auch Deutschland ist von den Agrargiften betroffen, denn nur 10% der Behörden zum Verbraucherschutz sind ausreichend besetzt und in etwa jede dritte vorgesehene Kontrolle fällt aus. Dazu kommen Schlupflöcher aufgrund von „Sondergenehmigungen“.

Das meiste Gift wird in der Sojaproduktion verwendet: 55% der Gifte kommen hier zum Einsatz. Brasilien ist der größte Sojaproduzent weltweit, China ist der Hauptimporteur v.a. von ganzen Bohnen. Deutschland importiert in großen Mengen bereits verarbeitetes Sojamehl, das dann in die Tierfutterproduktion geht.

Es ging auch um Möglichkeiten des Widerstands: So gehen Christian und andere Aktivisten auf die jährlichen Aktionärs-Hauptversammlungen großer Firmen, die mit Brasilien menschenrechtsproblematische Verbindungen haben und machen auf Missstände aufmerksam.

Ein großer Teil der Cellulose von brasilianischen Eukalyptus-Monokulturen wird für Kartons einer Firma verwendet, deren Name ich nicht zu nennen brauche.          Christian Russau

Das Gift, welches wir nach Brasilien schiffen, kommt wieder zu uns zurück, über die Luft zum Beispiel, oder über das Wasser.          Marcos de Costa Melo

Es gehe also auch darum, neokoloniale Muster aufzudecken. Es dürfe nicht toleriert werden, dass Umwelt- und Gesundheitsschäden im globalen Süden in Kauf genommen werden, um günstig die hohe Nachfrage nach Agrargütern im Norden zu stillen.  

 

Vergiftete Lieferketten: Wie Gemeinschaften in Brasilien sich wehren können

Zum Ende der Tagung wurde der Fokus nochmal spezifisch auf Deutschland gelegt.  Camila de Abreu, Mitglied des Forschungs-und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika, Peer Cyriacks von der Deutschen Umwelthilfe und Ana Paula Gouveia Valdiones von ICV in die deutsche Gesetzeslage ein.

Die deutsche Umwelthilfe ist nicht nur eine wichtige NGO, sondern auch eine Verbraucherschutzorganisation und damit auch berechtigt, wenn notwendig, auf rechtlichem Weg bei Verstößen gegen den Verbraucherschutz und das Umweltrecht Bundesländer, Firmen oder sogar Deutschland anzuklagen. Und das haben sie bisher häufig erfolgreich gemacht, denn: Der Verbraucherschutz und das Umweltrecht werden oft gebrochen.

Finanziert wird die DUH von Ecosia, Drittmitteln, Spenden und Abmahnungen. Es ist deshalb in einflussreichen Gruppen sehr unbeliebt. Vor allem aber ist die DUH medial sehr wirkungsstark.

Zurzeit beschäftigt sich die DUH u.a. mit der Sojalieferkette, der „Lieferkette des Grauens“, wie Peer Cyriacks sie nennt, weil die Soja-Lieferkette sich über den gesamten Atlantik spannt und viele Umwelt und Menschenrechtsprobleme in Brasilien, aber auch in Europa mit sich bringt.

Die Gesetzeslage zu Lieferketten ist aktuell noch umkämpft: die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (EUDR) wurde vor dem Inkrafttreten letztes Jahr kurzfristig verschoben, das CSDDD, die Europäische Lieferkettenrichtlinie soll verabschiedet werden, wird aber aktuell aber noch sehr abgeschwächt.

Als Erfolg konnte verbucht werden, dass mit der EUDR die Beweislast zukünftig auf Seiten der Unternehmen liegt: Sie müssen nachweisen, dass  für die Produktion der Warengruppen Rind, Kakao, Kaffee, Ölpalme, Kautschuk, Soja und Holz ab dem Stichtag 31.12.2020 keine Entwaldung stattgefunden hat.

Ana Paula Gouveia Valdiones, die von der brasilianischen Organisation Instituto Centro de Vida für ein Jahr bei der DUH verbringt, erwähnt das Problem der Walddefinition:

Unter die Verordnung fallen nur Bäume, die höher als 5m sind. Damit sind aber 75% des zurzeit sehr gefährdeten Cerrados nicht abgedeckt. Dieses Biom, sowie das Biom Caatinga sind daher nur schwer in diese Kategorie einzuordnen, auch aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Forschung          Ana Paula Gouvei Valdiones

Zu einem Präzedenzfall bei der Anwendung des Lieferkettengesetzes kam es jetzt, denn dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle liegt ein erster Bericht von einem Verstoß vor, eingereicht von der DUH.

Der aktuelle Stand ist, dass die Beschwerde vom BAFA erhalten wurde. Alle weiteren Schritte sind noch unklar   Peer Cyriacks

Mögliche Wirkungen sind, dass die Firmen zukünftig vorsichtiger sein müssen und eventuellen Schadensersatz an die zu Schaden gekommenen Personen zahlen müssen.

Um im Ausland, besonders in Brasilien handlungsfähig zu sein, unterhält die DUH enge Beziehungen mit dem Instituto População, Sociedade e natureza (ISPN)  und der  Unabhängigen Kommision für Menschenrechte (ECCHR).

Als Vereinfachung der Anwendung wurde ein möglichst barrierefreies Beschwerdeformular entwickelt, mit dem sich die Kläger direkt aus dem Ausland an das BAFA wenden können. Das Amt wäre dann verpflichtet, dem Fall nachzugehen.

Peer Cyriacks kam auch auf das Thema Bürokratieabbau zu sprechen:

Vereinfachung darf nicht Deregulierung heißen, unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung dürfen keine Freifahrtscheine für große Unternehmen ausgehändigt werden, es gibt nicht zu Unrecht den Spruch: Bürokratie ist die kleine Schwester der Demokratie      Peer Cyriacks

So sei es elementar, dass unter dem Bürokratieabbau nicht die Themen Umweltschutz und Menschenrechte geschwächt werden. Uns als Zivilgesellschaft kommt die Aufgabe zu, diese Vorsicht zu verbreiten.