Ehrenhuldigung für Foltergeneral
Luiz Antônio Nabhan Garcia, Generalsekretär des Ministerialsekretariats für Grund-und-Boden-Eigentumsfragen und somit mächtigster Mann in allen Grund- und Bodenfragen Brasiliens, lobt öffentlich den Foltergeneral der Militärdiktatur Emílio Garrastazu Médici. Wir werfen einen Blick auf Luiz Antônio Nabhan Garcia.
„In Ehren gehaltener Präsident Emílio Garrastazu Médici“, so begann vor wenigen Tagen Nabhan Garcia sein Videostatement anlässlich 50 Jahren Agrarreformbehörde INCRA in Brasilien. Nabhan Garcia fuhr gleich fort: Médici habe „das INCRA geschaffen mit dem Ziel, die Siedlung und Agrarreform in Brasilien voranzubringen, ohne ideologische Politik, ohne politischen Aktivismus und dies ist das, was INCRA heute ist, untre Leitung des [INCRA-]Vorsitzenden Geraldo Melo, im Einklang mit den Vorgaben des Präsidenten Bolsonaro“.
Der so schwelgend gerühmte ist der ehemalige Brigadegeneral Emílio Garrastazu Médici war vom 30. Oktober 1969 – 15. März 1974 Präsident Brasiliens, in seine Amtszeit fielen die schweren „bleiernen Jahre“ Brasiliens, in denen gefoltert und gemordet wurd, alles im Auftrag und in Ausführung des Staates. Der Schwelgende: Luiz Antônio Nabhan Garcia.
Viel und oft ist medial die Rede von den sogenannten „Superministern“ der Bolsonaro-Regierung – Justzminister Sergio Moro und Wirtschaftsminister Paulo Guedes – gewesen. Der eine – Sérgio Moro – mittlerweile zurückgetreten, der andere – Paulo Guedes – derzeit noch im Amt. Weitgehend unbeachtet von der Medienöffentlichkeit gibt es aber einen weiteren Politiker der Bolsonaro-Regierung, der wegen der in seinen Händen konzentrierten Machtfülle in seinem Befugnisbereich als „Superminister“ bezeichnet werden müsste, obschon sein Ressort nur den Titel „Secretaria“ trägt und dasselbe dem Agrarministerium unterstellt ist, es aber dennoch gleich einem Ministerium – mit ihm selbst als über die Maßen einflussreichen Strippenziehers – führt. Die Rede ist von Luiz Antônio Nabhan Garcia, Generalsekretär des Ministerialsekretariats für Grund-und-Boden-Eigentumsfragen (Secretaria Especial de Assuntos Fundiários – SEAF/MAPA).
Bei Nabhan Garcia laufen alle Fäden in Grund- und Boden-Fragen in den ländlichen Gebieten Brasiliens zusammen. Dies betrifft besonders alle Fragen der Legalisierung von zuvor illegal gerodeten und angeeigneten Flächen, betrifft Indigenenterritorien ebenso wie alle Fragen, wie Brasilien nun unter Bolsonaro mit der Agrarreform weitermacht. In Landfragen ist nicht die Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina die zentrale Politikerin des Landes, das Sagen bei diesem Objekt der Begierde hat zweifelsohne Luiz Antônio Nabhan Garcia.
Laut einem Medienbericht der Zeitschrift „Exame“ wollte Nabhan Garcia selbst Bolsonaros Landwirtschaftsminister werden, akzeptierte widerwillig Tereza Cristinas Nominierung und durchbricht seither, sehr zum Unwillen der Landwirtschaftsministerin, ständig die Hierarchie, „da er sich als Freund Bolsonaros versteht“. In öffentlichen Stellungnahmen macht Nabhan Garcia keinen Hehl aus seiner Gesinnung: Nabhan Garcia erklärte wiederholt öffentlich die Landlosenbewegung MST, die Landpastorale CPT und den Indigenenmissionsrat CIMI zu „Kriminellen“ und forderte, dass die MST-Schule Florestan Fernandes im Bundesstaat São Paulo umgehend geschlossen werden müsse, da es sich dabei um „eine Fabrik für Diktatoren“ handele.
Die Zeitschrift „Exame“ beschreibt Nabhan Garcia als Waffenliebhaber, der maßgeblichen Anteil daran gehabt habe, dass Bolsonaro den Waffenbesitz für Farmer deutlich flexibilisiert hat. Nabhan Garcia, selbst Großfarmer mit Ländereien in São Paulo und Mato Grosso do Sul, wiederbelebte im Jahr 1990 die rechtsextreme Farmerunion União Democrática Ruralista (UDR), deren Präsident er dann von 2012 bis Ende 2018 war. Während einer parlamentarischen Untersuchungskommission im Bundesstaat São Paulo wurde Nabhan Garcia vorgeworfen, zusammen mit Gleichgesinnten von der UDR „die Organisierung von Privatmilizen voranzutreiben“. Nabhan Garcia wurde von einem gerichtlich verurteilten Auftragskiller beschuldigt, Pistoleiros unter Vertrag genommen zu haben, was aber bisher nie von einem Gericht abschließend festgestellt wurde. Vor einer Parlamentskommission im Jahr 2004, angesprochen auf seine potentielle Milizenverbindungen, antwortete Nabhan Garcia: „Bewaffnete Milizen, kenne ich nicht und will ich nicht kennen. Die einzige Miliz, die ich kenne, ist die [Landlosenbewegung] MST“.
Seine politisch wohl bisher schwerste Niederlage musste Nabhan Garcia im August 2019 einstecken, als der Oberste Gerichtshof STF die Entscheidungshoheit über Demarkierungen Indigener Territorien dem Landwirtschaftsministerium wieder wegnahm (nachdem die Bolsonaro-Regierung es diesem erst per Dekret übertragen hatte) und wieder dem Justizministerium unterstellte. Das Ganze war ein Plan, den unter anderem Nabhan Garcia ausersonnen hatte.
Die „Agrarreform der letzten 30, 40 Jahre hat unserem Land keinen Dienst erwiesen“, so bringt Nabhan Garcia sein Verhältnis zur Agrarreform auf den Punkt – und dies als oberster Zuständiger für die Agrarreform. Laut dem investigativen Onlineportal „Nexo“ ist es Luiz Antônio Nabhan Garcia, der in der Regierung Bolsonaro die politischen Richtlinien der Agrarreformbehörde INCRA vorgibt. Die Folge: Die Agrarreform in Brasilien steht seit Amtsantritt von Jair Bolsonaro still. Auf der Internetpräsenz der INCRA steht folgerichtig: „Die Erfassung und Auswahl von Bewerbern für das Bundesprogramm der Agrarreform sind auf unbestimmte Zeit im ganzen Land suspendiert.“
Nabhan Garcia hat einen öffentlich erklärten Plan, nur der sieht etwas anders aus, als das, was man gemeinhin unter Agrarreform verstehen würde. Nabhan Garcia will eine massive Ausweitung der „Agrarreform“ auf neue Ländereien, die im Besitz des Bundes sind und mehrheitlich in Amazonien liegen, erschließen. Dergestalt soll die Agrarreformbehörde INCRA künftig bis zu 600.000 Landtitel mit bis zu 2.500 Hektar Land in Amazonien vergeben – und reiht sich damit nahtlos ein in die Tradition der brasilianischen Militärdiktatur des „muita gente sem terra, muita terra sem gente“ („Viele Leute ohne Land, viel Land ohne Leute“), was in den 1970er Jahren zu einem Run auf Amazonien führte. Das vor Kurzem veröffentlichte Video von Nabhan Garcia unterstreicht dieses noch einmal unverhohlenst. „Das war etwas, was in Brasilien in den 1970er Jahren extrem gut geklappt hat, als die [Militär-]Regierung die landwirtschaftliche Kolonisierung [in Amazonien] machte und so denen, die sich dazu berufen fühlten, eine Chance gaben“, so Nabhan Garcias historische Lehren aus der Geschichte.
Dazu setzt Nabhan Garcia, der den Plan ersonnen hat, auf eine Reihe von Maßnahmen, die er über Bolsonaro umzusetzen versucht. Diese Maßnahmen finden sich in verschiedenen Maßnahmen, Dekreten und Gesetzesvorlagen. Laut dem Maßnahmenpaket der Regierung Bolsonaro, der Medida Provisória Nº 910 sowie dem Dekret Nº 10.166, beide vom 10.12.2019, sollte die Landtitelvergabe in Brasilien – inklusive der Agrarreform – künftig anders ablaufen. Die MP910, die in der ersten Jahreshälfte 2020 vom brasilianischen Nationalkongress verhandelt werden sollte, wurde Mitte Mai im brasilianischen Nationalkongress ad acta gelegt, da es im Kongress dagegen noch zu viel Widerstand dagegen gab und eine starke Öffentlichkeitskampagne der brasilianischen Zivilgesellschaft dagegen gefahren wurde. Gleichwohl stehen die in der MP910 und in den Dekreten Bolsonaros beabsichtigten Pläne weiterhin auf der Politagenda der Agrarlobby, nur eben in anderen Dekreten, mit neur Nummer, kleinere Punkte sind abgeschwächt, aber der Kern bleibt bestehen. Der konzertierte Versuch der Lobby des Agrobusiness steht weiterhin auf der Politagend der bancada ruralista. Und die MP910 steht dafür nach wie vor Pate. Deshalb lohnt der Blick in die Inhalte der MP910.
Diese MP910 sah vor, die illegalen Landnahmen der jüngsten Vergangenheit, die in Amazonien oft meist durch illegale Brandrodung in die Wege geleitet werden, wie die verheerenden Brände im August vergangenen Jahres, durch Landtitelvergabe im nachhinein zu legalisieren, dies zu geringeren als den üblichen Marktpreisen. Hinzu kommt eine Landkatastrierung, die online zu erfolgen hat. Den von der Zivilgesellschaft schon lange kritisierten offensichtlichen Schwachpunkt der gängigen Praxis des als Ansatz des Terra Legal verfolgten Online-Katasters Cadastro Ambiental Rural (CAR) legte die quotenstarke Sonntagabend-Reportage "Fantástico" von „TV Globo“ am 10. Mai 2020 bloß: Beim CAR kann jeder online gehen und einen Landtitel per Klick beanspruchen. Laut dem das Programm aktiv unterstützenden bundesdeutschen Entwicklungsministerium BMZ und der brasilianischen Bundesregierung soll das sogenannte CAR der erste Schritt sein, um endlich klare Besitzverhältnisse in Amazonien zu schaffen. Nun hat aber Greenpeace den Fall des Indigenengebiets Ituna-Itatá öffentlich gemacht: Fazendeiros haben beim CAR einfach eifrig geklickt und beanspruchen bereits 94% des indigenen Gebiets.
Kelli Mafort, Nationalkoordination der Landlosenbewegung MST, sieht dieses ganze Prozedere der Online-Selbst-Deklaration äußerst kritisch: „Der Eigentümer kann sagen: Das ist mein Land, und da kein Eigentumsnachweis erforderlich ist, kann es sich mit anderen Gebietsansprüchen am selben Ort überschneiden, mit Gebieten, die für indigene Territorien, Quilombola-Gebieten oder für Ansiedlungen der Landlosenbewegung vorgesehen sind. Der [mutmaßliche] Eigentümer kann sogar erklären, dass ein Gebiet mit einem Lager der Landlosen ihm gehört. Stellen Sie sich die brisante Situation auf dem Land in Bezug auf die Überschneidung, den Interessenkonflikt auf demselben Grundstück vor. Dies und die Politik der Lockerung des Waffengebrauchs auf dem Land lässt befürchten, dass es sogar zu einer Zunahme der Morde im Lager kommen könnte. Das ist sehr ernst“.
Ein weiterer Punkt der MP910: Gilt bisher, dass nur bei Landtitel ab mehr als vier Landeinheiten (eine je nach Region unterschiedliche Variable, die vom INCRA festgelegt wird, reicht von fünf bis 110 Hektar) eine amtliche Begutachtung in situ zu erfolgen habe, so setzte die MP910 dies auf 15 Landeinheiten hoch. Die PL 2633 reduzierte diese Grenze infolge öffentlichen Drucks wiederum auf sechs Landeinheiten. Vorortkontrolle würde demnach aber auch bei größeren Flächen viel weniger stattfinden müssen.
Eine weitere folgenschwere Neuerung, die die Agrarlobby gesetzlich zu verankern versucht, ist, dass der Landtitel nicht mehr nur wie bisher meist üblich als Landnutzungskonzession, sondern als direkter Landtitel vergeben wird. Wenig Beachtung fand die Veröffentlichung im offiziellen brasilianischen Amtsblatt, im Diário Oficial, der Umsetzungsverordnung Instrução Normativa N° 99, da sie, durchaus geschickt terminiert, in der Sylvesternacht am 31.12.2019 veröffentlicht wurde. Diese erklärt de facto die Landtitelüberschreibung im Rahmen der Agrarreform durch den direkten Eigentumstitel Título de Domínio (TD) zur Norm, da die bisherige, bei Agrarreformansiedlung üblichere Vereinbarung über (vererbare) Landnutzungskonzession (Concessão de Direito Real de Uso - CDRU) der Umsetzungsverordnung zufolge nur noch in Gebieten mit besonderer "Umweltbedeutung" Anwendung finden darf (Art. 18 und Art. 23).
Dies ist natürlich ein Publicity-Erfolg für die Bolsonaro-Regierung. Wenn eine Kleinbäuerin oder Kleinbauer nun leichter Eigentümer seiner kleinen Parzelle Land werden kann, dann klingt das doch auf den ersten Blick empowernd. Nur: Eigentumstitel bergen immer die Gefahr, dass sie damit dem freien Spiel der Marktkräfte ausgesetzt werden. Zwar gilt für die Dauer von zehn Jahren auch weiterhin die Unveräußerlichkeit der Parzelle, dies gilt aber nicht im Falle eines Kreditausfalls. So fungiert das Grundstück als Sicherheit gegen Kreditausfall und kann ggf. zwangsversteigert werden. Kritiker*innen wie die Landlosenbewegung MST sehen darin Tür und Tor geöffnet für eine weitere Privatisierung der Ländereien der Agrarreform, waren doch im Rahmen der Landreform bisher verteilte Grundstücke unteilbar und unveräußerlich, gleichwohl aber vererbbar, aber eben nicht frei am Markt handelbar.
Über das Dekret 10.166 versuchte die Bolsonaro-Regierung darüber hinaus die Agrarreform dahingehend zu ändern, dass mittels eines neu gestaffelten Punktesystems die Zugangskriterien zur Agrarreform geändert werden: Galt bisher, das die bereits teilweise seit Jahren erfolgte landwirtschaftliche Bearbeitung eines für die Agrarreform vorgesehenen Landes (also alle Fälle der jahrelangen Landbesetzung und Landbestellung seitens der Landlosenbewegung beispielsweise) einer der wichtigen Faktoren zur Anerkennung des Grundstücks für eben diesen Familien war, so soll dies in Zukunft weniger als bisher angerechnet werden. Zudem sah das Dekret vor, eine Reihe von bisher gültigen Ausschlusskriterien aufzuweichen bis hin zu aufzulösen: Bisher durfte niemand im Rahmen der Agrarreform Land zugesprochen bekommen, wer beispielsweise Angestellte*r im Öffentlichen Dienst war oder weiteren Landbesitz hatte. Nach den Plänen der Lobby des Agrobusiness und der Bolsonaro-Regierung soll es in Zukunft gar möglich sein, im Rahmen der Agrarreform Land zugesprochen zu bekommen, selbst wenn man Teilhaber*in einer Firma oder Aktiengesellschaft ist.
„Es war höchste Zeit, es ist notwendig, den Mut zu haben, sich dem Stigma zu stellen und es endlich abzulegen, endlich diejenigen weiterzubringen, die vom Land leben, die dort arbeiten und produzieren, und die, leider, immer wieder als Besatzer und Besetzer, als Siedler oder Landräuber diffamiert wurden. Von nun an werden alle Landbesitzer sein. Es ist das Ende des Schlamassels und der Bodenspekulation“, triumphierte Luiz Antônio Nabhan Garcia im Dezember 2019.
All diese Entscheidungen über die verschiedenen Dekrete und MPs stehen im Kern noch aus, aber der Druck seitens der mächtigen Lobby des Agrobusniness ist weiterhin sehr hoch. Vertagt heißt eben nicht aufgehoben. Der Kampf auf Brasiliens Länder und Wälder geht weiter, kräftig unterstützt durch die Legislative und Exekutive des Landes.