Besuch in Brumadinho - Ein Reisebericht
Vom Topo do Mundo in der Serra da Moneda sieht man gut in die vom Bergbau gezeichnete Landschaft außerhalb von Belo Horizonte. Abbau von Eisenerz überall – das bedeutet rote Löcher in der Bergkette. Vale und andere haben ihre Minen überall, die Berge werden aufgerissen und innerlich durchlöchert.
Der Konzern Coca-Cola hat zudem eine Fabrik angelegt. Die Gemeinden haben seit dieser Kombi Wasserknappheit und müssen mit dem Lastwagen ihr Trinkwasser angeliefert bekommen. Man sieht Waldflächen, in denen immer wieder einzelne Häuser auftauchen. Die Gegend wurde von Reichen und Neu-Hippies (Stadtflucht) als idyllische Wohngegend im Grünen entdeckt. Viele Condominios wurden gegründet. Den neuen Bewohner*innen sind die Probleme und Risiken, die der Bergbau mit sich bringt erst später klar geworden.
Wasserverseuchung. Veränderung der Wassersituation, weil auch Quellen bei Sprengungen verletzt wurden. Verseuchung von Wasser und Luft durch mineralischen Staub (schwarze Ablagerung). Roter Staub ist überall in der Luft. Die ständige Erdbewegung und die vielen Baustellenfahrzeuge – das führt zu Asthma und anderen Krankheiten Gerade hat eine Studie von Fiocruz an Bewohner*innen der Region Brumadinho Arsen im Blut nachgewiesen.
Es kam in der Region um Belo Horizonte immer wieder zu Erdrutschungen von künstlichen Bergbaudämmen und Terassen. Der Abraum der Minen wurde an einigen Stellen oben auf Bergen in Terrassen abgelagert. Spätestens in der Regenzeit sind die unbefestigten terrassierten Gebilde daher eine tickende Zeitbombe. Bei starken Regen weicht die Masse auf, es kommt zum Abrutschen des Schlamms. Es gibt in der Region Belo Horizonte 8 Dämme, die in den letzten Jahren gebrochen sind, bei allen gab es Tote. Es gibt außerdem zahlreiche anderer, bei deren Bruch niemand zu Schaden kam. 2 Umweltverbrechen befinden sich im direkten Umfeld (knapp 120 km) von Belo Horizonte: Mariana und Brumadinho. Trotzdem macht Vale weiter, als wäre nichts gewesen.
Alexandre Gonçalves arbeitet bei der Landpastorale CPT und wohnt in der Nähe von Brumadinho. Er kennt die Situation vor Ort und begleitet Betroffene. Er begleitet uns an den Ort des Umweltverbrechens. Brumadinho ist eine sehr weit verstreute Flächengemeinde. Kurz vor der Stelle, wo noch immer Schlamm von 2019 liegt, laufen die Bauarbeiten für ein Mahnmal für die Opfer von Brumadinho. Eine Firma wurde beauftragt, eine große Gedenkstätte zu errichten. Die Opfer haben sich dagegen gewehrt, dass Vale sein Logo auf die Tafeln drucken darf und am Ende als generöser Spender da steht. Es soll ein ganzer Freizeitpark entstehen, den Vale an dieser Stelle vorsieht. So sieht das Verständnis eines Bergbauriesen für den Rückbau von Minen aus, die nicht mehr rentabel sind. Sie werden „renaturiert“ und aus Brumadinho wird eine Gedenkstätte. Kurzer Prozess und weiter.
Viele verlassene Gebäude und Flächen wurden von Vale aufgekauft, überall stehen Schilder auf den Grundstücken. Nur wenige wollen weiter in der Region leben. In der Unglücksregion, in der Risikozone (das heißt ab sofort auf eigenes Risiko). Geografieprofessor Klemens Laschefski von der UFMG beobachtet die Situation ebenfalls seit vielen Jahren. Vale sei sehr präsent in der Gegend und eigne sich fortwährend Fläche an, sagt er. Das genaue Ziel ist noch unklar. Geht es um Ausweitung der Bergbauaktivität? In Richtung Eisenerz? In Richtung Gold? Oder um weitere Ausweitung der Macht durch eine Konzentration an Bodebesitz?
An Stellen, wo Leute nicht gehen wollten, hat Vale einen Kindergarten spendiert oder den Ausbau des kleinen Restaurants. Die Grenzen zwischen Bestechung, Korruption und Entschädigung sind fließend. Es gibt ein großes Misstrauen unter den Menschen gegeneinander. Viele der Weggegangenen merken erst hinterher, dass sie sich mit der vereinbarten und geleisteten Entschädigungssumme woanders nicht einfach ein neues besseres Zuhause leisten können. Und erst recht kein Land, auf dem sie Landwirtschaft betreiben können und ein Auskommen haben. Die Perspektivlosigkeit in der Gegend ist riesig. Alexandre berichtet, dass die Selbstmordrate hoch sei.
Am 25. Januar 2019 bricht ein Damm mit giftigen Restbeständen aus dem Bergbaubetrieb oberhalb der Mina de Corrégo de Feijão. Über 270 Menschen sterben, wenn man Tote und Vermisste berücksichtigt. Unter anderem wird eine Kantine voller Minenarbeiter ertränkt und weggerissen. Eine giftige Schlammlawine ergießt sich mehr als 300 Kilometer den Rio Paraopeba hinunter. Das Trinkwasser der ganzen Region ist auf lange Sicht verseucht. Nur vier Monate zuvor hatte das brasilianische Tochterunternehmen des deutschen Zertifizierers TÜV SÜD den Damm für stabil erklärt – obwohl die Sicherheitsrisiken bekannt waren. Darum haben Betroffene Klage gegen den deutschen Versicherer erhoben.
Der Zugang zur Stelle, wo der Schlamm des Dammbruchs sich befindet, ist abgesperrt und wird bewacht. Das ganze Flussbett ist mit Baggern und Lastern voll. Die Farben des Bodenbelags reichen von Schwarz über Gelb zu Rot und Grau. Fotos sind nur aus der Ferne geduldet. Ein Planfeststellungsverfahren soll derzeit entscheiden, welche Kompensation und Maßnahmen Vale zu leisten hat, um den ökologischen Schaden zu beheben. Goncalves vermutet, dass der Schlamm in extra gebaute Becken gepumpt werden soll, die mit Folie ausgekleidet sind. Sie liegen ein gutes Stück weit weg von der Stelle des Umweltverbrechens, oberhalb am Hang. Laschefski sagt, Vale habe ein neues Verfahren entwickelt, auch aus diesem belasteten Material des Schlamms vom Dammbruch noch weiteres Eisenerz herauszulösen. Die Maßnahme sei außerdem als Notfallmaßnahme eingereicht worden und dadurch nicht genauso genehmigungspflichtig wie andere Maßnahmen. Wenn der Plan aufgeht, hat Vale damit ein neues Geschäftsmodell der Entsorgung entwickelt und wird weiter Geld an dem Unglück verdienen.
An einer zweiten Stelle sieht man besser auf die Stelle, wo sich das Umweltverbrechen ereignet hat. Aber auch hier sind Absperrungen. Vale bereitet sich in verschiedenen Modellen auf die Beseitigung des übriggebliebenen belasteten Schlamms vor. Hier wurden Absetzbecken mit unterschiedlicher Körnung angelegt, die den Schlamm in mehreren Stufen filtern soll.
Nach dem Mittagessen besuchen wir eine zweite Mine bei Tejuco des Betreibers MIB. Sie besteht seit den 40er Jahren und ist viele Terrassen hoch. Der Kessel sollte mit Schlamm/Abraum verfüllt werden. Nach dem Unglück von Brumadinho wurde die Genehmigung dafür zurückgezogen. In einer der Stufen steckt der Rest eines Baggers. Dort wurde ein Arbeiter verschüttet. Die Mine kann also jeder Zeit zum Friedhof für ihre Arbeiter werden. Einige Stufen höher arbeiten 3-4 Fahrzeuge. Auch sie arbeiten auf einer Terrasse, die kürzlich gerutschtes Material unterhalb hat. An verschiedenen Stellen sind solche fließenden Schlammzungen noch sichtbar.
Im Ortsteil Paraopeba von Brumadinho findet an diesem Tag ein Ato das Maes (Protest der Mütter) statt, die einen neuen Ort für die Schule fordern. Diese befindet sich in der Hochrisikozone und damit immer noch im Abbaugebiet von Vale. Die kleineren Kinder können in der Mittagspause nicht schlafen, weil die Drainagesysteme Geräusche verursachen, die so klingen, als ob ständig ein neues Unglück geschehen könnte. Die Kinder sollen nach der Pandemiezeit dringend wieder in die Schule gehen können, aber an einem sicheren Ort.
Dass das Leben hier je wieder normal weitergehen soll, kann man sich nicht vorstellen. Dass es jederzeit zu einer weiteren Katastrophe kommen kann, schon eher. Die Macht der Bergbaukonzerne ist ungebrochen.