Interview mit Telma Monteiro: Abholzung und Planung von Infrastrukturprojekten im Tapajós-Becken in Amazonien
Telma Monteiro ist eine brasilianische Journalistin und Autorin. Seit 25 Jahren liegt ihr Spezialgebiet in der Analyse von Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte im Amazonasbecken. Sie ist außerdem als Dozierende an Universitäten und in internationalen Organisationen tätig. Sie selbst sieht sich jedoch in erster Linie, als eine Umweltaktivistin – und darauf ist sie sehr stolz.
KoBra: Hallo Telma, wir begrüßen dich aus Freiburg und freuen uns sehr, dass wir dieses Interview mit dir führen können. Am Mittwoch erschien der Bericht "Stimmen aus dem Tapajós - Indigene Perspektiven auf geplante Infrastrukturprojekte" an dem du mit einem Input über den historischen Kontext und die Beschreibung der Infrastrukturprojekte im Tapajós beteiligt warst. Könntest du uns ein wenig über die Region erzählen?
Telma: Der Tapajós ist ein sehr wichtiger Fluss im Amazonasbecken. Er entsteht aus dem Zusammenfluss der Flüsse Juruena und Teles Pires und mündet in den Amazonas. Entlang dieser drei Flüsse leben indigene Völker, wie die Mundurukú. Die Flussbevölkerung leidet vor allem unter der Abholzung im Tapajós Becken, die unter anderem für die Flächenfreilegung für die Agrarindustrie geschieht, dem illegalen Bergbau und der Erschließung von Bodenschätzen. Entlang des Jamanxim-Flusses, einem der Hauptzuflüsse des Tapajós, gibt es große Erzvorkommen die stark ausgebeutet werden. Darunter viel Gold.
KoBra: Und was hat es mit den Infrastrukturprojekten auf sich?
Telma: Die brasilianische Regierung verfolgt strategische Pläne für verschiedene Projekte in der Region. Zunächst war ein großes Staudammprojekt für Wasserkraft geplant, das sieben Staudämme einschließen sollte. Der größte von ihnen sollte mit einer Länge von 7 Kilometern in der Gemeinde Itaituba gebaut werden, die im unteren Tapajós liegt. Die Negativ-Konsequenzen dieses Großprojektes würden nicht nur den Fluss selbst, sondern auch alle Angehörigen der indigenen Munduruku betreffen und irreversible Auswirkungen auf den Wald haben. Doch aktuell ist dieses große Wasserkraftprojekt am Tapajós Fluss für die brasilianische Regierung nicht mehr von Priorität. Das hängt sowohl mit klimatischen als auch politischen Veränderungen in Brasilien zusammen. Die Regierungsinteressen zur Verfolgung der Staudammprojekte liegen aktuell eher darin, die existierenden Hindernisse für den Schiffsverkehr zu überwinden und eine große Wasserstraße zu ermöglichen, die auch dem Transport von Erzen und Produkten der Agrarindustrie nützen würde.
KoBra: Wie groß ist die geografische Reichweite der Auswirkungen von Ausbeutung und Naturzerstörung im Tapajós-Becken?
Telma: Erst einmal, ist das Beispiel der Abholzung im Tapajós-Becken nur exemplarisch für das Schicksal der vielen weiteren Amazonasregionen, die wir nicht außenvor lassen dürfen. Überall im Amazonasbecken geschehen Landraub, Brandstiftung, Abholzung und Besetzung. Hauptsächlich in den Regionen, in denen man das Holz verwerten kann. Das Resultat sind illegale Holzexporte, wie kürzlich im Fall des ehemaligen Umweltministers[1], der selbst an illegalen Holzexporten in die USA beteiligt war. Dabei ist das Amazonasbecken wichtig für das globale und brasilianische Klima, denn die Niederschläge in Brasilien kommen indirekt aus dem Amazonasgebiet. Trotzdem haben wir im Südosten Brasiliens kein Wasser. Die Reservoirs sind leer. In Südbrasilien haben wir stattdessen riesige Stürme. Wir stehen vor einem ernsten Problem des Strommangels, weil die im Amazonasgebiet errichteten Staudämme und Wasserkraftwerke, vor allem Belo Monte am Fluss Xingu, nicht in der Lage sind, den Energiebedarf Brasiliens zu decken. Die Wasserführung der Flüsse ist zurückgegangen. Und so liefern die Wasserkraftwerke weniger Energie.
Dass diese Kraftwerke uns nun nicht genug Energie liefern zeigt, dass die vielen Jahre des Baus von großen Staudämmen in Amazonien eine Verschwendung auf Kosten der Flüsse waren. Die Finanzmittel und Ressourcen hätten stattdessen in die Erforschung erneuerbarer Energien, wie Wind und Sonne, gesteckt werden sollen. Das ist es, was Brasilien am meisten hat und was viele Flüsse im Amazonasbecken hätte retten können.
KoBra: Die Regierungsinteressen sind zuvor ja schon zur Sprache gekommen. Was lässt sich jedoch konkret zur Regierung Bolsonaro in Bezug auf die Projekte im Tapajós sagen?
Telma: Unter der Regierung Bolsonaro befinden wir uns aktuell auf einer immer weiter fortschreitenden Abholzung im Amazonasbecken. Bolsonaro verfolgt eine Politik, die stark auf das Agribusiness und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen – insbesondere dem Bergbau – ausgelegt ist, und somit sehr gefährlich für die Umwelt und das Amazonasbecken ist. Um diese Prozesse zu erleichtern, entmachtet die Regierung aktiv brasilianische Umweltinstitutionen, wie beispielsweise die Umweltbehörde IBAMA, und besetzt möglichst viele Stellen mit Regierungsmitgliedern, die Umweltgegner*innen und Leugner*innen von Klimaproblemen sind. Zu den Regierungsinteressen gehört auch der Ausbau von umweltschädlichen thermoelektrischen Kraftwerken, um den Energieengpass durch Wasserkraftwerke zu überwinden. Dazu sollen unter anderem in Amazonien Gas- und Kohle-Wärmekraftwerke gebaut werden.
KoBra: All diese Projekte müssen ja auch finanziert werden. Dabei sind auch häufig internationale Unternehmen und Banken involviert. Warum haben die so viel Interesse an der Ausbeutung des Amazonasbeckens und welche Strategien müssen verfolgt werden, um solche Investitionen in Brasilien zu vermeiden?
Telma: Die Ausbeutung der Reichtümer Brasiliens und des Amazonasgebiets reicht zurück bis zur Ankunft von Christoph Kolumbus. Und ich glaube nicht, dass dies jemals aufgehört hat. Seit jeher verlassen Holz, Gold und andere Mineralien oft sogar auf illegalem Wege den Amazonas in Richtung Europa und Nordamerika. Viele internationale Unternehmen beuten diese Region aus. Ganz vorne mit dabei ist das brasilianische Bergbau-Unternehmen Vale, das Amazonien stärker noch, als alle anderen Unternehmen ausbeutet. Wenn man also von Neokolonialismus spricht, ist das meiner Meinung nach gleichbedeutend mit der Kontinuität dieses kolonialen Verhältnisses, das schon immer über Brasilien herrschte. Die internationalen Unternehmen sind vor allem an diesen Reichtümern interessiert und daher investieren sie, was natürlich zur Ausbeutung im Amazonas beiträgt. Deshalb ist es wichtig eine internationale Einheit einzurichten, um zu verhindern, dass das Amazonasbecken zerstört wird – und mit der Zerstörung Amazoniens auch das Klima und der Planet selbst.
KoBra: Wo muss angesetzt werden, um den Schutz und den Erhalt des Amazonasbeckens zu realisieren?
Telma: Ich glaube, das große Problem sind eigentlich die internationalen Regierungen. Sie entziehen sich der Schuld. Es ist schön und gut, wenn der französische Präsident sagt, dass wir den Amazonas schützen müssen. Aber in Wirklichkeit sind es französische Unternehmen, die Amazonien ausbeuten. Das ist nur ein Beispiel, das sich auf alle Regierungen in Europa, USA und Kanada anwenden lässt. Ich denke also, dass der Fokus kollektiver Anstrengungen auf den Regierungen liegen muss, die mit den großen ausbeutenden Unternehmen zusammenarbeiten. Der Schwerpunkt unseres Kampfes liegt darauf, den Interessen der Regierungen entgegenzuwirken. Sie sind die einzigen die verantwortlich sind. Das gilt für die brasilianische Regierung, die europäischen Regierungen, die Regierungen der Vereinigten Staaten und Kanadas. Und genau das muss der Punkt bei der bevorstehenden UN-Klimakonferenz[2] sein. Es nützt schließlich nichts, wenn Deutschland sagt, dass es die Emissionen vor 2050 reduzieren wird, während deutsche Unternehmen Projekte zur Ausbeutung des Amazonas finanzieren. Bei der UN-Klimakonferenz können wir etwas bewirken, indem wir weiter Druck machen auf die Regierungen und Finanzinstitutionen, damit Großprojekte, welche die Amazonas-Abholzung vorantreiben und das Biom zerstören, aufhören. Amazonien wird jeden Tag mehr und mehr zerstört und wenn es vollständig zerstört sein wird, wird es keinen Planeten mehr geben. Dafür tragen die Regierungen die Verantwortung!
KoBra: Das sind starke Worte. Das Interview hat sehr deutlich gemacht, dass die Infrastrukturprojekte im Tapajós-Becken in einem viel größerem Maßstab zu betrachten sind, welcher internationale Zusammenhänge, kapitalistische und neokolonialistische Ausbeutung des Amazonas Regenwaldes miteinschließt. Und das Thema des Tapajós-Beckens hat natürlich noch viele andere Dimensionen, die ebenso wichtig sind. Aber leider reicht die Zeit heute nicht über alles zu sprechen, denn wir sind schon am Ende unseres Interviews angekommen. Deshalb möchten wir anmerken, dass neben dem Bericht auch ein Film mit dem Titel "Tapajós ameaçado" erschienen ist, den wir über dieses Interview hinaus empfehlen möchten. Darin wird die Perspektive der indigenen Völker auf die konkreten Infrastrukturprojekte in dem Gebiet beleuchtet. Vielen Dank Telma, für das Gespräch!
[1] Im Mai 2021 geriet Brasiliens Umweltminister Ricardo Salles ins Visier polizeilicher Ermittlungen wegen Verdachts auf illegalen Holzschmuggel in die USA und Europa, kurze Zeit später gab er seinen Rücktritt bekannt (Anm.d.Red.)
[2] Vom 31.10. bis 12.11.2021 findet die UN-Klimakonferenz 2021, international bekannt als COP 26, in Glasgow statt. Neben den Mitgliedstaaten nimmt auch eine Gruppe von Beobachter*innen an den Klimakonferenzen teil, die aus verschiedenen NROs und zwischenstaatlichen Organisationen, wie z.B. der WHO, besteht. Auch wenn diese Teilnehmer*innen kein Stimmrecht heben, können sie ihre Standpunkte offenlegen. (Anm.d.Red.)